Oliver Haustein-Teßmer: „Der lokale Medienmarkt hat eine gute Chance, wenn er seinen Kern bewahrt“

Ist die Zeitung noch zu retten? Oliver Haustein-Teßmer hat zu der Frage ein Buch geschrieben, wie Lokalzeitungen die Transformation ins Digitale gelingt. Titel: "Digitaler Erfolg im Lokaljournalismus. Leitfaden für Praxis und Ausbildung in Redaktionen".

Haustein-Teßmer arbeitet als Chief Transformation Officer der Neuen Pressegesellschaft (Südwest Presse, Lausitzer Rundschau, „Märkische Oderzeitung“) und ist Mitglied der Geschäftsleitung der NPG Digital GmbH.  FLURFUNK-Lesern ist er vielleicht noch aus seiner Zeit als Chefredakteur der Lausitzer Rundschau bekannt (vgl. FLURFUNK vom 5.5.2016: "Lausitzer Rundschau: Oliver Haustein-Teßmer wird neuer Chefredakteur").

Sein Buch beruht auf seiner langjährigen Erfahrung als Führungskraft im Lokaljournalismus, dazu hat er außerdem 2024 im Executive Program in News Innovation and Leadership an der Craig Newmark Graduate School of Journalism (City University of New York) zum Thema Journalismus, Demokratie und politische Teilhabe geforscht.

In der Buch-Ankündigung heißt es:

"​Dieses Buch hilft Führungskräften und Mitarbeitenden in Redaktionen, digitale Werkzeuge erfolgreich anzuwenden. Es richtet sich an erfahrene und neu einsteigende Journalistinnen und Journalisten. Im Fokus stehen dringende Fragen der digitalen Transformation: Wie erreichen lokale Medien mehr und jüngere Menschen? Wie gewinnen und halten regionale Verlage Abonnentinnen und Abonnenten online?"

Im Interview mit FLURFUNK antwortet Haustein-Teßmer auf die Fragen, wie Zeitungen im Lokalen überleben können und welche Rolle KI in Zukunft spielen könnte.

"Es geht nicht um Masse, sondern um Mehrwert"

FLURFUNK: Ist die Lokalzeitung angesichts des Medienwandels und des sich verändernden Nutzungsverhaltens noch zu retten?

Oliver Haustein-Teßmer, Foto: Marc Hörger, Neue Pressegesellschaft, Ulm

Oliver Haustein-Teßmer: Ja, das hoffe ich doch! Obwohl wir Menschen uns zunehmend und vor allem digital informieren, brauchen wir Informationen aus unserer Nachbarschaft und unserem Lebensumfeld, um mitreden und mitmachen zu können. Das sehe ich als Chance für den Lokaljournalismus.

FLURFUNK: Was können oder müssen Zeitungsverlage tun, um langfristig zu überleben?

Haustein-Teßmer: Wenn die Verlage noch gedruckte Zeitungen anbieten, sollten sie das so lange wie möglich tun. Allerdings ist es höchste Zeit, Online-Journalismus ernsthaft zu betreiben. Dabei finde ich zwei Dinge wichtig. Erstens auf journalistische Qualität zu achten. Was können lokale Medien besonders machen, was es nicht irgendwo kostenlos im Internet gibt? Dazu brauchen auch lokale Storys eine gewisse Tiefe. Zweitens ist es sehr wichtig, sich zu überlegen, welche Zielgruppen ich anspreche und wie ich deren alltägliche Bedürfnisse berücksichtige. Ich empfehle also vorausschauende Planung und Produktion, wobei Online und Audiences im Fokus stehen.

FLURFUNK: Gibt es schon Zeitungen in Deutschland, die da vorbildlich agieren? 

Haustein-Teßmer: Redaktionen, die tagesaktuell arbeiten, zugleich digitale Kanäle und die traditionelle Zeitung beliefern sollen, tun sich da durchaus schwer. Deshalb gibt es ja mein Buch zum „Digitalen Erfolg im Lokaljournalismus“… Im Ernst: Ich biete darin eine Methode an, von Online zu Print integriert zu produzieren und dies trotz täglicher Updates überwiegend mit dem nötigen Vorlauf zu tun. Das bekommen einige Medienhäuser schon ganz gut hin. Bei unseren Redaktionen in der Neuen Pressegesellschaft ist es so, dass wir etwa 80 Prozent der redaktionellen Beiträge vorausschauend herstellen. Die gehen zuerst online. Und es bleibt immer noch Platz für eilige Meldungen. Entscheidend ist es für Verlage in der Transformation, Print konsequent nachgelagert zu produzieren.

FLURFUNK: Wie lange wird es Print denn noch geben?

Haustein-Teßmer: So lange Leserinnen und Leser bereit sind, für die gedruckten Produkte Geld auszugeben und Verlage damit kostendeckend arbeiten können, wird es weitergehen. Die Kosten, zum Beispiel für Papier und die Zeitungszustellung in die Briefkästen der Haushalte, sind gestiegen. Einige Verlage haben deshalb schon umgestellt. Sie liefern in einigen Regionen die Zeitung nur als E-Paper, die Zeitung nicht mehr früh oder nicht mehr täglich aus. In einigen Jahren könnte das normal sein. Die Menschen lesen, hören und sehen vor allem online lokale Nachrichten, und es gibt dann Wochenausgaben gedruckt.

FLURFUNK: Gibt es im Lokalbereich nicht eher viel zu viele Informationen? Warum sollte man ausgerechnet die Zeitung erhalten?

Haustein-Teßmer: Auf jeden Fall gibt es sehr viele auch kostenlos verfügbare Informationen in jeder Region. Daher müssen journalistische Medien eben einen Unterschied machen und auf Qualität, Tiefe und die Bedürfnisse ihrer Zielgruppen setzen. Wenn ich mit meiner Familie in einer kleinen Stadt in Sachsen wohne, will ich doch wissen, wie sich die Wirtschaft, die Infrastruktur und die politischen Diskussionen entwickeln. Und zwar aus meiner Perspektive. Wenn ich Kinder habe und eine geeignete Schule, eine Wohnung oder interessante Freizeitangebote suche, brauche ich dazu verlässliche und geprüfte Informationen - und nicht lediglich Werbung oder behördliche Mitteilungen. Diese geprüften Infos zu besorgen, bleibt journalistische Aufgabe. Da geht es tatsächlich nicht um Masse, sondern um Mehrwert. Was kostet das, was bringt mir das, wie kann ich besser entscheiden? Das sind zum Beispiel Fragen, die lokale Medien zu den wichtigsten Themen beantworten sollten. Das rechtfertigt die Existenz von Zeitungen, digital oder gedruckt.

FLURFUNK: Welche Rolle spielt jetzt KI bei der Herstellung von lokalen Medien, welche Rolle wird sie in Zukunft spielen?

Haustein-Teßmer: Künstliche Intelligenz, beispielsweise in Form von generativen Modellen, unterstützt Redaktionen bereits. KI kann helfen, Texte zu korrigieren, zu formulieren, zu kürzen oder aus Texten gesprochene Beiträge für Podcasts zu machen. Die originäre Arbeit der Journalistinnen und Journalisten, das Netzwerken, den Dialog und die Recherche, ersetzt dies nicht. Letzteres, das Recherchieren, kann allerdings schneller und besser werden. Wenn es darum geht, Daten auch aus der Kommunalpolitik, zum Gemeindehaushalt, zu analysieren, ist das künftig sogar eine Chance. Denn KI assistiert dann den Redaktionen, um ihre Aufgabe, professionell, unabhängig und frei zu berichten, noch besser zu erledigen.

FLURFUNK: Würdest du jungen Leuten heute noch empfehlen, in den Journalismus zu gehen?

Haustein-Teßmer: Sagen wir mal so, es kommt darauf an. Journalismus bedeutet, zwischen den Stühlen zu sitzen, sich professionell als Nervensäge einzurichten zwischen Multiplikatoren und Entscheiderinnen. Sonst wäre kritische Berichterstattung nicht möglich. Und wie gesagt, geht es darum, aus möglichst vielen Perspektiven und vielfältig im Sinn der jeweiligen Zielgruppen zu arbeiten. Dies erfordert manchmal, über den eigenen Schatten zu springen und den Menschen erst einmal zuzuhören statt nur senden und schnell berichten zu wollen. Wer darauf Lust hat, ist im Journalismus richtig. Wer dann noch als Berufseinsteigerin oder Quereinsteiger darauf achtet, welches Medienunternehmen digital nach vorn gerichtet arbeitet, findet eher den passenden Arbeitgeber.

FLURFUNK: Wie ist deine langfristige Perspektive auf den lokalen Medienmarkt: Wie sieht der in Zukunft aus?

Haustein-Teßmer: Große Frage... Ich verbinde das mal mit einer hoffnungsvollen Vision. Es wird auch in Zukunft den Bedarf geben, die lokalen Gemeinschaften mit geprüften Informationen zu versorgen. Nur dann können die Menschen dazugehören und teilhaben. Der Journalismus wird auf viel mehr Wegen digital verfügbar, ob als Text, Audio oder Video und erreicht so auch jüngere Menschen, die nachfolgenden Generationen. KI kann den Medienschaffenden dabei assistieren. Denn niemand kann zugleich das beste Netzwerk, die meisten Informanten und den Dialog pflegen, den bestmöglich optimierten digitalen Beitrag in x Kanälen ausspielen und dies in halbwegs vertretbarer Arbeitszeit. Der lokale Medienmarkt hat eine gute Chance zu bestehen, wenn er in der digitalisierten Gesellschaft seinen Kern bewahrt und für die ganz normalen Alltagsfragen der Nutzerinnen und Nutzer da ist - ob die nun ein Medien-Abo bezahlen, Fördermitglieder eines gemeinnützigen Medienprojekts sind oder ab und zu gedruckte Magazinen oder Zeitungen lesen.

FLURFUNK: Vielen Dank für das Interview! 

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