Ohne Zeitung geht nicht viel: TLM-Forschungsgutachten zur lokalen Medienvielfalt vorgestellt

Die guten Nachrichten zuerst: Es gibt in Thüringen bislang keine Nachrichtenwüsten. Damit sind Regionen gemeint, für die es kein Angebot von Lokal- oder Regionalzeitung mehr gibt. Und es gibt inzwischen jede Menge alternative Medienangebote, die teilweise auch erhebliche Reichweiten erzielen.

Die weniger gute Nachricht: Diese Alternativen kommen vom Umfang und der Qualität nicht in Ansätzen an die Zeitung heran.

Das sind zentrale Ergebnisse der Studie "Angebot, Vielfalt und Perspektiven lokaler und regionaler Medien in Thüringen", die heute (10.1.2025) in der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM) vorgestellt worden ist.

Einzigartige Untersuchung der lokalen Medienlandschaft

Die Studie ist im Auftrag der TLM und mit Mitteln der Staatskanzlei Thüringen von einem Forschungsteam bestehend aus Prof. Dr. Lutz Hagen vom Institut für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden (Projektleitung), PD Dr. Jens Woelke, Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster und mir, Peter Stawowy, FLURFUNK Dresden, erstellt worden.

Über 1,5 Jahre haben wir uns mit der lokalen Medienlandschaft in Thüringen befasst; zunächst haben wir in einer Vorstudie fünf Landkreise und Städte untersucht und dort die lokalen Medien erfasst und analysiert. Auf Basis der Erfahrungen der Vorstudie erfolgte dann die Untersuchung in allen Landkreisen und Städten in Thüringen.

Alle Kanäle in Thüringen untersucht

Um einen kleinen Einblick zu geben: Mein Job war es, alle (in Worten: alle!) lokalen und regionalen Medienkanäle für Thüringen zu finden und in einer Tabelle zu erfassen. Da ich am Anfang wirklich erstmal alles erfasst habe, hatte meine Tabelle phasenweise über 500 Einträge.

Dazu habe ich insgesamt 50 qualitative Interviews mit Thüringer Meinungsführern aus Medien, Politik, Zivilgesellschaft aus allen Landkreisen und kreisfreien Städten geführt, um auch wirklich sicherzustellen, dass uns kein Kanal durchgeht – wofür es, auch das ist ein Ergebnis, aber keine Garantie gibt. Denn die Medienlandschaft kann sich gerade bei digitalen Angeboten schnell verändern.

Prof. Dr. Lutz Hagen hat in der Folge in ausgewählten Regionen eine Inhaltsanalyse von ausgewählten Medienkanälen (unterstützt von Jens Woelke), eine repräsentative Bevölkerungsbefragung (Februar bis April 2024) sowie eine Onlinebefragung aller Anbieter (September 2024) durchgeführt.

Man kann wohl sagen: Eine so umfangreiche Untersuchung der lokalen Medienlandschaft eines Bundeslandes gab es bislang noch nie. Entsprechend umfangreich sind die Ergebnisse, die ich hier nur Schlaglichtern wiedergebe.

Bedeutungszuwachs für periphere Angebote

Um in Zahlen zu sprechen: Wir haben 77 Anbieter identifiziert, die 233 Angebote erstellen. Davon werden 36 Angebote für ganz Thüringen erstellt, 197 sind lokal bzw. regional ausgerichtet. Zählt man die Tageszeitungen nicht mit, gibt es 126 Angebote (s. Karte weiter unten im Beitrag). Als Angebote wurden separate Webauftritte/Homepages gezählt. Dazu zählen auch Auftritte, die eine Entsprechung als Printprodukt (Titel, Lokalausgabe) oder lineares Rundfunkprogramm haben.

Wie oben erwähnt: Noch gibt es für alle Landkreise und kreisfreien Städte Thüringens jeweils spezielle Lokalausgaben einer Tageszeitung. Aber Angebote, Vielfalt und Relevanz der Lokalzeitung – das weiß man aus anderen Untersuchungen – gehen weiter zurück.

Unsere Ergebnisse sagen: In Umfang und Qualitäten der Inhalte liefern die Tageszeitungen momentan noch mit Abstand die höchste Informationsqualität für die lokalen/regionalen Öffentlichkeiten. Und: In den peripheren Angeboten (Blogs, Portale, Gruppen im Social Web) spielt politische oder meinungsrelevante Information eine untergeordnete Rolle.

Es gibt zahlreiche andere Medienangebote

Aus meiner Sicht richtig spannend: Dachte ich am Anfang, ach, die paar lokalen Kanäle zu finden, wird kein Problem, war ich doch sehr überrascht, wie viele einzelne Angebote ich – jenseits von Tageszeitung, Radio-Angeboten aller Art, Lokalfernsehen und Anzeigenblättern – noch gefunden habe.

In vielen Fällen sind das Angebote im Netz, die wir in der Kategorie "periphere Angebote" zusammengefasst haben. Das können Blogs oder Portale, aber auch Profile in den Sozialen Netzwerken sein.

An der Stelle wichtig zu erwähnen: Wir haben am Ende nur Kanäle in die Liste aufgenommen, die einen bestimmten Kriterienkatalog erfüllen, etwa eindeutigen regionalen oder lokalen Bezug haben, eine verantwortliche Person vor Ort und eine publizistische Ausrichtung (also Nachrichten, Informationen und/oder Veranstaltungshinweise) erkennen lassen und eine gewisse Aktualität gewährleisten. Vor allem mussten sie öffentlich sein, weshalb geschlossene Gruppen im Social Web nicht betrachtet wurden.

Corporate Blogs (auch von politischen Institutionen) wurden also nicht aufgenommen. Amtsblätter und informative Webseiten von Kommunen haben wir erfasst (sie wurden auch in den Inhaltsanalysen und Befragungen mit untersucht), aus der Liste der Anbieter aber ausgeschlossen. Touristische Angebote wurden ebenfalls als "Corporate" betrachtet. Auch Influencer, die lokal vielleicht populär sind, aber keine lokalen Informationen verbreiten, kamen nicht in die Liste. (Am Rande angemerkt: Es gibt nur sehr wenige Influencer in Thüringen.)

In den Interviews habe ich zwar immer wieder auch nach großen lokalen Gruppen etwas bei Telegram oder WhatsApp gefragt, aber auch von denen gibt es sehr wenige. Was aber ohnehin nicht zu erfassen ist: komplett geschlossene Gruppen etwa in den Messenger-Diensten. Beispielsweise berichtete ein Interview-Partner von einer WhatsApp-Gruppe seines Dorfes, in dem alle wichtigen Nachrichten geteilt werden (auch die Artikel der Lokalzeitung, die eigentlich hinter der Paywall liegen!).

Netz-Angebote informieren nur schwach zu Lokalwahlen

Die gefundenen Angebote verteilen sich ausgesprochen ungleich über Städte und Kreise. Für manche Landkreise gibt es nur ein einziges, für andere bis zu 16 Angebote (s. Karte). Aus Inhaltsanalyse, Bevölkerungs- und Anbieterbefragung lässt sich allerdings ableiten: Diese peripheren Angebote sind nicht in Ansätzen Alternativen zur Tageszeitung.

Prof. Hagen sagt dazu:

"Öffentliche Gruppen oder Profile im Social Web liefern so gut wie keine gehaltvollen Informationen zur Meinungsbildung. Insbesondere wurde dort über die Lokalwahlen 2024 nicht näherungsweise angemessen informiert."

Die peripheren Angebote tragen tatsächlich zur Sichtbarkeit von Orten und Regionen bei, zeigen aber – vor allem im Vergleich zur Zeitung – nur geringe redaktionelle Aktivitäten. Das spiegelt sich auch in den redaktionellen Strukturen, die durch freiwillige Arbeit und Einzelkämpfertum geprägt sind. Entsprechend erzielen sie nur in ganz unzureichendem Umfang Einnahmen.

Befragung zur Mediennutzung

Am häufigsten werden zur Information über Lokales und Regionales übrigens öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen sowie private Radios genutzt – auch wenn diese Medien keine flächendeckende Lokalberichterstattung liefern, sondern landesweit ausgerichtet sind. Das hat die Bevölkerungsbefragung ergeben.

Lokalzeitungen und ihre Portale belegen nach der Nutzungshäufigkeit erst Platz vier, obwohl sie von einem Viertel der Thüringer noch als wichtigste Quelle lokaler/regionaler Information benannt werden und damit in der Bedeutung vorn liegen.

Spannend aus meiner Sicht dabei auch die Bedeutung von Anzeigen- und Amtsblättern, gerade im Vergleich zu Lokalfernsehen und Bürgerradios. Das bestätigt einen Eindruck, der schon lange diskutiert wird.

Online ist aber weiter auf dem Vormarsch: "Periphere Angebote aus dem offenen bzw. geschlossenen Social Web rangieren in der Altersgruppe der 14-bis 25-jährigen bereits auf dem dritten bzw. vierten Platz", sagt Prof. Hagen.

Beides zusammen lässt den Schluss zu: Medien und Kanäle mit eingeschränkten journalistischen Qualitäten gewinnen an Bedeutung.

Empfehlungen an die Medienpolitik

Aus den Ergebnissen lassen sich eine Reihe von Empfehlungen für die Medienpolitik ableiten, die Prof. Hagen so formuliert:

1. Mit der absehbar weiteren Abschmelzung der Lokalzeitungsangebote ist es medienpolitisch dringend geboten, Alternativen zu fördern. Dies gilt umso mehr, als die stark beschränkte Skalierbarkeit von Informationsmedien im regionalen/lokalen Bereich erfolgreiche Geschäftsmodelle erschwert. Derzeit sind die bestehenden Alternativangebote zur Tageszeitung in der Fläche insgesamt nicht leistungsfähig genug.

2. Es sind mehr und bessere Bildungsangebote zur Medien- und Informationskompetenz zu machen, sowohl im schulischen wie im außerschulischen Bereich. Das wird erstens daran deutlich, dass zunehmend Angebote zur Information über Lokales und Regionales genutzt werden, die keinen hohen journalistischen Standards genügen oder gar auf Partikularinteressen gerichtet sind. Zweitens daran, dass die Qualität lokaler/regionaler Medien durch die große Mehrheit der Bevölkerung eher unkritisch beurteilt wird. Medienbildung dient auch dazu Bürger:innen zu einer stärkeren Beteiligung an Bürgermedien zu befähigen und zu motivieren und an einer „redaktionellen Gesellschaft“ (Pörksen) zu beteiligen, in der journalistische Fähigkeiten kein Spezialwissen mehr darstellen, sondern eine Schlüsselkompetenz für die informierte Beteiligung an politischen Debatten.

3. Die Qualität medialer Angebote muss regelmäßig und systematisch evaluiert werden. Diese Studie liefert nur eine Momentaufnahme der Medienlandschaft, die sich sehr schnell und tiefgreifend wandelt. Der Beitrag, den Medien zur öffentlichen Meinungsbildung machen, ist aus der individuellen Perspektive ihrer Konsument*innen in vieler Hinsicht schwer zu erkennen. Oft gilt als Qualität vor allem, was die eigene Meinung bestätigt. Daher bedarf es einer regelmäßigen Qualitätsmessung nach allgemein anerkannten, empirisch prüfbaren Kriterien.

Jochen Fasco, der Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM), kommentiert die Ergebnisse so:

"Social Media-Profile, Online-Portale und kommunale Amtsblätter sind kein Ersatz für die Lokalberichterstattung in Zeitungen und Rundfunk. Lokale Medien sind für die Meinungsbildung in unserer Demokratie von entscheidender Bedeutung. Die Erhaltung und Förderung unabhängiger lokaler Qualitätsmedien sollten daher für uns alle oberste Priorität haben."

Hier findet sich eine Zusammenfassung der Ergebnisse als PDF (6 Folien), eine längere Fassung (38 Folien) hier.

Empfehlungen für die tägliche Praxis?

Die Studie von der TLM diente vor allem dazu abzuklären, wie es denn nun genau mit der Medienlandschaft aussieht, bevor man – wie in Sachsen geschehen – einfach mal Geld in die lokale Medienszene kippt.

Ich könnte jetzt eine ganze Reihe weiterer Empfehlungen und Beobachtungen aus der Untersuchung und besonders aus den Interviews hier anfügen, die sicherlich hilfreich sind für die tägliche Arbeit von Presse- und Öffentlichkeitsverantwortlichen – das war aber nicht Teil der Aufgabe.

Wer mehr wissen mag, kann gern eines meiner Seminare mit dem Titel "Publikum 4.0" besuchen oder zum Vortrag einladen. Hier entlang für mehr Infos.

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