Social Media im Wahlkampf

Da hat sich ganz schön was getan: Vor 15 Jahren haben wir noch fleißig Fanpage-Zahlen bei Facebook oder Twitter ausgezählt und über jedes neue Angebot berichtet. Befasst man sich heute mit dem Thema Social Media und Wahlkampf, erschlägt einen schier die Masse an Angeboten, Kanälen und Maßnahmen, die es gibt.

Ich habe es vor der Wahl des sächsischen Landtags in mehreren Interviews (MDR, Sächsische.de, ZDFheute) gesagt: Es ist in meinen Augen faktisch unmöglich, aktuell den kompletten Überblick zu behalten. Was man zu sehen bekommt, ist maßgeblich durch den Algorithmus und das individuelle Nutzungsverhalten beeinflusst. Gleichzeitig hat die Zahl der Netzwerke wie auch der Profile ordentlich zugenommen.

Das heißt im Umkehrschluss: Es ist inzwischen recht schwer zu bewerten, was erfolgreich ist – oder auch war – und was nicht.

Und doch gibt es aus dem sächsischen Landtagswahlkampf 2024 einige Beobachtungen und daraus abzuleitende Empfehlungen, die ich hier festhalten will. Auch mit dem Gedanken, dass die eine oder andere demokratische Partei das vielleicht als Diskussionsgrundlage versteht.

Also, hier meine

15 Beobachtungen zu Social-Media im Wahlkampf


1. Social Media ist Pflicht!

Davon bin ich überzeugt: Wer jetzt nicht bei Social Media aktiv ist, wird spätestens bei der übernächsten Wahl nicht mehr oder kaum noch stattfinden. Die sozialen Netzwerke, allen voran TikTok, spielen beim Erreichen der jungen Zielgruppen inzwischen eine sehr große, wenn nicht sogar die zentrale Rolle. Aber auch die Älteren sind inzwischen in den Netzwerken – auch bei TikTok – unterwegs.

2. Social Media ist anders

Was aus dieser Liste hoffentlich deutlich wird: Social-Media ist nicht vergleichbar mit der klassischen Kommunikation von früher. Man kann nicht einfach den klassischen Infostand vom Marktplatz ins Netz übertragen. Ich bin mir nicht sicher, ob das überall angekommen ist. Vielmehr habe ich den Eindruck, als würde Social-Media-Wahlkampf vielerorts als lästiger Teil der Kampagne betrachtet werden.

3. Social Media erlaubt Einordnungen und Deutungen

Viele Parteien überlassen offenkundig anderen die Deutungen, wie die eigene Arbeit und das tägliche Geschehen im Politikbetrieb zu bewerten sind. Kann man natürlich so machen, wenn man dann mit dem Ergebnis klarkommt (zum Beispiel, dass viele junge Leute AfD wählen).

4. Social Media braucht Kontinuität und Zeit

Es ist in meinen Augen fatal, Social Media nur im Vorfeld von Wahlen einzusetzen. Ich hoffe sehr, dass die Landesverbände der einzelnen Parteien wie auch einzelne Akteure jetzt dranbleiben und über das Wirken der eigenen Partei und ihre Positionen informieren.

5. Social Media lebt vom Liken und Teilen

Die "etablierten" Parteien, vor allem ihre Mitglieder und Mandatsträger, müssen endlich begreifen, dass gegenseitiger Support in den sozialen Netzwerken extrem wichtig ist. Die AfD macht es vor: Jede Menge Unterstützerinnen und Unterstützer (vielleicht auch Bots und Trolle) teilen, liken, kommentieren und greifen die verbreiteten Inhalte auf. Das mag so ein Algorithmus!

6. Social Media verträgt auch Inhalt

Es reicht nicht, immer nur zu dokumentieren, was man gerade alles tut oder getan hat. Die Kanäle müssen dazu genutzt werden, Vertrauen zu bilden und den oder die Politiker/in besser kennenlernen zu können. Da ist es immer hilfreich, sich als Mensch zu zeigen. Noch hilfreicher ist es, auch mal eine Meinung zu haben.

7. Social Media braucht Spannung

Schon mal den Begriff "Hook" gehört? Spätestens nach drei Sekunden, vermutlich noch früher, entscheiden die Nutzerinnen und Nutzer heute, ob sie ein Video weiterschauen oder nicht. Also: Man überlege sich bitte vorher, mit welcher Botschaft man die Nutzerinnen und Nutzer abholen will. Und nein, das sind sicher keine Begrüßungsfloskeln.

8. Social Media lebt von Persönlichkeiten

Und nein, es reicht nicht als Hook, dass man ein bekanntes Gesicht zeigt. Ich weiß gar nicht, wie viele Postings ich gesehen habe, die sich eigentlich nur an eine bestehende Fangemeinde richten konnten. Sind neue Fans und Follower so unerwünscht?

9. Social Media liebt Substanz

Viele Kandidatinnen und Kandidaten, ganze Parteien haben in diesem Wahlkampf gefühlt auf Stimmungen statt auf Themen gesetzt. Oder auf Gefahrenabwehr und Angstmacherei. Ja, das hat die AfD erfolgreich vorgemacht. Umso wichtiger wäre es, dem etwas inhaltlich entgegenzusetzen.

10. Social Media ist Kommunikation

Schon mal davon gehört, dass Social Media kein One-Way-Medium ist? Offenbar muss man das im Jahr 2024 noch einmal deutlich hervorheben. Ich habe im sächsischen Wahlkampf wirklich sehr sehr wenige Kommunikationsangebote gesehen. Bitter.

11. Social Media mag Beef

Auch das habe ich allenfalls in Ansätzen gesehen: Reaction-Videos und -Postings. Gemeint sind Beiträge, die sich mit den Inhalten von anderen auseinandersetzen und diese kommentieren. Ja, richtig, ich transportiere damit auch die Botschaft der Gegenseite. Na und? Das ist doch wohl auch der Kern des politischen Wettstreits in der Demokratie: Sich mit den Argumenten der Gegenseite auseinandersetzen (oder zu benennen, wenn es keine wirklichen Argumente sind)! Die AfD setzt das Instrument übrigens sehr häufig ein.

12. Social Media mag Emotionen

Emotionen – darauf setzen vor allem Parteien, die das Land schlecht reden und die Angst der Menschen vor der ungewissen Zukunft verstärken wollen. Ich bin ja der Meinung, das läuft sich irgendwann tot. An die anderen der Hinweis: Es würden sich auch noch andere, vielleicht positive Emotionen anbieten...

13. Social Media mag es lustig

Humor? Ei, ja, schon klar, das ist in der Politik überaus gefährlich. Aber Humor ist in den sozialen Netzwerken durchaus ein Faktor, um beim Publikum zu punkten (Stichwort: Memes). Überhaupt: Für sehr sehr viele Nutzerinnen und Nutzer sind die sozialen Netzwerke Unterhaltung. Da darf auch schon mal (über sich selbst) gelacht werden.

14. Social Media sind nicht nur die großen Netzwerke

Dark Social oder auch Dark Traffic bezeichnet Zugriffe, deren Quelle nicht bekannt sind. Das können Newsletter oder auch die kettenbriefartige Verbreitung von Links und Sharepics in Messenger sein. In Verschwörungskreisen soll das recht beliebt sein... Mir sind nur wenige Motive bekannt, die im sächsischen Wahlkampf 2024 ein Angebot in diese Richtung seinen sollten (hier spielt Punkt 4 wieder eine zentrale Rolle!).

15. Social Media ist nicht alles

Bei allen Empfehlungen hier: Nach wie vor ist völlig unklar, wie konkret der Einfluss von Social Media auf Wahlentscheidungen ist. Auch, wenn ich davon überzeugt bin, dass es ein Muss ist: Es darf auf keinem Fall "entweder oder" heißen. Die klassischen Wahlkampf-Instrumente – allen voran das Plakat, aber auch die Arbeit mit den Medien – sollten trotzdem nicht vernachlässigt werden.

Soweit meine 15 Punkte. Ich freue mich über Kommentare und Feedback!

Peter Stawowy


"Erfahren Sie von Aktualisierungen im FLURFUNK-Blog immer zuerst in unserem Telegram-Kanal: t.me/flurfunkdd."

"

1 Kommentar
  • tux0r
    September 4, 2024

    Gegenmeinung:

    Ich möchte nicht, dass Politiker im Internet sind. Es war da so angenehm entspannt, bevor sie kamen und alles regulieren wollten. Zu Wahlkampfzeiten ist es dort das genaue Gegenteil von entspannt. Politiker raus aus dem Internet!

    Und das sag' ich als Politiker. (Aber das ist nur ein Hobby.)

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.