Wie sieht die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus?

Die Zeit ist knapp und es steht einiges auf dem Spiel: Im Moment läuft im Hintergrund die politische Diskussion über die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Zentraler Dreh- und Angelpunkt sind die Vorschläge der Rundfunkkommission der Länder, die die Staatsverträge erarbeitet und koordiniert.

Nachdem die im Frühjahr ein Eckwertepapier veröffentlicht hat, liegt seit Juni ein erster Referentenentwurf vor. Und der hat es in sich.

Wie ist also der aktuelle Stand der Debatte? Ein Überblick.

Wird es eine Lösung in Sachen Beitragserhöhung geben?

Kurz zur Vorgeschichte: Zum 1.1.2025 steht eine Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro im Raum. Das ist die Empfehlung der KEF - der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten. Allerdings ist dafür – bislang zumindest noch – die Zustimmung aller 16 Landesparlamente der Erhöhung nötig, bevor die Ministerpräsidenten unterschreiben können (theoretisch alles bis Ende des Jahres, denn ab 1.1. soll der neue Beitrag schon gelten).

Mehrere Bundesländer haben schon lange im Vorfeld signalisiert, dass sie mit einer Erhöhung des Beitrags nicht mehr mittragen wollen. Nur, soviel ist inzwischen auch klar: Nach geltendem Recht ist die kommende Erhöhung vermutlich kaum aufzuhalten. Sollten die Landtage ablehnen, werden die ÖRR-Anstalten vermutlich vor Gericht ziehen, um die Erhöhung durchzusetzen (vgl. FLURFUNK vom 13.5.2024: "MDR-Intendant Ralf Ludwig: 'Wir müssen den Dialog intensivieren'"). Mit guten Chancen zu gewinnen, das war beim vergangenen Verfahrensgang schon zu erleben.

Das würde alle Beteiligten beschädigen.

Reformvorschläge liegen vor

Also waren die Medienpolitiker der Länder gefragt, einen neuen Vorschlag auf den Tisch zu legen. Das ist passiert: Im Rahmen einer Klausurtagung der Rundfunkkommission der Länder im Januar 2024 in Bingen am Rhein haben die Medienminister ein Eckpunktepapier (hier als PDF) verabschiedet. Aus dem Papier wird deutlich, dass die Medienpolitiker das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks reformieren wollen.

Das Kalkül in dem Prozess: Sollten die Reformen noch vor der Beitragserhöhung verabschiedet werden, könnten ab 2027 die Beiträge sinken. Der drohende Konflikt, sich vor Gericht zu treffen, könnte so abgewendet werden.

Aber wie sehen die Vorschläge zur geplanten Reform des Medienstaatsvertrags (Reformstaatsvertrag) nun aus?

Damit befasst sich eine aktuelle, von der Otto-Brenner-Stiftung herausgegebenen Studie, Autor ist der Medienrechtlicher Jan Christopher Kalbhenn. Das Papier trägt den Titel: "ARD, ZDF und DLR im Wandel: Reformideen und Zukunftsperspektiven" (hier als Download).

Die Studie analysiert vor allem das Eckpunktepapier der Rundfunkkommission der Länder sowie den Bericht des Zukunftsrats (Rat für die zukünftige Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Medien, hier als PDF). Der Autor der OBS-Studie Kalbhenn formuliert dazu auch eigene Vorschläge.

Um nur einige Punkte anzureißen: In der Diskussion sind sowohl der konkrete Auftrag der Anstalten (u.a. kulturell-förderale Vielfalt, Regionales, Qualitätsmaßstäbe, non-lineare Angebote) sowie strukturelle und organisatorische Themen (u.a. die verpflichtende Zusammenarbeit, Vermeidung von Mehrfachstrukturen sowie die Organisation der ARD).

Besondere Diskussionspunkte, die nach der Veröffentlichung aufgetaucht sind, sind die Themen Verweildauer und Presseähnlichkeit, die den Zeitungsverlagen natürlich gar nicht schmecken, sowie die Abschaffung des Drei-Stufen-Test.

Gremien begehren auf

Bemerkenswert in diesem ganzen Zusammenhang ist ein Interview, dass der Vorsitzende der GVK (Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD) Engelbert Günster der Süddeutschen Zeitung am 9.8.2024 zur laufenden Debatte gegeben hat. Titel des Interviews: "Wem fehlt der Mut für eine bessere ARD?" (€).

In der Einleitung des Interviews heißt es:

"Engelbert Günster leitet den Rundfunkrat des derzeit in der ARD federführenden Südwestrundfunks und ist damit Sprecher aller ARD-Gremien. Der frühere Vorsitzende der Geschäftsführung des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim äußert sich in diesem Interview – auch das ist ungewöhnlich – ausdrücklich in Übereinstimmung mit dem gesamten Präsidium der Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD. Hinter den Aussagen stehen also auch die Verwaltungs- und Rundfunkratschefs der Sender – eine gewichtige Allianz."

Oha.

Im Interview bringt Günster seine Verwunderung zum Ausdruck, warum es über den Referentenentwurf zum Reformstaatsvertrag keine breite öffentliche Debatte gibt. Denn der auf Basis des Eckwertepapiers erarbeitete Entwurf liegt inzwischen vor, ist aber bislang nicht öffentlich zu finden. Unterstützung bekommt Günster von Julia Jäckel, die Vorsitzende des Zukunftsrats, die sich bei LinkedIn deutlich unterstützend zu seinen Aussagen geäußert hat.

Was aber veranlasst Günster zu den Aussagen in dem Interview?

Zitat:

"Nach unserer Ansicht im Präsidium sollte in jedem Fall vermieden werden, dass die guten Ideen aus dem Referentenentwurf verwässert werden oder im Herbst unbearbeitet liegen bleiben. (...) Die Zeit ist allerdings knapp und ich ärgere mich daher über einzelne vorschnelle Wortmeldungen, in denen Bedenken am Referentenentwurf geäußert werden."

Sorge vor großflächigem Stellenabbau im ÖRR?

Weiter führt Günster aus:

"Eine zentrale Einheit der ARD für Infrastruktur und Verwaltung, in der alle Fäden zusammenlaufen, ist dringend nötig. Der Referentenentwurf für einen neuen ARD-Staatsvertrag sieht genau das vor (...) Die Zusammenarbeit zwischen den Landesrundfunkanstalten soll nun verpflichtend werden, ebenso wie die Zusammenarbeit mit ZDF und Deutschlandradio bei der Schaffung und dem Betrieb eines gemeinsamen technischen Plattformsystems. Ich fürchte allerdings, dass die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten zurzeit nicht mutig genug sind, diese Schritte zu gehen."

Denn:

"Der mutige Abbau von Mehrfachstrukturen wird auch den Personalbedarf mittelfristig deutlich verringern, und das mag sich später keine und keiner gerne vorhalten lassen, wenn im eigenen Bundesland über Stellenabbau geklagt wird."

Und nicht nur das: So eine übergeordnete ARD-Einheit würde vermutlich einen Teil der Gelder, die die Rundfunkanstalten bislang in das Thema Kooperation stecken, für sich einstreichen. Sprich: Die Landesanstalten müssten vermutlich auch etwas von ihren Beitragsgeldern abgeben.

Schlaglichter aus dem Referentenentwurf

Ich habe mir mal den Referentenentwurf mal besorgt und im Detail angeschaut. Und dann habe ich mich gefragt: Warum soll ich das alles für mich behalten?

Hier also meine Stichpunkte – und gleich der deutliche Hinweis: Das ist ein Referentenentwurf! Ein Zwischenstand! Selten wird so ein Papier 1:1 zur Gesetzesvorlage, zumal ja auch noch Lücken mit Klärungsbedarf drin sind.

Die Anstalten können noch Stellung nehmen (die offenbar nicht begeistert sind, s.o.). Unter Umständen haben auch einzelne Länder abweichende Interessen (was aus dem Günster-Interview deutlich wird).

Hier also meine Notizen zum "Diskussionsentwurf für einen 'Reformstaatsvertrag' – Gesamtsynopse" vom 19.6.2024:

Auftrag: Leistungsanalyse wird Pflicht/Einrichtung eines Medienrats

  • Der Auftrags-Paragraph soll laut dem Entwurf ergänzt werden mit dem Hinweis, dass die Anstalten "in ihren Angeboten zielgruppengerechte interaktive Kommunikation mit den Nutzern sowie verstetigte Möglichkeiten der Partizipation" zu nutzen haben;
  • außerdem sollen Partnerschaften mit Bildungs- und Kultureinrichtungen angestrebt werden, um die Medienkompetenz zu stärken;
  • es soll eine gemeinsame Strategie zur Sportberichterstattung geben, die den Sport in seiner Breite abbildet, ohne teurer zu werden;
  • eine Innovationsverpflichtung sowie der Publikumsdialog bzw. Gesellschaftsdialog werden Teil des Auftrags;
  • die vergleichbare Leistungsanalyse wird Pflicht – Kriterien sollen sein: Verfügbarkeit und Zugänglichkeit, Nutzung, Wirkung, Ausgewogenheit, Betrachtung der Angebotsteile, Innovationskraft.
  • Weiter wird die Einrichtung eines Medienrats vorgeschlagen, der eine zweijährliche externe Bewertung (Auftragsbericht) vornimmt. Der Medienrat besteht aus sechs unabhängigen Sachverständigen, die durch die bestehende Gremien gewählt werden. Im Referentenentwurf heißt es: "Stellt der Medienrat in einem oder mehreren Bereichen Mängel in den Verfahren und ihrer Anwendung oder erhebliche Mängel bei der Auftragserfüllung fest, haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten unverzüglich Maßnahmen vorzunehmen, um den Mängeln zu begegnen."

Fernsehprogramme: weniger Spartenkanäle

  • Die Veränderungsvorschläge sehen vor, dass ARD und ZDF jeweils einen Spartenkanal einstellen oder in OnDemand-Angebote überführen; KiKa soll explizit nicht betroffen sein.

Hörfunkprogramme: weniger Radioprogramme

  • Der Veränderungsvorschlag sieht vor, die Gesamtzahl der Hörfunkprogramme auf max. 55 zu beschränken (aktuell sind es insgesamt 64 Programme). Das bedeutet einen Abbau von rund 15 Prozent.

Telemedienangebote: enge Zusammenarbeit bei Technik und Administration

  • Die Telemedienangebote (Mediatheken/Audiotheken) sollen eine gemeinsame technische Plattform bekommen; wenn eine Anstalt eigenständige Angebote dieser Art betreiben will, muss sie dies begründen;
  • das Werbeverbot in den digitalen Angeboten soll konkretisiert werden;
  • noch offen ist, wie das Verhältnis von ÖRR und Presseverlagen geregelt werden wird (z.B. mit einer Verpflichtung zu mehr Kooperation oder einer Konkretisierung des Verbots der Presseähnlichkeit...);
  • die Zusammenarbeit in administrativen und technischen Bereichen und die Nutzung gemeinsamer sächlicher, technischer und personeller Kapazitäten, einschließlich Studios, soll verpflichtend werden – sofern die Auftragserfüllung oder der publizistische Wettbewerb nicht nachweislich gefährdet wird oder es wirtschaftlich keinen Sinn macht; die Zusammenarbeit wird alle zwei Jahre überprüft und in den Jahresabschlüssen dokumentiert;
  • "Die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio gründen für die Schaffung und den Betrieb eines gemeinsamen technischen Plattformsystems eine rechtlich selbstständige gemeinsame Tochtergesellschaft." Ziel: eine gemeinsam genutzte Infrastruktur unter Verwendung offener Standards; einschließlich Personalisierungs- und Empfehlungssystemen;
  • europäische Partner könnten an der Plattform mitwirken.

Steuerung und Finanzierung: Sportrechte, außertarifliche Vergütungen, Governance-Standards

Zu diesem Themenbereich sieht der Entwurf vor:

  • Die Anstalten werden verpflichtet, gemeinsame Governance-Standards zu entwickeln;
  • die Anstalten werden verpflichtet, ein klares und verständliches System für außertarifliche Vergütungen zu entwickeln, dass sich grundsätzlich am Gehaltsgefüge des öffentlichen Sektors orientiert;
  • die Anstalten bekommen einen gemeinsamen Rundfunkbeauftragten für den Datenschutz;
  • es soll einen gemeinsamen Kodex für den Einsatz von KI geben;
  • die Anstalten bekommen ein Gesamtbudget und können selbst darüber entscheiden, wie sie es einsetzen (unter Berücksichtigung der Maßgabe der Wirtschaftlichkeit);
  • die Anstalten müssen bei der Planung von Maßnahmen eine angemessene Wirtschaftlichkeitsuntersuchung durchführen; sie haben Personalkonzepte zur lang- und mittelfristigen Planung aufzustellen;
  • der Erwerb von Sportrechten soll in einem angemessenem Verhältnis zum Gesamtprogrammaufwand stehen;
  • entgeltliche Inhalteangebote sind verboten; damit auch kommerzielle Betätigungen der Töchter im Auftragsbereich;
  • die Verlinkung auf Presseartikel hinter Paywalls soll erlaubt sein;
  • die Programmierung digitaler Spiele, die die Auftragserfüllung unterstützen und einem öffentlich-rechtlichen Profil entsprechen, wird zulässig; Chats werden zulässig.

ARD: höhere Eigenständigkeit, verpflichtende Zusammenarbeit

  • Im aktuellen Entwurf wird der regionale Auftrag betont; jedoch steht dort auch die verpflichtende Zusammenarbeit bei überregionalen, nicht landesspezifischen Themen;
  • außerhalb des journalistisch-redaktionellen Bereiches sowie bei der technischen Infrastruktur wird die Zusammenarbeit im Rahmen einer gemeinsamen operativen Einheit organisatorisch gebündelt;
  • Kompetenzzentren werden konkretisiert;
  • "Die in der ARD zusammengeschlossenen Anstalten schaffen in Themenbereichen, die aus journalistisch-redaktionellen Gründen dafür geeignet sind, gemeinsame modulare Inhaltedatenbanken, die eine kooperative Nutzung der eingestellten Sendungen ermöglichen";
  • die ARD-Anstalten sollen einheitliche Kriterien zur Einteilung ihrer Programme in redaktionelle Kategorien und Zielgruppen festlegen;
  • die ARD soll einen Vorstand sowie einen Geschäftsführer und einen Programmdirektor mit klaren Zuständigkeiten und konkreten Aufgaben bekommen, die eigenverantwortlich  arbeiten (aber durch die ARD-Strategie gebunden sind). Das bedeutet höhere Eigenständigkeit der ARD;
  • die GVK soll weiterentwickelt werden und würde erstmals gesetzlich formulierte Aufgaben erhalten.

ZDF & Deutschlandradio: kollegiale Leitung

  • Das ZDF bekäme ein neues Organ: das Direktorium. Ziel: die Einführung kollegialer Leitung;
  • auch das Deutschlandradio würde ein Direktorium bekommen.

Finanzierung: Rationalisierungsmodell

  • Der aktuelle Vorschlag sieht vor, dass der Finanzbedarf möglicherweise(!) nur noch alle vier Jahre (bisher: zwei) angemeldet wird. Das ist aber erstmal nur ein Vorschlag, wie angemerkt ist;
  • um mehr Transparenz herzustellen, sollen die gemeinsamen Einrichtungen und Angebote bei der Finanzanmeldung künftig gesondert ausgewiesen werden;
  • die KEF soll mehr Befugnisse bekommen, zum Beispiel anlassbezogene Prüfungen zu Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit;
  • das im Entwurf vorgeschlagene Beitragsmodell nennt sich "Rationalsierungsmodell". Das geht so: Sofern die Bedarfsanmeldungen den Verbraucherpreisindex "abzüglich eines Rationalsierungsabschlags" (der noch beziffert werden muss) nicht überschreitet, bedarf es keiner Befassung der Landtage mit der Beitragserhöhung. Dadurch soll ein ständiger "Einsparanreiz" für die Anstalten geschaffen werden. Sollten ein Drittel der Landtage oder ein Drittel der Anstalten mit dem neuen Beitrag nicht einverstanden sein, können sie Einspruch einlegen.

Wie gesagt, das sind die Stichpunkte, die ich mir aus dem 129-Seiten umfassenden Referentenentwurf gezogen habe, um mal den Stand der Diskussion zu erfassen. Man darf sehr gespannt sein, was es davon in den finalen Gesetzesentwurf im Herbst schafft – und ob es der Medienpolitik damit gelingt, die Eskalation im Streit um die Beitragserhöhung abzuwenden.

Transparenzhinweis: Ich arbeite aktuell ebenfalls an einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung zu den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland.


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