Wird Ralf Ludwig am morgigen Montag (13.3.2023) zum nächsten MDR-Intendanten gewählt? Die Sitzung beginnt um 10 Uhr und ist – zum Teil – öffentlich. Wir sind auch vor Ort und werden berichten – aus unserer Sicht ein echter Krimi.
Im Vorfeld beantworten wir hier die wichtigsten Fragen.
Wer ist der Kandidat?
Der 54-jährige Ralf Ludwig ist nach einem aufwändigen Auswahlverfahren vom MDR-Verwaltungsrat vorgeschlagen worden (vgl. FLURFUNK vom 13.1.2023).
In der vergangenen Rundfunkfunkratssitzung hatte die Verwaltungsratsvorsitzende Birgit Diezel die Auswahl des Verwaltungsrats begründet (vgl. FLURFUNK vom 30.1.2023, ab der Zwischenüberschrift "29 Bewerbungen, drei Gespräche": "Bericht von der 211. Sitzung des MDR-Rundfunkrats").
Der studierte Wirtschaftswissenschaftler ist seit 1999 beim MDR, zunächst als Sachbearbeiter, später als Hauptabteilungsleiter Finanzen. Seit 2015 ist er Verwaltungsdirektor, seit 2020 in zweiter Amtszeit (vgl. FLURFUNK vom 6.7.2020).
Mehr über seine Vita findet sich in unserem MDR-Intendanz-Wiki.
Auch noch spannend: Die FAZ hatte am 8.3. ausführlich über die anstehende Wahl und den Kandidaten geschrieben – und sich u.a. bei anderen ARD-Anstalten umgehört.
Zitat:
"Er gilt im Senderverbund als Finanzmanager 'erster Güte' und als 'ein Schwergewicht' in fachlichen Fragen. Er stehe immer gut im Stoff und sei 'exzellent' vorbereitet. So sei er federführend bei Steuerfragen, habe mit Geschick und Einfühlungsvermögen den ARD-internen Finanzausgleich 2017 mit verhandelt und sei maßgeblich an Tarifverhandlungen beteiligt. Seit 2017 leite er mit 'Hartnäckigkeit und Konsequenz' die Arbeitsgruppe für die ARD-Verwaltungsreform."
Titel: "Wird Ralf Ludwig Chef des MDR mit 'Ruhegeld'?" (Text hinter der Paywall).
Gilt die Wahl von Ludwig als sicher?
Sicher ist, dass nichts sicher ist. Tatsächlich lassen sich keine Prognosen über den Ausgang des Termins morgen abgeben.
"Mein privates Geld würde ich darauf nicht verwetten", sagt ein Rundfunkrat im Vorfeld zu uns. Ein anderer meint: "Es gibt niemanden, der sagt, der Kandidat kann es nicht."
Wie uns berichtet wird, glühen derzeit die Telefonleitungen – es wird sich viel über den Kandidaten ausgetauscht. Dabei wird auch die Frage diskutiert, was die Alternative und die Konsequenzen wären, sollte Ludwig am Montag nicht gewählt werden (s.u.).
Was aus unserer Sicht aber sicher ist: Im MDR-Rundfunkrat gibt es keine organisierten politischen Freundeskreise.
Zwar ist bei unserer Recherche deutlich geworden, dass Kritik am Kandidaten und dem Auswahlverfahren ("Die Frösche bestimmen, wer neuer Chef im Teich wird?") politisch eher von Menschen kommt, die wir links verorten würden.
Aber: In beiden "Lagern" gibt es Befürworterinnen und Befürworter, genau wie Gegnerinnen und Gegner.
Unser Eindruck: Es gibt eine Reihe von Rundfunkratsmitgliedern, die für sich noch nicht entschieden haben. Wobei: Wir haben nur mit einer Auswahl gesprochen und haben uns Eindrücke wiedergeben lassen; außerdem wird innerhalb des Gremiums noch sehr viel kommuniziert.
Es ist also durchaus möglich, dass Ludwig gleich im ersten Wahlgang die notwendige Zweidrittel-Mehrheit erhält.
Was spricht für, was gegen den Kandidaten?
Zwar wird immer wieder betont, dass vor allem das Auswahlverfahren kritisiert wird und der Kandidat selbst nicht beschädigt werden soll (vgl. FLURFUNK vom 8.3.: "MDR-Intendanten-Wahl: Personalrat kritisiert Verfahren"), tatsächlich geht es aber im Kern um eine Frage:
Benötigt der künftige MDR-Kandidat einen journalistischen Hintergrund?
Es gibt viele gute Argumente, die für Ralf Ludwig sprechen – wie man etwa oben der FAZ entnehmen kann.
Befürworter sagen: Er kenne den Laden in- und auswendig. Er wisse, wo Ressourcen sind, die noch gehoben werden können, ohne an die journalistische Kompetenz heran zu müssen. Er komme aus der Region und wisse um die Identität der Menschen hier. Er gehöre politisch keinem Lager an, zumindest ist dazu nichts bekannt. Er habe das SAP-Projekt innerhalb der ARD gewuppt.
Kritiker halten dagegen: Er stehe nicht für so umfassende Reformen, wie sie der MDR – gerade in dieser schwierigen Zeit für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk – benötige. Er schaue nur durch Zahlen auf den Laden. Er stehe im Grunde für die Fortsetzung der Arbeit von Karola Wille, also für ein "weiter so". Ein Neuanfang sei so nicht möglich.
Und schließlich ist da noch das „Ruhegeld“, darüber hatten schon mehrere Medien berichtet, es war auch Thema im Brief des Personalrats (Link oben):
Zwar ist das üppige Ruhegeld für Personen in der Leitungsebene inzwischen abgeschafft. Ludwig hat aber in seinem Vertrag noch diese Konditionen – und würde diese, laut Brief des Personalrats ("Wir haben gehört...") wohl auch gern übernehmen.
Es ist davon auszugehen, dass das Thema morgen zur Sprache kommt und er sich dann dazu auch äußern wird.
Was sind die Herausforderungen?
Es gibt aktuell und vor allem zukünftig eine ganze Reihe von Herausforderungen für den MDR. Im Grunde steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk gerade vor einer kompletten Neustrukturierung.
Die Medienpolitik hat kürzlich einen Zukunftsrat eingesetzt, der grundlegende Strukturfragen beantworten soll.
Die Rundfunkkommission der Länder hat außerdem deutlich gemacht, dass ihr die Reformbemühungen der Intendantinnen und Intendanten seit Bekanntwerden der Vorgänge im rbb bislang nicht genügen. Und hat angefangen, von außen neue Pflöcke einzuschlagen.
Wobei: Wenn man in den bisherigen Strukturen denkt und ein "Weiter so" will, übernimmt Ludwig ein in der Summe sehr gut aufgestelltes Haus, an dessen Leitung er die vergangenen Jahre schon als stellvertretender Intendant beteiligt war.
Im Haus selbst wird aber auch von größeren „programmlichen Baustellen“ gesprochen: Beim Warnstreik vor einigen Wochen (vgl. FLURFUNK vom 21.2.2023: "MDR: Gewerkschaften rufen zum Warnstreik am Standort Leipzig auf") war die Streikbeteiligung so groß wie noch nie. Das Programm fiel teilweise aus. "Da brennt die Hütte. Das ist ein echtes Leipzig-Thema", sagt ein Insider. Gemeint ist damit in erster Linie der Bereich von Programmdirektor Klaus Brinkbäumer, der lieber das Riverboat moderiere, als den Laden zu schmeißen.
Ein anderes Thema gärt schon länger: Die Beteiligung der lokalen Produzentenlandschaft. Dazu gab es am Donnerstag einen Termin mit Vertretern der Branche, beiden Programmausschüssen und dem Haushaltsausschuss des Rundfunkrats. Vor Ort waren auch zwei Minister sowie Ludwig als Verwaltungsdirektor sowie beide Programmdirektoren.
Aus Kreisen der Rundfunkratsmitglieder heißt es, der MDR habe regelrecht auf der Anklagebank gesessen – immer mit der Frage: Warum bleibt so wenig Geld bei den Produzenten in der Region?
Das sind aber nur zwei Themen von vielen. Im Haus läuft nach wie vor der Umbau hin zu mehr Online, weg vom linearen Programm – ohne mehr finanzielle Mittel für die Redaktionen (Nachtrag 12.3., 14.40 Uhr: Es wurde beschlossen, 2023 einmalig 10 Mio. Euro mehr zur Verfügung zu stellen).
Das alles würde Ludwig dann jedoch erst ab November betreffen, wenn er gewählt würde – denn bis Ende Oktober ist Karola Wille noch ganz offiziell im Amt.
Wie genau läuft die Wahl am Montag ab?
Das ist neu und durchaus bemerkenswert: Ludwigs Vorstellung wird im öffentlichen Teil der Sitzung stattfinden.
Ob es dann eine öffentliche Rückfragerunde gibt und wie die Aussprache im Rundfunkrat läuft, war am Freitag nicht zu erfahren.
Ludwig benötigt eine Zweidrittel-Mehrheit. Zwei der 50 Rundfunkratsmitglieder haben für morgen abgesagt, d.h. bei 32 Ja-Stimmen wäre er gewählt.
Sollten die im ersten Wahlgang nicht zusammenkommen, hängt von verschiedenen Faktoren ab, ob es möglicherweise direkt im Anschluss einen zweiten und später sogar dritten Wahlgang gibt. Das entscheidet das Gremium selbst.
Zuerst einmal müsste sich der Kandidat selbst dazu bereit erklären, für eine weitere Runde zur Verfügung zu stehen.
Dann würde sicherlich eine Rolle spielen, wie knapp er die Zweidrittel-Mehrheit verfehlt hätte; wären es nur wenige Stimmen, bestünde ja zumindest in der Aussprache die Möglichkeit, dass sich einzelne Rundfunkratsmitglieder noch umentscheiden.
Diskutiert (eigentlich: spekuliert) wird auch, ob es möglicherweise Rundfunkratsmitglieder geben könnte, die sich im ersten Wahlgang enthalten, um damit zu signalisieren, dass sie nicht zu 100 Prozent mit dem Kandidaten einverstanden sind. Das wäre aber ein recht riskantes Spiel; sollten das viele spielen, könnte es auch sein, dass der Montag ohne die Wahl von Ludwig endet.
Wie gesagt: Alles nur Gedankenspielchen für den Fall, dass es im ersten Wahlgang nicht klappt.
Was, wenn er nicht gewählt werden würde?
Auch das ist ein großes Thema in der Diskussion über das Verfahren und den Kandidaten: Wäre das eine Beschämung des Verwaltungsrats? Wird er dadurch desavouiert (Übersetzung hier), wie es oft heißt? Und wäre damit dann der gesamte MDR beschädigt und in schwierigem Fahrwasser?
Ein Argument, das dazu öfter zu hören ist: Der Rundfunkrat hat den Verwaltungsrat gewählt und ihm damit sein Vertrauen geschenkt. Der Vorschlag des Verwaltungsrats war einstimmig: „Vertrauen wir dem Gremium, dem wir das Vertrauen geschenkt haben?“
Der Personalrat hatte in seinem Schreiben dagegen gehalten: Man habe beim rbb gesehen, was zu viel Vertrauen unter den Gremien anrichten könne.
Und noch ein Argument gibt es von den Gegnern Ludwigs: Die Erfahrung mit der Wahl von Wille statt Hilder hätte dem MDR eher gut getan.
So oder so: Sollte Ludwig am Montag nicht gewählt werden, hat der Verwaltungsrat das Recht, einen Monat später erneut einen Kandidaten vorzuschlagen. Das könnte dann theoretisch auch wieder Ludwig sein. Die Details zum Verfahren regelt der Staatsvertrag. Mehr zu den gesetzlichen Grundlagen in unserem Wiki.
Was aber auch im Rahmen unserer Recherche deutlich geworden ist: Niemand sieht im Augenblick eine bessere Alternative zu Ludwig. Es kursieren keine weiteren Namen. Und einen anderen Kandidaten zu finden, dürfte sicherlich nicht leichter werden, sollte Ludwig durchfallen.
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März 13, 2023
Wir sind auch vor Ort und werden berichten – aus unserer Sicht ein echter Krimi. ...
Liebe Kollegen. Das ist hier kein Krimi. Keiner wird sterben. Aber hier geht es um Glaubwürdigkeit, es geht um Aufsichtsgremien, hier geht es um nicht weniger als die Akzeptanz der öffentlich rechtlichen Sender. Eine der vier Säulen der Demokrtie.
... tatsächlich geht es aber im Kern um eine Frage:
Es geht nicht um die Frage, ob es ein Journalist*in sein sollte. Denn diese haben sich auch nicht gerade durch besondere moralische Stärken ausgezeichnet. Siehe RBB. Es geht darum, ob die nächste Intendant*in, die im übrigen eine Frau sein muss, wegen dem eigenem Anspruch der Vielfalt und Teilhabe, ob sie eine Kehrtwende in einer regionalen Anstalt, wie den MDR organisieren kann. Stärkung des Qualitätsjournalismus, angemessene Vergütungen aller Programmmacher - keine unangemessenen Altersbezüge, die Belegschaft motivieren und wieder eine feste, akzeptierte Säule der unabhängigen Berichterstattung zum Schutz unserer Demokartie zu sein. Und die Aufsichtsgremien müssen sich lösen von der Einflusnahme durch die Kontrollierenden. (Im übrigen sind nur zwei Amtszeiten möglich, als Rundfunkratsmitglied! Der DJV (JournalistenVerband) ist im Rundfunkrat zweimal vertreten, also sollte er seine Verantwortung wahrnehmen, auch bei der Wahl)
Liebe Grüße T. Archut - Produzent