Von Leonhard Pitz und Saskia Reimann
Die Pressefreiheit gehört zu den wichtigsten Gütern der liberalen Demokratie. Um sie zu schützen, hat die Europäische Kommission den European Media Freedom Act (EMFA) initiiert.
Aktuell wird der Vorschlag im Europäischen Parlament und im Ministerrat, dem Gremium der Mitgliedsstaaten, diskutiert. Doch Widerstand kommt von unerwarteter Seite.
Ausgerechnet die deutschen Bundesländer sind gegen die aktuelle Fassung des EMFA. Warum eigentlich? Und kann der EMFA am Ende sogar daran scheitern?
Was im European Media Freedom Act steht
Im September hat die Kommission ihren Entwurf für den EMFA vorgelegt.
Diese Verordnung soll die Medien- und Pressefreiheit in der Europäischen Union stärken. Die redaktionelle Freiheit soll geschützt werden - sowohl vor staatlicher Zensur wie auch Eingriffen der Verlegern.
Zudem will die Kommission eine europäische Medienaufsichtsbehörde schaffen, der europäische Medienmarkt soll harmonisiert werden und die Verordnung enthält Maßnahmen zum Quellenschutz und zur Regulierung staatlicher Werbeausgaben.
Ohne sie explizit zu nennen, zielt der EMFA vor allem auf Länder wie Polen oder Ungarn. In beiden Ländern verschlechtert sich die Lage der Pressefreiheit seit Jahren.
Sie gehören laut dem Ranking der NGO „Reporter ohne Grenzen“ gemeinsam mit (Griechenland und Bulgarien) zu den Schlusslichtern der EU.
Bundesrat rügt EU-Kommission – was bedeutet das?
Doch Widerspruch gegen den EMFA regt sich aktuell vor allem aus den deutschen Bundesländern. Diese kritisierten im Bundesrat den Vorstoß der Kommission als übergriffig. Denn im Falle von Deutschland ist die Medienpolitik Ländersache.
Laut dem sächsischen Medienminister Oliver Schenk teilten die Länder zwar die Absicht des EMFA, aber „mit ihrem konkreten Vorschlag schießt die EU-Kommission jedoch weit über das Ziel hinaus“.
Die Länder befürchten, dass der EMFA in seiner jetzigen Fassung die deutschen Strukturen von Presse und Rundfunk und deren Aufsichtsgremien umwirft.
So sei unklar, inwiefern der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk mit seinen Kontrollgremien dem Anspruch der EU-Kommission auf Staatsferne entspricht.
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz, sieht „die sehr realistische Gefahr, dass existierende, gut funktionierende Medienregelungen beschädigt werden können“.
Die Länder erteilten der EU-Kommission und ihrem EMFA eine Subsidiaritätsrüge. Dieses Instrument wird auch als Gelbe Karte bezeichnet.
Die Mitgliedstaaten oder deren Regionen rügen so einen Verstoß gegen das im EU-Recht verankerte Subsidiaritätsprinzip. Dieses besagt, dass alles von der kleinstmöglichen Ebene geregelt wird. Insgesamt ist das Verfahren eher symbolisch. So bemängelt auch die hessische Medienministerin Lucia Puttrich (CDU) im Bundesrat: „Leider hat sich dieses Instrument bisher als schwach bis untauglich erwiesen.“
Auf der einen Seite seien die Hürden sehr hoch: In nur acht Wochen nach Übermittlung des Vorschlages der EU-Kommission müsse ein Drittel der nationalen Parlamente der EU die Subsidiaritätsrüge erheben. „Auf der anderen Seite ist die Folge nach dem Erreichen dieses Quorums lediglich, dass die EU-Kommission ihren Vorschlag überprüfen muss“, sagte Puttrich.
Wie ein Europaabgeordneter den Entwurf sieht
Im Europaparlament kommt der Vorstoß nicht bei allen Abgeordneten gut an, etwa bei Niklas Nienaß (Grüne), der sich als Mitglied des Ausschusses für Kultur und Bildung (CULT) mit dem EMFA beschäftigt.
Im schlimmsten Fall, befürchtet Nienaß, sei die Aussage, die in Europa ankomme: „Wir haben Sorge darum, dass uns ein bisschen reingeredet wird und was wir mit den Medienanstalten machen – und deswegen verhindern wir, dass in Polen und Ungarn eine freie Medienlandschaft entsteht.“
Gerade die Strukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seien in Deutschland zwar sicher speziell, aber deswegen nicht unbedingt unantastbar, so Nienaß.
„Nur deshalb, weil man jetzt Angst hat, dass man selbst mit den eigenen Strukturen, die nicht so ganz koscher sind, vielleicht nicht durchkommt beim EMFA, anderen Mitgliedstaaten und auch anderen Journalisten quasi die Freiheit zu verwehren und die Sicherheit zu verwehren, freie Arbeit leisten zu können, finde ich schon ein starkes Stück.”
Nienaß findet: „Europa kann die Instanz sein, Kunst- und Kultur- und Medienfreiheit zu gewährleisten”. Hundertprozentig zufrieden mit dem Entwurf sei aber auch seine Fraktion nicht.
So sei im EMFA-Entwurf nicht klar, wie sich die strikte Trennung von Verlegern und Journalisten auf selbständige Journalistinnen und Journalisten auswirkt. „Die können sich ja nicht von sich selbst trennen”. Hier müsse man auf die Details achten.
Angesprochen auf das Problem der Medienkonzentration, bemängelt Nienaß, dass allein die Trennung von Journalist und Verleger nicht ausreiche: „Soweit ich das sehe, müsste man eigentlich viel mehr dagegen tun, ich werde sehen, was wir da noch von unserer Seite aus einbringen.”
Besonders treibt den Abgeordneten aber um, dass man sich in Ungarn wenig besorgt zeige, was den EMFA angeht. Dass der EMFA den Zustand der Pressefreiheit dort verbessert, wo diese besonders bedroht ist, sei „die große Hoffnung dahinter und auch die einzige Begründung” für den Rechtsakt.
„Ansonsten ist der Sinn verfehlt”, konstatiert Nienaß. Hier komme es auf die technischen Details an.
Zeitplan und Kompetenzgerangel: So geht es jetzt mit der Verordnung weiter
An diesen wird in den nächsten Monaten gearbeitet. Laut dem Grünen Abgeordneten werden im CULT-Ausschuss zunächst Meinungen (auch aus anderen Ausschüssen) gesammelt und sich auf eine gemeinsame Position verständigt.
Anschließend gehe es in sogenannte Trilog-Verhandlungen mit dem Ministerrat, erklärt Nienaß. „Ich würde hier schon schätzen, dass wir so zwei Jahre insgesamt brauchen”.
Aktuell werde aber noch gestritten, welcher Ausschuss wie zuständig sei.
Kompetenzgerangel gibt es aber nicht nur dort. Auch in Deutschland kracht es zwischen Bundesregierung und den Ländern.
Zwar hat die Bundesregierung den Ländern mittlerweile die Verhandlungsfrage übertragen, wie der sächsische Regierungssprecher Ralph Schreiber FLURFUNK bestätigt. Dies geschah allerdings erst nach öffentlichen Beschwerden der Länder im Bundesrat.
Angesichts der vielen offenen Fragen und der langen Verhandlungsrunden, ist unklar, ob der EMFA überhaupt kommt.
Aus Brüsseler Kreisen heißt es, dass der EMFA ein Projekt der Kommissionspräsidentin sei. Und deren Posten steht spätestens mit der Europawahl im Frühjahr 2024 wieder zur Debatte.
Hinweis: Die Recherche für diesen Artikel wurde unterstützt durch das EU-Hospitanzprogramm der Journalist_innenAkademie der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Bild: Photo by Guillaume Périgois on Unsplash
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