Mastodon vs. Twitter: Sollten staatliche Institutionen das Netzwerk wechseln?

Es dürfte wohl niemandem entgangen sein: Die Veränderungen in den Eigentumsverhältnissen bei Twitter haben eine Abwanderung von Nutzerinnen und Nutzern zur Folge, die künftig einen Bogen um das Netzwerk machen wollen.

Ob das tatsächlich dauerhaft so bleibt oder nur eine kurze Modeerscheinung ist, bleibt abzuwarten. Aber anders als beispielsweise bei Clubhouse (vgl. FLURFUNK vom 20.1.2021: "FLURFUNK-Podcast 60: Wir haben Clubhouse ausprobiert, damit Ihr es nicht müsst!"), das nach kurzer Zeit wieder aus der öffentlichen Diskussion verschwanden, hält die Aufmerksamkeit für Mastodon aktuell schon ganz schön lange an.

Das könnte ein Indiz dafür sein, dass daraus mehr wird als ein kurzer Hype.

In den vergangenen Tagen begegnete mir vermehrt die Frage, ob es sinnvoll ist, sich als (staatliche) Institution von Twitter abzuwenden und bei Mastodon einen weiteren Kanal anzulegen - oder zumindest zeitweise parallel zu fahren.

Was genau ist Mastodon?

Zunächst noch ein paar Eckdaten, was Mastodon eigentlich ist:

"Mastodon ist ein verteilter Mikroblogging-Dienst, der seit 2016 von Eugen Rochko und der von ihm in Jena gegründeten und in Berlin ansässigen Mastodon gGmbH entwickelt wird. Im Gegensatz zu großen vergleichbaren Plattformen wie Twitter ist Mastodon als dezentrales Netzwerk konzipiert. Der Dienst basiert dadurch nicht auf einer zentralen Plattform, sondern besteht aus vielen verschiedenen Servern, die von Privatpersonen, Vereinen oder sonstigen Stellen eigenverantwortlich betrieben werden können und miteinander interagieren."

So ist bei Wikipedia zu lesen. Eine Vorstellung und Besprechung ist auch in diesem Video (17 Min.) zu finden:

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Hier in Kurzform:

  • Mastodon ist ähnlich wie Twitter ein Dienst für Microblogging.
  • Bei Mastodon stehen den Usern 500 Zeichen zur Verfügung (bei Twitter bislang nur 280).
  • Anders als bei Twitter laufen bei Mastodon die Nachrichten chronologisch auf – es gibt keinen Algorithmus, der die Nachrichten personalisiert und sortiert.
  • Die Nachrichten heißen dort "Tröts" (engl. Toots), die Retweets "Boost". Statt Herzen gibt es Sternchen.

Größter Unterschied aber: Mastodon ist nicht kommerziell orientiert und finanziert sich durch die Arbeit von Freiwilligen und durch Spenden. Freiwillige betreiben also private Server, sogenannte Knotenpunkte. Die werden im Hintergrund zu einem großen sozialen Netzwerk verbunden, dem sogenannten "Federated Universe", kurz Fediverse.

Wobei Mastodon nur ein Teilangebot des Fediverse ist (hier bei Wikipedia mehr dazu).

Mastodon für staatliche Institutionen?

Stellt sich die Frage, ob staatliche Institutionen, die bislang schon Twitter-Kanäle betreiben, bei Mastodon aktiv werden sollten. Aktuell sind aus Sachsen bislang nur sehr wenige staatliche Institutionen dort zu finden (wir freuen uns über Hinweise, sollten wir etwas übersehen haben!).

Die Sächsische Datenschutzbeauftragte Juliane Hundert hat in einer Pressemitteilung vom 3.11. bekannt gegeben, jetzt einen Mastodon-Account zu betreiben. Aktuell folgt der Account @sdb@bfdi.bund 9 Personen. Der Account hat 663 Folgende und 16 "Tröts" seit Anfang November abgesetzt (Stand: 29.11., 9.15 Uhr).

Die Zahl der Verfolger hat sich seit Freitag um ganze sechs erhöht.

Auch die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) gehört zu den frühen Vögeln. Der Account @slpb@bildung.social liegt bei 119 Personen, denen gefolgt wird, 62 Followern und 6 "Tröts" (Stand: 9.23 Uhr). Freitag waren es noch 57 Follower.

Bislang noch - vor allem im Vergleich zu Twitter - keine weltbewegenden Zahlen. Wobei meine Erfahrung auch zeigt: Wenn man dort aktiv ist, kommen mit der Zeit auch immer wieder Follower dazu (mein Account ist unter @owy@dresden.network zu finden).

Rund 10 Prozent des alten Netzwerks

"Wir haben bis auf die Einrichtung bislang nicht viel dort gemacht", sagt Fabian Soding, Referent für politische Bildung online bei der SLpB.

Die Beweggründe sind schnell erklärt: Die aktuellen Entwicklungen bei Twitter, die zurückgehende Content-Moderation dort, das Datenschutz-Thema und die generelle Problematik, was behördliche Regelungen und den Umgang der sozialen Netzwerke betrifft, hätten für die Anmeldung bei Mastodon gesprochen.

"Wir sind seit zwölf Jahren bei Twitter und hatten auch Sorge, unser Netzwerk zu verlieren", sagt Soding. Ein Mitarbeiter der Landeszentrale für politische Bildung des Saarlands betreibt schon länger den Server bildung.social, dort hat die SLpB auch ihren Account angelegt.

Allerdings, das gibt Soding zu (und da geht es ihm wie mir): Nutzt man Tools wie Fedifinder, die die Bios bei Twitter nach Hinweisen Mastodons-Accounts scannen, finden sich bislang nur 10 Prozent des alten Netzwerkes bei Mastodon wieder.

Als sehr positiv bewertet Soding den fehlenden Algorithmus bei Mastodon - zumindest bislang. Aus seiner Sicht bedeutet das für diejenigen, die sich jetzt anmelden, dass sie mit wenig Aufwand einige Sichtbarkeit herstellen können. "Das spricht dafür, eigentlich sofort und so schnell wie möglich einzusteigen", so Soding.

Es gibt auch Nachteile

Es gibt aber auch Nachteile: Einmal ist es natürlich frustrierend, wenn man Twitter für die Öffentlichkeitsarbeit nutzt, den über Jahre aufgebauten Follower-Stamm fast komplett zu verlieren.

Dann ist aktuell noch unklar, wie sicher Mastodon wirklich ist, was etwa die Beständigkeit der Server/Instanzen betrifft. Zur Einordnung sei dieser Blogbeitrag zu empfehlen: "Twitter-Alternative Mastodon: Hitlergruß nach Feierabend".

Für staatliche Institutionen würde das im Grunde bedeuten, einen eigenen Mastodon-Server zu betreiben – um sicher gehen zu können, dass der heimische Server nicht irgendwann wieder verschwindet.

So machen es auch die Datenschützer: Der Server social.bund wird vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) gehostet. Die Instanz ist ausschließlich Behörden vorbehalten und wird inzwischen auch von verschiedenen Bundes-Institutionen wie dem Bundespresseamt (@Bundespresseamt@social.bund.de, 20K Follower) genutzt.

Hier die Vor- und Nachteile noch einmal zusammengefasst, die aus unserer Sicht für oder gegen eine Anmeldung durch Institutionen bei Mastodon sprechen:

Vorteile, die für einen Mastodon-Account sprechen:

  • Dezentrales Netzwerk ohne Person an der Spitze (mit politischer Agenda)
  • keinerlei kommerzieller Hintergrund
  • kein Algorithmus
  • im Moment zumindest noch: angenehmes Kommunikationsklima

Nachteile, die gegen einen Wechsel zu Mastodon sprechen:

  • alte Reichweiten, über Jahre aufgebaut, gehen verloren
  • Abhängigkeit von der jeweiligen Instanz - der Betreiber kann theoretisch die DMs mitlesen und die Daten hängen auch von seinem technischen Geschick ab (Nachtrag, 10:46 Uhr: Bei Mastodon aus dem Fediverse kommt folgender Hinweis: "Hier hätte dazugehört, darauf hinzuweisen, dass Daten und DM's bei Twitter oder Facebook nicht sicherer sind als bei Mastodon. Im Gegenteil: sowohl FB als auch Twitter haben NutzerÏnnendaten nicht nur mitgelesen, sondern jahrelang verkauft, sowohl für Werbung als auch für Wahlkampf.")

Wobei der Schritt zu Mastodon ja nicht zwingend Entweder-oder bedeuten muss: Die SLpB betreibt weiterhin ihren Twitter-Account, genauso, wie sie weiter in anderen sozialen Netzwerken aktiv ist.

Bei mir hat der Mastodon-Account (@owy@dresden.network) tatsächlich dazu geführt, dass ich jetzt einfach eine App mehr auf dem Smartphone habe; und aktuell dort auch zuerst alle Tweets zu meinen inhaltlichen Angeboten absetze.

In den letzten Tagen hat sowohl mein Twitter-Account @pstawowy nahezu keinen Inhalt mehr bekommen; den Twitter-Account @flurfunkdd habe ich bei neuen Meldungen entweder gar nicht oder deutlich später als Mastodon bedient.

Kommen die Corporate-Blogs zurück?

Wobei ich übrigens schon vor über 10 Jahren, den Hinweis kann ich mir hier nicht verkneifen, in zahlreichen Workshops gepredigt habe: "Verlassen sie sich nicht komplett auf externe Anbieter!"

Ich habe mich immer bewusst für meine eigene Seite, mein eigenes Blog entschieden, um nicht in Abhängigkeit von etwa einem sozialen Netzwerk zu kommen.

Institutionen wie das Sächsische Kultusministerium (SMK), das schon 2015 ein eigenes Blog eingerichtet hat, haben nun einen echten Vorteil – dort ist man unabhängig von Twitter, das nur ein Ausspielweg der Informationen ist (vgl. FLURFUNK vom 2.11.2015: "Pressestelle des sächsischen Kultusministeriums startet SMK-Blog"). Die jährlichen Zugriffszahlen dort gingen in der Corona-Phase in die Millionen-Höhe - sicherlich auch dem besonderen Informationsbedarf in der Pandemie-Zeit geschuldet. (Hinweis, ich habe den Satz nachträglich etwas angepasst und die Aussage über die Mio.-Zahlen noch mal klarer der Corona-Zeit zugeschrieben.)

Insofern ist auch die Einrichtung des ZUKUNFTblog des SMWA der strategisch richtige Schritt (vgl. FLURFUNK vom 13.9.2022: "ZUKUNFTblog: SMWA startet neuen Medienkanal").

Übrigens: Auch die SLpB verfügt schon länger über ein eigenes Blog.

P.S.: Noch während der Entstehung dieses Beitrags erreichten uns die Hinweise, dass sowohl das Medienkulturzentrum Dresden (@mkz@bildung.social) als auch der DJV Sachsen (@DJVSachsen@dresden.network) zu finden sind. Wenn Sie für eine Institution oder einen Verein aus Mitteldeutschland einen Account betreiben, geben Sie uns einen Hinweis - wir erstellen dann zeitnah eine (subjektive) Empfehlungsliste.

Nachtrag, 10.49 Uhr: Bei Mastodon kommt Kritik an meinem Beitrag, die ich hier nicht unterschlagen will, weil ich sie wichtig finde. Zitat u.a.: "Weiterhin scheitern Sie m.E., wie so viele beredte Mastodon-ErklärerÏnnen vor Ihnen, zu erkennen, dass Mastodons zweiter, dritter und vierter großer Unterschied zu Twitter (neben der Dezentralität) die Möglichkeit des Profilumzugs, der OpenSource-Ansatz und die Eingebundenheit ins #Fediverse via activitypub ist. Diese vier Eigenschaften machen m.E. einen social media- Paradigmen-Wechsel möglich zu einem wieder mehr NutzerÏnnen-getriebenen Internet, in dem nicht-kommerzielle Akteure (Kommunen, Vereine, Bibliotheken ...) wieder eine größere Wirkung/Macht bekommen, als das in den letzten 15 der Fall war." Hier der ganze Kommentar.

Transparenz-Hinweise: Das SMK war bei der Einrichtung des Blogs 2015 einer meiner Beratungskunden. Ich habe außerdem in jüngerer Vergangenheit 2x als Autor für das SLpB-Blog geschrieben. 

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1 Kommentar
  • Andreas Szabo
    November 30, 2022

    Aus journalistischer Perspektive aktuell ein fast KO-Kriterium bei Mastodon: die nicht mögliche/vorhandene Volltext-Suchfunktion. Hashtags kann ich zwar abonnieren; eine tiefe Recherche über Instanzen hinweg und das verfolgen aktueller Themen am anderen Ende der Welt mittels globaler Suchfunktionen und Trends, wie es Twittet bietet, ist bei Mastodon nicht möglich, das schmerzt wirklich, dass es das nicht gibt und dass das wohl auch gar nicht erwünscht ist bei dem Konzept.

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