Weiterhin beschäftigt die Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die derzeitige Diskussion.
Schon im September hatten wir deswegen ausgewählte Mitglieder des Rundfunkrats des MDR gefragt (Alle bisherigen Interviews finden Sie am Ende dieses Beitrags verlinkt):
Wie ist das eigentlich beim MDR mit der Kontrolle durch den Rundfunkrat? Ist das Gremium ausreichend mit Personal und Mitteln ausgestattet? Wie läuft das mit der Kontrolle beim MDR? Und was bedeutet der Skandal beim RBB für den übrigen ÖRR?
Uns hat ein weiteres Mitglied des Rundfunkrats geantwortet, die schriftlichen Antworten lesen Sie unten.
"Vorgänge auf den Tisch, BEVOR sie in der Außenwelt diskutiert werden"
Marco Langhof ist als Vertreter der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände Sachsen-Anhalt im 7. Rundfunkrat. Er ist hauptberuflich IT-Unternehmer, Vorstandsvorsitzender verschiedener Wirtschaftsverbände sowie Arbeitgeberpräsident in Sachsen-Anhalt.
Er war außerdem Mit-Initiator eines Antrags, der in der vergangenen Rundfunkratssitzung unter Top 7: "Mögliche Stellungnahme des MDR-Rundfunkrates zu den aktuellen Geschehnissen im RBB und in der ARD" diskutiert wurde (vgl. FLURFUNK vom 10.10.2022: "Bericht von der 208. Sitzung des MDR-Rundfunkrat")
Seine Antworten auf unsere Fragen:
FLURFUNK: Was bedeutet der RBB-Skandal für den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Arbeit der ÖRR-Gremien?
Marco Langhof: Der rbb-Skandal hat eine – vermutlich in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einmalige – gesamtgesellschaftliche Diskussion in die Wege geleitet, die natürlich auch immer wieder die Verantwortung und die Rolle der Aufsichtsgremien mit in den Fokus nimmt. In meiner Wahrnehmung kristallisiert sich die Kernfrage heraus, ob Rundfunkräte quasi als gut gemeinte ‚Wagenburgen‘ um die jeweiligen Sender aufgestellt sein sollen oder nicht besser doch die sie umgebenden Netzwerke freundschaftlich-kritischer Beobachter und Impulsgeber.
Aus meiner Sicht notwendig wäre es, dass der Rundfunkrat der erste und schärfste – wenn auch freundschaftliche – Kritiker des jeweiligen Senders ist, ihn jederzeit hinterfragt und in Frage stellt und auf diese Weise dafür sorgt, dass Vorgänge auf den Tisch kommen, BEVOR sie in der Außenwelt diskutiert werden. So können idealiter rechtzeitig die richtigen Antworten vorliegen bzw. Maßnahme in die Wege geleitet worden sein. Nur aus einem solchen Verständnis heraus können Gremien auf Vorgänge wie der aktuellen Glaubwürdigkeitskrise des ÖRR adäquat reagieren und somit die Autorität der Gremien erhalten. Und das ist wichtig, denn die Autorität der Kontrollgremien ist Bestandteil des Vertrauenskonstruktes ÖRR.
FLURFUNK: Ist der MDR Ihrer Meinung nach ausreichend kontrolliert?
Unternehmen im allgemeinen und Medienunternehmen im Besonderen sind lebendige Organismen – sie müssen die Möglichkeit haben, sich zu entwickeln und sich an veränderte Randbedingungen anzupassen. Sie sind jedoch auch Netzwerke von Menschen und agieren in komplexen sozialen Systemen, in denen Akteure alle möglichen Rollen einnehmen können – vom Bürger über den politischen Akteur, den wirtschaftlichen Akteur bis hin zum Kultur- und Medienschaffenden. Dies schafft viele Beziehungsgeflechte, die mittelbar und unmittelbar, dokumentiert oder undokumentiert, reaktiv oder antizipierend wirken können – übrigens agieren selbst die ‚Kontrolleure‘ in solchen Geflechten.
Vor diesem Hintergrund steht die Frage, was ‚ausreichend kontrolliert‘ eigentlich bedeutet. In meiner Sicht bedeutet Kontrolle, wesentliche Entwicklungen zu identifizieren, genau zu beobachten, zu hinterfragen, aktiv nach Fehlentwicklungen zu suchen, diese zu identifizieren und zu beseitigen. Relevant ist und bleibt eine solche Kontrolle dann, wenn sie sich um immer neue Sichtwinkel bemüht, sich nicht mit eingeübten Ritualen zufriedengibt, wenn sie sich traut, tradierte Abläufe und Gewissheiten in Frage zu stellen und den etablierten Autoritäten eine eigene Autorität entgegenstellt. Ich für meinen Teil bin mir sicher, dass wir uns als Rundfunkrat in genau solch einem Prozess gerade befinden.
FLURFUNK: Ist der MDR-Rundfunkrat ausreichend ausgestattet, um seine Aufgaben zu erfüllen?
Der Gesetzgeber hat den Rundfunkrat so gestaltet, wie er nun einmal ist und hierbei viele Randbedingungen gesetzt. Durch diese Randbedingungen wird es jedoch – und diese ist beobachtbar – immer unwahrscheinlicher, dass Medienfachleute und -praktiker als Mitglied im Rundfunkrat tätig werden. Umso wichtiger ist es, dass sich der Rundfunkrat, der sich durchaus aus vielen lebens-klugen Menschen mit verschiedenen Perspektiven und Meinungen zusammensetzt – durch medienfachliche und medienrechtliche Spezialisten verstärkt und auf deren Sachverstand in der fachlichen Bewertung von Einzelfragen jederzeit zurückgreifen kann.
FLURFUNK: In der Diskussion um den RBB fiel in der Berichterstattung bezüglich des Rundfunkrats dort das Wort "Abnick-Gremium“: Wie groß ist der Einfluss der MDR-Intendanz auf die Arbeit des MDR-Rundfunkrats?
Ich habe selbst als Vorstand einer Stiftung die Zusammenarbeit mit meinem Aufsichtsgremium mitgestalten dürfen und weiß daher um die Ambivalenz des Themas. Einerseits ist es aus Sicht des operativen Managements sinnvoll und effektiv, wenn Themen ‚geräuschlos durchlaufen‘ – andererseits möchte in den Gremien niemand immer nur ‚zustimmen‘ und ‚genehmigen‘. Mein Vorschlag an die Intendanz wäre, die Gremien nicht nur als Kontroll-, Zustimmungs- und Genehmigungsinstanzen zu verstehen, sondern für wichtige Themen á priori auch als Beratungs- und Diskussionspartner, die zu grundlegenden Fragen bereits vor der Umsetzung Richtungen benennen und Empfehlungen aussprechen und Erfolgskriterien festlegen können.
FLURFUNK: Gibt es etwas, was sich Ihrer Meinung nach beim MDR-Rundfunkrat ändern sollte?
Ich erlebe den Rundfunkrat als eines der arbeitsintensivsten Gremien, die ich je kennengelernt habe. Um seine Arbeit zu fokussieren und weiter zu verbessern, sollte der Rundfunkrat selbst – und dazu benötigt es gar keine zusätzlichen Ressourcen – seine Effektivität erhöhen. Noch wird ein und dasselbe Thema oft in verschiedenen Ausschüssen, den jeweiligen Landesgruppen und schlussendlich im Rundfunkrat selbst vorgetragen – hier sollten Redundanzen vermieden und das Vertrauen in die Ausschüsse gestärkt werden.
In dieser Interview-Reihe bereits erschienen sind:
- "Dietrich Bauer, MDR-Rundfunkratsvorsitzender: 'Qualität ist das entscheidende Merkmal'" (31.8.2022)
- "Dirk Panter: 'Im MDR herrschen andere Regeln und andere Standards'" (2.9.2022)
- "Heiko Hilker: 'Die Politik macht sich einen schlanken Fuß'" (6.9.2022)
- "Andreas Nowak: 'Der RBB-Skandal kann nicht isoliert gesehen werden'” (6.10.2022)
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