MDR-Staatsvertrag: DJV schreibt Brandbrief wegen nachträglicher Änderung

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Ein "Anliegen von höchster Brisanz": Damit beginnen die drei Landesverbände aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen des Deutschen Journalistenverband (DJV) einen Brandbrief, der gestern (4.2.2021) an alle medienpolitischen Sprecher der Landtagsfraktionen in den drei MDR-Ländern ging.

Grund ist eine redaktionelle Änderung im MDR-Staatsvertragsentwurf, die erst nach Anhörung des DJV vorgenommen worden ist.

Wörtlich schreiben die DJV-VertreterInnen:

"Darin ist der Versuch zu sehen, die betriebliche Mitbestimmung für einen Großteil der MitarbeiterInnen des MDR schlichtweg zu verhindern."

Nach FLURFUNK-Informationen will sich Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, in dieser Angelegenheit auch noch direkt an die drei Ministerpräsidenten wenden.

Änderungen erst nach Anhörung

In dem Schreiben der DJV-Landesverbände an die medienpolitischen Sprecher der Fraktionen ist zu lesen:

"Der DJV ist als Journalisten-Gewerkschaft und -Berufsverband im November 2020 von der Thüringer Staatskanzlei um eine Stellungnahme zu dem Entwurf gebeten worden. Diese haben wir wunschgemäß am 10. Dezember 2020 abgegeben. Zu unserem großen Erstaunen mussten wir vor wenigen Tagen feststellen, dass der Entwurf des Staatsvertrages anschließend noch einmal geändert wurde. Und diese Änderung fällt deutlich zu Ungunsten derer aus, die tagtäglich den Qualitätsjournalismus produzieren, für den der Mitteldeutsche Rundfunk zu Recht von seinen NutzerInnen geschätzt wird."

In der nachträglichen Änderung, die in so einem Verfahren durchaus möglich ist, geht es um den §35, der die Personalvertretung regelt.

In der ersten Fassung war auf "das Bundespersonalvertretungsgesetz und die dazu ergangenen Rechtsverordnungen in ihrer jeweils aktuellen Fassung" verwiesen worden, so der DJV-Brief.

Und weiter:

"Dies hätte nach der derzeit im Bundestag beratenen Novelle des Bundespersonalvertretungsgesetzes bedeutet, dass künftig auch die arbeitnehmerähnlichen Freien nach §12a TVG von den gewählten Personalräten vertreten werden können. Dort wird in §116 Abs. 4 S. 2 BPersVG‐E der Beschäftigtenbegriff ausdrücklich um den Kreis der arbeitnehmerähnlichen Freien erweitert. Eine lange überfällige Regelung, für die das CDU-geführte BKM gesorgt hat."

In der neuen Fassung nun gibt es eine Ergänzung, die aus Sicht des DJV genau diese kommende Regel aushebeln wird.

Denn der erste Absatz wurde um einen Halbsatz ergänzt (diesen: "soweit sich aus Absatz 3 nichts anderes ergibt"). In Absatz 3 des §35 wiederum ist geregelt, dass für alle

„[…] arbeitnehmerähnlichen Personen im Sinne von §12a des Tarifvertragsgesetzes eine institutionalisierte Vertretung ihrer Interessen (Freienvertretung)“

geschaffen wird (Formulierung aus dem DJV-Brief entnommen). Der eingefügte Halbsatz verändert den Sinn des §35 aus Sicht des DJV aber grundlegend. (Hinweis: Die genaue Änderung hatten wir in der ursprünglichen Fassung unseres Beitrags etwas anders dargestellt und haben diese nun nachträglich korrigiert, 5.2., 17:27 Uhr, owy.)

Denn die Freienvertretungen, so die DJV-VertreterInnen, seien ein "Feigenblatt".

Wörtlich:

"Eine Freienvertretung hat keine gesetzliche Grundlage, auf der sie mitbestimmen oder bspw. Dienstvereinbarungen abschließen könnte. Ihre Gestaltungsmöglichkeit beschränkt sich auf bloße Anhörungsrechte, die zudem von der ArbeitgeberInnnen-Seite (Intendantin/Intendant + Verwaltungsrat) gestaltet und jederzeit widerrufen werden kann. Die Freienvertretung hat keinen Zugang zu den Gerichten, ihre Mitarbeiter sind nicht rechtlich vor Diskriminierung geschützt, sie werden nicht von der Arbeit freigestellt. Eine solche Vertretung hat vor allem die Funktion, nach außen den Anschein zu erwecken, dass die Freien beim MDR rechtswirksam vertreten werden (Feigenblattfunktion). Faktisch kann das aufgrund der dürftigen Rechtsgrundlage aber gar nicht der Fall sein. Das bedeutet, dass im MDR zukünftig fast 45 % der MitarbeiterInnen ohne gesetzlich legitimierte Vertretung arbeiten werden."

Gesetz schon im parlamentarischen Verfahren

Nach den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden (vgl. FLURFUNK vom 21.1.2021: "Wirtschaftsvereinigungen kritisieren Entwurf zum MDR-Staatsvertrag") ist der Deutsche Journalistenverband eine weitere gesellschaftliche Gruppe, die gegen die neue Fassung des MDR-Staatsvertrags aufbegehrt.

Allerdings: Nach Einschätzung von Politikbeobachtern ist die Novellierung nicht mehr aufzuhalten (vgl. dazu auch: FLURFUNK vom 1.2.2021: "Bericht von der 8. öffentlichen MDR-Rundfunkratssitzung, 1.2.2021").

In Sachsen-Anhalt und Thüringen ist bzw. war das Gesetz heute in der ersten Lesung - von dort wird es in die Medienausschüsse verwiesen. In Sachsen ist dieser Schritt schon vollzogen und hat auch schon die öffentliche Anhörung passiert. Erwartet wird, dass es auch in Sachsen-Anhalt wie auch Thüringen noch öffentliche Anhörungen im Ausschuss gibt - aber Änderungen nicht mehr vorgenommen werden.

Denn: Die Landtage können nur zustimmen oder ablehnen; Änderungen sind nicht mehr möglich. Dabei wird - allein mit Blick auf die Komplexität des Verfahrens - mit einer Zustimmung aller drei Parlamente gerechnet.

Wir dokumentieren hier den vollständigen Brief:

Sehr geehrte XY,

die DJV-Landesverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wenden sich heute mit einem Anliegen von höchster Brisanz an Sie:

Seit einigen Wochen liegt Ihnen die Novelle des MDR-Staatsvertrages vor. Der DJV ist als Journalisten-Gewerkschaft und -Berufsverband im November 2020 von der Thüringer Staatskanzlei um eine Stellungnahme zu dem Entwurf gebeten worden. Diese haben wir wunschgemäß am 10. Dezember 2020 abgegeben. Zu unserem großen Erstaunen mussten wir vor wenigen Tagen feststellen, dass der Entwurf des Staatsvertrages anschließend noch einmal geändert wurde. Und diese Änderung fällt deutlich zu Ungunsten derer aus, die tagtäglich den Qualitätsjournalismus produzieren, für den der Mitteldeutsche Rundfunk zu Recht von seinen NutzerInnen geschätzt wird.

Konkret geht es um den §35 des Staatsvertrages, der die Personalvertretung regelt. In der Fassung, die dem Deutschen Journalisten-Verband zur Stellungnahme vorgelegt worden war, hieß es in Absatz 1: „(1) Für den MDR sind das Bundespersonalvertretungsgesetz und die dazu ergangenen Rechtsverordnungen in ihrer jeweils aktuellen Fassung nach Maßgabe der für die Rundfunkanstalt des Bundesrechts geltenden Vorschriften entsprechend anwendbar.“

Dies hätte nach der derzeit im Bundestag beratenen Novelle des Bundespersonalvertretungsgesetzes bedeutet, dass künftig auch die arbeitnehmerähnlichen Freien nach §12a TVG von den gewählten Personalräten vertreten werden können. Dort wird in §116 Abs. 4 S. 2 BPersVG‐E der Beschäftigtenbegriff ausdrücklich um den Kreis der arbeitnehmerähnlichen Freien erweitert. Eine lange überfällige Regelung, für die das CDU-geführte BKM gesorgt hat.

In der nun den Landesparlamenten in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zugeleiteten Version soll aber ausgerechnet diese Regelung nicht gelten. Denn §35 Abs. 1 wurde um einen Halbsatz ergänzt, in dem es heißt:

„(1) Für den MDR sind das Bundespersonalvertretungsgesetz und die dazu ergangenen Rechtsverordnungen […] entsprechend anwendbar, soweit sich aus Absatz 3 nichts anderes ergibt.“ (Hervorhebung durch d. AutorInnen)

Absatz 3 des §35 im MDR-Staatsvertrag wiederum regelt, dass für alle

„[…] arbeitnehmerähnlichen Personen im Sinne von §12a des Tarifvertragsgesetzes eine institutionalisierte Vertretung ihrer Interessen (Freienvertretung)“

geschaffen wird.

Darin ist der Versuch zu sehen, die betriebliche Mitbestimmung für einen Großteil der MitarbeiterInnen des MDR schlichtweg zu verhindern.

Eine Freienvertretung hat keine gesetzliche Grundlage, auf der sie mitbestimmen oder bspw. Dienstvereinbarungen abschließen könnte. Ihre Gestaltungsmöglichkeit beschränkt sich auf bloße Anhörungsrechte, die zudem von der ArbeitgeberInnnen-Seite (Intendantin/Intendant + Verwaltungsrat) gestaltet und jederzeit widerrufen werden kann. Die Freienvertretung hat keinen Zugang zu den Gerichten, ihre Mitarbeiter sind nicht rechtlich vor Diskriminierung geschützt, sie werden nicht von der Arbeit freigestellt. Eine solche Vertretung hat vor allem die Funktion, nach außen den Anschein zu erwecken, dass die Freien beim MDR rechtswirksam vertreten werden (Feigenblattfunktion). Faktisch kann das aufgrund der dürftigen Rechtsgrundlage aber gar nicht der Fall sein.

Das bedeutet, dass im MDR zukünftig fast 45 % der MitarbeiterInnen ohne gesetzlich legitimierte Vertretung arbeiten werden. Im Mitteldeutschen Rundfunk arbeiten rund 2.000 Angestellte und 1.600 arbeitnehmerähnliche Freie i. S. v. §12a TVG (dazu kommen noch viele andere Freie, die nicht arbeitnehmerähnlich sind). Allein diese Dimension macht deutlich, wie relevant eine wirksame Personalvertretung für alle Beschäftigten ist. Für die kommenden Jahre ist aufgrund der notwendigen Sparanstrengungen und Vorgaben der KEF davon auszugehen, dass die Gruppe der arbeitnehmerähnlichen Freien im MDR noch weiter zu- und die der Angestellten weiter abnimmt.

Arbeitnehmerähnliche Freie sind genau wie ihre angestellten KollegInnen wirtschaftlich abhängig und sozial schutzbedürftig. In der Regel sind sie in Dienstpläne eingeteilt, haben feste Arbeitsplätze, müssen ihren Urlaub abstimmen, arbeiten auf Lohnsteuerkarte, zahlen Sozialversicherungsbeiträge und treten auch nach außen als MitarbeiterInnen des MDR auf.

Arbeitnehmerähnliche Freie sind als ModeratorInnen, RedakteurInnen und AutorInnen beschäftigt, ebenso wie in technischen sowie Verwaltungsberufen. Es lässt sich daher nicht rechtfertigen, warum der Personalrat die arbeitnehmerähnlichen Freien nicht vertreten darf und sie nicht im Personalrat vertreten sein dürfen.

Aus dieser Entwicklung entsteht ein nicht mehr zu übersehendes Legitimationsproblem des Personalrates, welches der Gesetzgeber hier noch zementieren will. Auch die obersten Gerichte haben mittlerweile festgestellt, „dass eine gemeinsame Vertretungsbefugnis, die sich nur auf die Festangestellten erstrecken würde, zu einem nicht zu übersehenden legitimatorischen Missverhältnis führen würde“.1

Nicht zuletzt deshalb werden in zahlreichen Bundesländern arbeitnehmerähnliche Freie in den Landespersonalvertretungsgesetzen oder Medienstaatsverträgen schon lange unter den Beschäftigtenbegriff gefasst. Damit hat diese Gruppe bereits jetzt in vielen Anstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die gleichen betrieblichen Mitbestimmungsrechte wie die Gruppe der Festangestellten (2): Sie dürfen den Personalrat wählen und sich in diesen wählen lassen. Vor allem aber darf der Personalrat diese Gruppe vertreten.

In Niedersachsen haben erst kürzlich die Fraktionen von SPD und CDU in einem gemeinsamen und vom Landtag gebilligten Entschließungsantrag die Landesregierung gebeten, entsprechende Änderungen auszuarbeiten. Dies wird derzeit umgesetzt, so dass die Personalräte im NDR künftig auch arbeitnehmerähnliche freie MitarbeiterInnen vertreten dürfen.

Der DJV bemängelt, dass der MDR in Bezug auf die betriebliche Mitbestimmung im Vergleich zu anderen Anstalten ins Hintertreffen gerät. Neben den noch immer teils deutlich niedrigeren Honoraren im Vergleich zu den Anstalten in den Nachbarländern wird damit ein weiterer Standortnachteil in den Ost-Bundesländern zementiert. Gleichzeitig wird die Entstehung einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ – wie es sie jetzt teilweise zwischen „Festen“ und „Freien“ gibt – auch auf dem Gebiet der betrieblichen Mitbestimmungsrechte forciert.

Wenn sich der Gesetzgeber dennoch für eine Freienvertretung ausspricht, müsste er zumindest dafür sorgen, dass die Freienvertretung mit (Beteiligungs-) Rechten anlog des BPersVG ausgestattet wird. Die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte ist Sache des Gesetzgebers und nicht Sache des Arbeitgebers.

Der Deutsche Journalisten-Verband spricht sich vehement für eine eindeutige Regelung in der Neufassung des MDR-Staatsvertrages aus, die den arbeitnehmerähnlichen Freien dieselben betrieblichen Mitbestimmungsrechte einräumt wie ihren festangestellten KollegInnen. Dass diese Mitbestimmungsrechte hier per Staatsvertrag schlichtweg blockiert werden sollen, ist nicht zu rechtfertigen.

Schlussendlich ist es ein äußerst erstaunlicher Vorgang, wenn eine fachspezifische Stellungnahme zu einem Gesetzentwurf angefragt wird und in diesem Entwurf anschließend das Gegenteil von dem umgesetzt wird, was in der Stellungnahme empfohlen wurde.

Sehr geehrte XX,

wir bitten Sie, unsere vorgetragenen Argumente gründlich abzuwägen. Gern sind die VertreterInnen des DJV bereit, diese in persönlichen Gesprächen zu vertiefen oder beispielsweise auch in Anhörungen einer breiteren Öffentlichkeit vorzutragen.

Für Rückfragen stehen wir jederzeit zur Verfügung!

(1) OVG Bremen, ZUM‐RD 2016, 752 (755) (bestätigt durch BVerwG und BVerfG).
(2) So werden beim ZDF, dem WDR, dem SWR, dem HR, dem SR und Radio Bremen Freie im Personalrat vertreten und durch diesen repräsentiert.

 

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