Der Leipziger Medienwissenschaftler Dr. Uwe Krüger wirft den Medien in Deutschland vor, zu unkritisch über die Arbeit der Regierung in der Corona-Krise berichtet zu haben.
"Zu beobachten war das klassische Rally-'Round-the-Flag-Phänomen: Wenn es um Leben und Tod geht, schart man sich um die Regierung. Man zerpflückt nicht deren Aussagen, sondern unterstützt deren Maßnahmen gegen einen gemeinsamen, gefährlichen Feind", schreibt Krüger in einem Anfang Juni erschienenen Beitrag der Frankfurter Hefte (hier nachzulesen: "Journalismus und Regierungspolitik: Hand in Hand?").
Die Argumentation der Branche, dass Pressefreiheit auch einmal bedeute, nicht zu kritisieren, wenn es nicht sinnvoll erscheint (Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes), lässt Krüger nicht gelten. Der Wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig schreibt weiter: "Ich beobachte aber, dass die Medien hierzulande im Prinzip immer 'dafür' sind."
Auch außerhalb von Ausnahmezuständen würden Journalistinnen und Journalisten eben nicht alles hinterfragen.
"Schmutziges Geheimnis" des Journalismus
Das Vertrauen zwischen Medien und Politik sei dagegen essenzieller Bestandteil der politischen Ökonomie der etablierten Medien, erklärt Krüger:
"Das schmutzige Geheimnis des vermeintlich objektiven, neutralen Nachrichtenjournalismus ist, dass er in Wahrheit nicht die Welt oder die Wirklichkeit objektiv und neutral abbildet, sondern lediglich den Diskurs der politischen Eliten (gegebenenfalls auch der wirtschaftlichen und kulturellen) über diese Wirklichkeit."
An dieser Stelle sieht Krüger auch einen möglichen Grund dafür, "dass in der Bevölkerung verschwörungsideologisch aufgeladene und die tatsächlichen Verhältnisse stark verzerrende Vorstellungen über das Geflecht von Politik und Medien herrschen."
Als eine Lösung schlägt der Kommunikationswissenschaftler vor, dass sich Journalistinnen und Journalisten von dem „Fetisch der 'Objektivität'" trennen. Als einen Ansatz nennt Krüger den "Konstruktiven Journalismus". Dieser sei zu einem neuen Berichterstattungsmuster weiter zu entwickeln, "der den auf Eliten und den Status quo fixierten Mainstream-Journalismus ergänzt".
Vorschlag: „Tansformativer Journalismus“
Der Leipziger Wissenschaftler spricht von einem "Transformativen Journalismus", der sich zum Werten einer "Großen Transformation" in Richtung Nachhaltigkeit bekenne, und zwar in ökologischer und sozialer Hinsicht.
"Wir brauchen Journalist/innen, die Inseln der Zukunft und Praktiken einer neuen, nachhaltig organisierten Welt bewusst suchen und für sie Öffentlichkeit herstellen, auf dass diese ökosozialen Innovationen sich verbreiten und weiterentwickelt werden können."
Ein solcher "Transformativer Journalismus" solle die Trennung von Bericht und Meinung nicht aufgeben und auch kein Parteijournalismus sein, "aber bei der Auswahl der Themen und bei Analyse und Kommentierung den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als Priorität anerkennen – ebenso wie den Schutz der Demokratie, der bereits als solche anerkannt ist."
Uwe Krüger hat sich in der Vergangenheit überregional einen Namen als Medienkritiker gemacht, insbesondere in Hinblick auf die Berichterstattung in und nach der Asylkrise 2015. Für seine Bücher "Mainstream - Warum wir den Medien nicht mehr trauen" und "Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten" erhielt er 2016 den Günter-Wallraff-Preis für Journalismuskritik. Von 2018 bis 2019 war er Mitglied im Rundfunkrat des MDR.
Derzeit koordiniert Krüger die Forschung des neu gegründeten Zentrums Journalismus und Demokratie der Uni Leipzig (vgl. FLURFUNK vom 5.7.2019: "Leipzig bekommt ein Zentrum für Journalismus und Demokratie"). Alexander Laboda
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