Deutschland versucht sich von dem großen Schock der Coronakrise langsam wieder zu erholen. Während sich die meisten Betriebe schrittweise auf ein Leben danach vorbereiten, tun manche so, als wäre die Pandemie schon Geschichte – oder gar nie passiert.
Es scheint nicht mehr lange zu dauern, bis wir auf die Zeiten des Lockdowns wie auf einen Traum zurückblicken.
Die Ausnahmesituation hat ihre Spuren in uns hinterlassen. Eingeschlossen in unsere Kokons, gesponnen aus sozialen Netzwerken und Hygieneartikeln, haben wir uns alle schrittweise verändert und eine mediale Metamorphose durchlebt. Bewerten wir die Welt nun nach anderen Maßstäben?
Homo oeconomicus
Man kann es sich nicht oft genug vor Augen führen: Ein Virus von nur etwa hundert Nanometer Größe war Auslöser einer globalen Verwandlung. Etwas, das wir noch nicht einmal sehen können, hat unsere komplette Wirtschaft lahmgelegt, die Welt auf den Kopf gestellt. Auch unser Arbeitsleben sehen wir plötzlich mit anderen Augen.
Betriebe und Grenzen wurden geschlossen, Produktionen eingestellt und unsere Arbeitsweisen neu strukturiert. Viele von uns arbeiten von zu Hause aus, was nur wegen der vorangeschrittenen Digitalisierung möglich ist. Kaum vorzustellen, wie sich die Krise entwickelt hätte, wäre unsere Gesellschaft weniger technisiert gewesen.
Unterdessen erproben Unternehmer*innen, wie sie ihre Betriebe krisensicher machen können. Einer Umfrage des Unternehmensberaters Markus Milz zufolge gaben zwei von drei mittelständischen Betrieben an, dass sie ihre Geschäftsmodelle nachhaltig verändern müssen. Dabei spiele vor allem die große Nachfrage nach Online-Angeboten eine zentrale Rolle.
Derselben Umfrage zufolge hätten aber bisher nur die wenigsten der befragten Unternehmen notwendige Schritte für eine Umgestaltung eingeleitet. Und das, obwohl der Großteil glaubte, dass die eigentliche Krise noch bevorsteht.
Homo sociologicus
Unsere soziologischen Rollenzuschreibungen haben eine neue Gewichtung bekommen. Über die Bedeutung von Familie, Partnerschaft und Freundschaft wurde wohl selten so viel berichtet wie in den letzten Monaten. Die wiederholte Betonung der sogenannten „systemrelevanten Berufe“ hat sicher auch viele Menschen verunsichert und über ihre Bedeutung in der Gesellschaft nachdenken lassen.
Wichtiger denn je scheint auch die Rolle der Journalist*innen geworden zu sein. Gerade die epidemieartige Verbreitung von Verschwörungstheorien und Falschinformationen hat uns gezeigt, wie notwendig Medienkompetenz und die seriöse Presse ist. Als Vermittler und Kritikerinnen stehen die Medienmacher*innen zwischen den Fronten und wurden deshalb auch immer wieder zur Angriffsfläche der Frustrierten.
Es fühlt sich mittlerweile auch so an, als würden die Nutzer*innen immer höhere Ansprüche an die Medien stellen. Welche Werte, Normen und gesellschaftlichen Erwartungen die Massenmedien davon erfüllen wollen, können letztlich nur die einzelnen Häuser für sich selbst entscheiden.
Homo medialis
Sars-CoV-2 hat uns demonstriert, welchen Stellenwert Kommunikationstechnologien in einer globalen Informationsgesellschaft besitzen. Denn die Auswirkungen von Covid-19 konnten wir zum größten Teil nur medial wahrnehmen. Angebot und Nachfrage von Informationsdiensten sind extrem gestiegen und wurden dementsprechend gut genutzt.
Auch wenn die Presselandschaft teilweise von ermüdender Gleichförmigkeit geprägt war, ist auch nach drei Monaten Lockdown das Bedürfnis, Neues zum Thema Corona zu erfahren, ungebrochen. Der Medienkonsum ist infolge des Social Distancing in ungeahnte Höhe geschossen, auch was den Konsum von Unterhaltungsangeboten betrifft. Die Menschheit hat noch nie so viel Zeit im Internet verbracht wie heute.
Die Kommunikation mit Hilfe von Videokonferenzen, Web-Seminaren und Live-Streaming hat uns die Erfahrung machen lassen, mit unseren Kolleg*innen und Mitmenschen vermehrt über Bildschirme und Mikrofone zu kommunizieren. Geworfen in ihre Privaträume konnte das manchmal mit einer befremdlichen Art von Intimität verbunden sein. Gleichzeitig sind sie uns auch noch nie so fremd und unecht vorgekommen.
In der Zeit der Corona-Krise findet ein Großteil des Lebens über Computer und Smartphones statt. Wir scheinen uns nun schlussendlich in den Homo medialis verwandelt zu haben. Wir sind vollends der Sprache, den Zeichen und Bildern verfallen.
Homo socialis
Und doch mussten wir die Erfahrung machen, dass uns auf beiden Seiten des Schirms etwas fehlte. Nämlich die physische Anwesenheit von Menschen. Was wir sonst als absolut selbstverständlich hingenommen haben, wirkt in seiner Abwesenheit plötzlich befremdlich.
Ein unmittelbares menschliches Feedback zu haben, ist vor allem bei Live-Sendungen und Kulturveranstaltungen ein unverzichtbarer Bestandteil des Veranstaltungskonzepts. Man hat sich eben gerade gegen ein disperses Publikum entschieden. Gerade auch im Sport ist ein echtes Publikum von entscheidender Bedeutung. Man denke hierbei nur an die Phänomene der „sozialen Aktivierung“ oder der „Gruppenleistung“.
Leere Studios, Konzerthäuser und Stadien wirken zudem unheimlich und ohne Publikum auch irgendwie sinnlos und absurd. Helge Schneider etwa hat ein Video-Statement abgegeben, in dem er sich gegen Auftritte ohne Publikum ausspricht. Die Resonanz sei absolut essentiell bei seiner Arbeit, sagt er, daher ist er zu der Entscheidung gekommen: „Meine Idee ist, erst wieder aufzutreten, wenn alle Freiheiten wieder da sind.“
Homo emotionalis
Gewissermaßen sind die Resonanz der Masse und der Verstoß gegen auferlegte Regeln die beiden Triebfedern der sogenannten Hygiene-Demos gewesen. Echte soziale Kontakte zu haben, wurde plötzlich als Akt der Befreiung empfunden. Es mag eine steile These sein, aber vielleicht ist die eigentliche Motivation dahinter das Bedürfnis nach einem Gefühl von Geborgenheit gewesen.
Das würde auch erklären, warum es den Teilnehmenden egal war, mit wem sie gemeinsam demonstrieren gingen. Außerdem wirkten die vorgeschobenen politischen Gründe meistens konstruiert oder völlig an den Haaren herbeigezogen.
Die Regierung zum Hassobjekt zu machen ist naheliegend, da sie die Verbote ausgesprochen hat. Auf dieser Gefühlsebene noch politisch sinnvolle Gespräche zu führen ist schwierig. Das Gefühl einer täglich erlebten und aufgezwungenen Einsamkeit überstrahlt nahezu jedes rationale Argument. Vor allem wenn man die emotionale Bestätigung von hunderten anderen Menschen bekommt, denen es genauso geht.
Homo communicans
Der Wunsch nach unmittelbarem persönlichen Feedback ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Es ist wichtig für Verständnis und gegenseitige Anerkennung. Feedback ist absolut notwendig für eine gesunde Kommunikation. Unser Gehirn ist bereits so angelegt, dass es ein natürliches Bedürfnis nach sozialen Informationen verspürt.
Auch durch die Verwendung der Mund-Nasen-Masken geht ein entscheidender Teil unserer nonverbalen Kommunikation verloren. Mimik kann kaum mehr richtig gedeutet werden. Zudem sind wir auch noch akustisch schwerer zu verstehen. Ganz davon zu schweigen, dass wir die ganze Zeit den eigenen Mundgeruch riechen müssen. Furchtbar!
Darin offenbart sich der eigentliche Horror: auf sich selbst zurückgeworfen und das Gefühl mit seinen Problemen allein gelassen zu sein. Isoliert von anderen und unfähig, sich ihnen gegenüber zu äußern. Wir verwandeln uns in das, was wir ohne die anderen wären. Doch was sollte das sein? Mit Hilfe der Medien versuchen wir diese Nähe zu anderen Menschen zumindest nachzuahmen. Letztlich suchen wir aber nach einem Gemeinschaftsgefühl.
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