Leipziger Medienwissenschaftler machen Berufsschulen „Fit for News“

Von Alexander Laboda

Medienkompetenz an Schulen zu vermitteln, ist aktuell eines der großen bildungspolitischen Themen. Die Berufsschulen standen dabei bislang nicht im Blickpunkt. Zwei Jahre lang haben Leipziger Medienwissenschaftler in einem Pilotprojekt namens „Fit for News“ daran gearbeitet, das zu ändern. Jetzt liegen die Ergebnisse vor.

Das Team des Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung (EIJK) befragte Schülerinnen und Schüler nach ihrem Informationsverhalten und ihren Kenntnissen. Sie führten Interviews mit Lehrerinnen und Lehrern. Auf dieser Grundlage entwickelten die Experten schließlich Unterrichtsmaterialien und testeten diese an drei Berufsschulen in Leipzig, Bautzen und Reichenbach.

Im Interview erklärt Martin Hoffmann, der das Projekt gemeinsam mit dem emeritierten Leipziger Journalistik-Professor Dr. Michael Haller leitet, wie es um die Medienkompetenz an Berufsschulen bestellt ist, welche Inhalte im Unterricht behandelt werden sollten und was „Fit for News“ von anderen Initiativen für mehr Medienkompetenz unterscheidet.

„Viele Schülerinnen und Schüler können Tatsachen- von Meinungsdarstellungen schlecht unterscheiden“

FLURFUNK: Als Ziel von "Fit for News" haben Sie ausgegeben, Berufsschülerinnen und -Schülern eine "grundlegende Informationskompetenz" zu vermitteln. Was verstehen Sie darunter?

Martin Hoffmann, Foto: Iona Dutz

Martin Hoffmann: Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz. Die Schülerinnen und Schüler sollen im Unterreicht nicht nur Hintergründe zu einzelnen Aspekten wie Fake News oder Filterblasen erfahren. Wir wollen, dass sie für ihren Alltag ein Bewusstsein im Umgang mit Medien entwickeln, ihr Nutzungsverhalten reflektieren und Informationen kritisch bewerten lernen.

FLURFUNK: Wie ausgeprägt sind diese Fähigkeiten bislang bei sächsischen Berufsschülern?

Hoffmann: Da muss man differenzieren, weil es an den Berufsschulen eine große Spannbreite bei den Altersstufen, bei der Vorbildung und den Grundvoraussetzungen gibt. Allgemein kann man aber sagen, dass wesentliche Defizite bestehen. Ein großes Problem ist, dass viele Schülerinnen und Schüler Tatsachen- von Meinungsdarstellungen schlecht unterscheiden können. Es ist alles in allem jedoch nicht so, dass man die Hände über dem Kopf zusammenschlagen müsste. Wir haben in einer Befragung mit rund 450 Teilnehmenden beispielsweise auch den Umgang mit Nachrichtenquellen untersucht. Dabei zeigte sich, dass drei Viertel der Schülerinnen und Schüler relativ zutreffend sagen können, wo und wie in einem Medienbeitrag eine Quelle zu finden ist. Es ist also eine Basis vorhanden.

FLURFUNK: Die Schülerinnen und Schüler nutzen vermutlich sehr häufig soziale Netzwerke. Hängt die fehlende Kompetenz bei der Unterscheidung von Bericht und Kommentar damit zusammen?

Hoffmann: Ich halte das für naheliegend, weil die Social-Media-Nutzung in unserer Untersuchung sehr markant war. Wir haben zum Beispiel ermittelt, dass 80 Prozent der Berufsschüler YouTube sehr häufig für Informationszwecke nutzen. Und gerade bei YouTube vermischen sich auf vielen Kanälen Fakten und Standpunkte. Das berühmt gewordene Rezo-Video ist dafür ein Beispiel.

FLURFUNK: Welche Medien nutzen Berufsschülerinnen und -Schüler außerdem, um sich zu informieren?

Hoffmann: Instagram ist fast ebenso wichtig wie YouTube. Facebook folgt mit etwas Abstand. Konventionelle Medien wie Zeitungen oder das öffentlich-rechtliche Fernsehen spielen hingegen kaum eine Rolle. Interessant dabei ist, dass die Schülerinnen und Schüler sehr wohl wissen, dass sie dort die zuverlässigeren Informationen bekommen würden. So schätzen sie es zumindest in der Befragung selbst ein.

FLURFUNK: Wie ist dieser Widerspruch zu erklären?

Hoffmann: Wir haben die Gründe dafür nicht abgefragt. Letztendlich liegt es wohl daran, dass sich das Nutzungsverhalten stark an Gleichaltrigen orientiert, während die etablierten Medien zur Erwachsenenwelt gehören. So gesehen wäre es eine Generationsfrage.

FLURFUNK: Für den Unterricht haben Sie insgesamt neun sogenannte Lehreinheiten entwickelt, auf die Lehrerinnen und Lehrer flexibel zugreifen können. Wo liegen die Schwerpunkte?

Hoffmann: Die Basis sind allgemeine Regeln des sozialen Miteinanders, auch in der Sprache. Hier geht es um Fairness und Respekt. Hinzu kommt das sachrichtige Beschreiben von Tatsachen und Vorgängen. Davon ausgehend geht es an das geschilderte Kernproblem, also die Fähigkeit, Fakten von Meinungen und Berichte von Kommentaren zu unterscheiden. In weiteren Einheiten wird vermittelt, wie man Fakten oder auch die Echtheit von Bildern überprüfen kann. Letztendlich geht es darum, wie man sich schnell und zuverlässig informieren und wie man aktuelle News bewerten kann.

FLURFUNK: Gibt es in Lehrplänen genügend Freiräume, um Medienwissen nach Ihren Vorschlägen zu vermitteln?

Hoffmann: Natürlich ist das Zeitbudget gerade an den Berufsschulen begrenzt, da ein großer Teil der Ausbildung in den Betrieben stattfindet. Deswegen haben wir unsere Materialien modular angelegt. Die Einheiten bauen aufeinander auf, können aber auch einzeln vermittelt werden. Wir machen den Lehrerinnen und Lehrern vor Ort ein Angebot. Sie können entscheiden, wie und in welchem Umfang sie das Material im Unterricht einsetzen.

FLURFUNK: Welche praktischen Probleme gab es in der Pilotphase an den Schulen?

Hoffmann: Das größte Problem war, dass die digitale Ausstattung der Schulen sehr durchwachsen ist. Es gibt häufig kein flächendeckendes WLAN, in den PC-Räumen gibt es zu wenige Arbeitsplätze und es mangelt an Whiteboards und Beamern. Das alles ist problematisch, wenn Power-Point-Präsentationen die Basis der Unterrichtseinheiten sind und es um digitale Medien geht. Für die Lehrerinnen und Lehrer bedeutet das viel zusätzlichen Aufwand, weil sie Technik bestellen, reservieren oder selbst einrichten müssen. Das sollte eigentlich nicht notwendig sein. Vielleicht ändert sich mit den Fördergeldern aus dem Digitalpakt etwas daran.

FLURFUNK: Es gibt seit Jahren diverse Projekte, um Medienwissen an Schulen zu vermitteln, zum Beispiel die EU-Initiative "Klicksafe", die Aktion "Aktiv gegen den Hass im Netz!" des Grimme-Instituts oder das Projekt "Lie Detectors". Wozu brauchte es zusätzlich das Projekt „Fit for News“?

Hoffmann: Bislang wusste man nichts über die Bedürfnisse an den Berufsschulen. Für diese Schulform gab es auch keine spezifischen Angebote. Diese Lücke versuchen wir zu schließen. Außerdem unterscheiden wir uns mit unserem ganzheitlichen Ansatz von anderen Initiativen. Es gibt viele hochwertige Angebote, die punktuelle Problematiken angehen, wie etwa Falschnachrichten oder Hassrede. Wir halten unsere Herangehensweise aber für nachhaltiger, weil hier das Informationsverhalten umfassend trainiert und auch reflektiert wird.

FLURFUNK: Wäre es nicht an der Zeit, dass das Thema in der Bildungspolitik systematisch und auch einheitlicher angegangen wird?

Hoffmann: Mehr Orientierung täte sicherlich gut. Interessant ist, dass kürzlich die Fraktion der Grünen im Bundestag eine Bundeszentrale für digitale und Medienbildung gefordert hat. Da würde es genau darum gehen, Informationsangebote zu ordnen und gebündelt zur Verfügung zu stellen. So etwas könnte helfen, das richtige unter den vielfältigen guten Angeboten zu finden.

FLURFUNK: Wie geht es mit dem Projekt "Fit for News" weiter?

Hoffmann: Die Pilotphase unseres Projektes, das von der Stiftung Neue Länder finanziert wurde, ist mit der Fertigstellung der Unterrichtsmaterialien beendet. Jetzt geht es darum, die Unterichtsmaterialien in weitere Berufsschulen zu bringen, in Sachsen und auch bundesweit. Im Freistaat sind wir in Gesprächen mit dem Landesamt für Schule und Bildung, um unser Angebot zum Beispiel in der staatlichen Lehrerausbildung zu implementieren. Daneben prüfen wir aktuell, ob und wie sich unserere Ergebnisse auf andere Schulformen übertragen lassen, etwa an Oberschulen und Gymnasien. Wir hatten außerdem vor kurzem einen ersten Testlauf für eine Abendveranstaltung, bei der wir unsere Inhalte in verkürzter Form interessierten Bürgern vermittelt haben. Die Resonanz war sehr gut, sodass wir jetzt weiter auch in Richtung Erwachsenenbildung gehen wollen.

FLURFUNK: Vielen Dank für das Gespräch.

Lehrerinnen und Lehrer, insbesondere von Berufsschulen, die sich für die Unterrichtsmaterialen interessieren, können sich per Mail an das EIJK wenden. Die Adresse lautet info@eijc.eu. Sie erhalten dann ein Zugangspasswort für den Downloadbereich auf der Internetseite www.fitfornews.de. Die Unterrichtsmaterialen stehen dort künftig für zwei unterschiedlichen Anforderungsniveaus bereit.

Text und Interview: Alexander Laboda

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