Im Oktober 2018 hat das Medienpädagogische Zentrum+ (MPZplus) mit Sitz in Torgau seine Tätigkeit aufgenommen.
Das MPZplus ist ein gemeinsames Pilotprojekt des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus (SMK), des Landkreis Nordsachsen und der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM) (vgl. Pressemitteilung vom 1.10.2019 auf sachsen.de: "Mehr Medienbildung für Nordsachsen").
Anfang Dezember teilte nun die SLM per Pressemitteilung mit, dass das MPZplus die Bedarfe der Bürgerinnen und Bürger nach Medienkompetenzbildung ermitteln wolle.
Zitat aus der Pressemitteilung:
"Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung aller Bereiche des täglichen Lebens, des Problems der Desinformation im Bereich Social-Media sowie einer vermehrt skeptischen Haltung gegenüber den Medien wird davon ausgegangen, dass es in Sachsen flächendeckend einen grundsätzlichen Bedarf für Angebote der Medienbildung gibt. Ziel der Medienbildungsangebote ist der bewusste und reflektierende Umgang eines jeden mit Medien."
Wir haben Dr. Benjamin Bigl, Leiter des MPZplus, gefragt, was genau erforscht wird und warum.
Bigl: "den Projektpartnern evidenzbasierte Empfehlungen aussprechen"
FLURFUNK: In der Pressemitteilung heißt es, sie erforscht Bedarfe für Medienbildungsangebote im Landkreis Nordsachsen. Was genau wird da erforscht?
Dr. Benjamin Bigl: Wir wollen wissen, welche Bedarfe überhaupt für die Vermittlung von Medienkompetenz und Medienbildung im außerschulischen Bereich bestehen. Dafür fragen wir u.a. ab, welche Medienweiterbildungsangebote im außerschulischen Bereich überhaupt schon bekannt und auch schon mal genutzt worden sind und wie diese bewertet werden. Wir wollen aber auch wissen, wo die Bevölkerung überhaupt Bedarfe sieht und wer solche Angebote bevorzugt verantworten soll. Die Untersuchung findet schwerpunktmäßig für den Landkreis Nordsachsen statt, wird aber auch Aussagen für andere ländliche Regionen erlauben.
FLURFUNK: Und wie erforschen Sie das?
Bigl: Die Studie wird methodisch und inhaltlich in zwei Teilen ausgeführt. Es gibt eine qualitative Analyse mit 20 Fokusgruppen a etwa 5 Personen sowie mit 10 Schülergruppen und 10 Erwachsenengruppen, die das Thema in Gruppen diskutieren. So erfahren wir mehr über die Nutzung der Medien sowie individuelle Kompetenzen, Wünsche, Probleme und Erwartungen. Im zweiten Schritt erfolgt eine repräsentative Bevölkerungsbefragung in Sachsen mit einer anvisierten Fallzahl von etwa 2.000 Befragten. Die Ergebnissse erlauben dann auch einen regionalen Vergleich für Sachsen.
FLURFUNK: Gibt es nicht schon genug Medienkompetenzkurse, -workshops und -angebote?
Bigl: Die bisherigen Angebote und Kurse werden häufig nur auf Nachfrage organisiert. Das bedeutet, dass man oft aus dem Bauchgefühl heraus Angebote entwickelt, die aber am Ende immer wieder die gleichen Personengruppen ansprechen. Hinzu kommt, dass das Thema Demokratie- sowie Informations- und Nachrichtenkompetenz in der Vergangenheit häufig nicht explizit Teil der Medienkompetenzförderung war. Ziel unserer Studie ist es, konkrete Bedarfe, Themen und Formate für weitere Personengruppen zu identifizieren. Am Ende sollen entsprechende Handlungsempfehlungen stehen.
FLURFUNK: Unterscheidet sich der Bedarf nach Medienkompetenz auf dem Land von dem in den Städten?
Bigl: Der fortschreitende und sich weiter ausdifferenzierende Prozess der Mediatisierung der Gesellschaft hat weitreichende Konsequenzen für die sozialen Beziehungen der Menschen untereinander: Relevante Handlungs-, Sozial-, und Arbeitsfelder sind weiterhin zunehmend mit (publizistischen) Massenmedien verbunden. Publizistische Inhalte wandern ferner zunehmend ins Netz, die Abnahme der Qualität von Nachrichten geht dabei einher mit einem schwindenden Vertrauen in den Journalismus, gleichzeitig ist die Nachrichtenkompetenz der Bevölkerung in Teilen gering ausgeprägt. Gefährliches Halbwissen über das Mediensystem oder über journalistische Arbeitsprinzipien führen zur Hoffähigkeit von so genannten „Fake News“. Vor diesem Hintergrund wird davon ausgegangen, dass flächendeckend ein grundsätzlicher Bedarf an Medienbildung für einen kompetenten Umgang mit digitalen und Massenmedien bei allen gesellschaftlichen Akteuren besteht. Ländliche Regionen stehen dabei aber vor großen Herausforderungen: Die Zentralisierung von öffentlichen Einrichtungen, die Schließung von Bildungseinrichtungen, das Fehlen von Arbeitsplätzen, die Schwierigkeiten der medizinischen Versorgung sowie die fehlende Anbindung an die schnellen digitalen Netze erschweren die Möglichkeiten der privaten und beruflichen Bereitschaft zur Weiterbildung mit und über (digitale) Medien.
FLURFUNK: Wie kommt es, dass ausgerechnet der Landkreis Nordsachsen diese Studie - mit Unterstützung des SMK und der SLM - auf den Weg bringt?
Bigl: Nach der Einstellung des Sächsischen Ausbildungs- und Erprobungskanals (SAEK) in Torgau wurde das Medienpädagogische Zentrum+ unter der Trägerschaft des Landkreises in Kooperation mit dem SMK und der SLM ins Leben gerufen. Unsere Einrichtung soll neue Veranstaltungsformate testen, aber auch zukünftige Bedarfe im Bereich der Medienbildung und -kompetenz erheben. Mit einer über zehnjährigen wissenschaftlichen Tätigkeit in der Wissenschaft an der Universität Leipzig habe ich umfangreiche Erfahrungen in der theoretischen Planung, Durchführung, Auswertung und Publikation von empirischen Studien mit in das Projekt gebracht. Als Wissenschaftler ist es daher mir ein besonderes Anliegen, evidenzbasierte Empfehlungen den Projektpartnern aussprechen zu können.
FLURFUNK: Was macht das MPZ+ sonst noch?
Bigl: Schwerpunkt der Tätigkeit ist der Versuch, breite Bevölkerungsschichten für relevante Themen im Bereich der Medienbildung zu interessieren und fit zu machen für die Herausforderungen der Digitalisierung. Neben unregelmäßigen Kursen und Workshops u.a. in Kooperation mit der Verbraucherzentrale geben regelmäßige „Schlossvorlesungen“ auf Schloss Hartenfels in Torgau deutschlandweit angesehene Forscherinnen und Forscher Einblicke in aktuelle Themen aus den Bereichen Journalismus, Medien, Kultur und Gesellschaft. Für Multiplikatoren im Bildungsbereich gibt es jetzt seit sechs Ausgaben die kleine Open-Access-Fachzeitschrift „Transferplus – Aktuelle Beiträge zur Medienbildung“, die in jeder Ausgabe gezielt und auf nur zwei Seiten ein aktuelles Thema herunterbricht und als so genannter Two-Pager Interessierten weitere Informationen in Form von Lektüre- und Web-Tipps bereitstellt (www.transferplus.medienbildung-nordsachsen.de).
FLURFUNK: Vielen Dank für das Interview.
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