Fördern und Fordern

Die regionalen Zeitungsverlage erleben einen Auflagen- und Bedeutungsverlust, der sie wirtschaftlich in die Bredouille bringt. Die Lage ist so ernst, das mehr oder weniger offen über Fördermodelle diskutiert wird – etwa in Thüringen.

Text von Lars Radau

Hinweis: Dieser Text ist zuerst in FUNKTURM Nr. 11 im Oktober 2019 erschienen.

Uwe Vetterick macht sich keine Illusionen. »Das Produkt regionale Tageszeitung passt bei den Menschen unter 50 nicht mehr in den Alltag«, sagt er. Der 50-Jährige ist Chefredakteur der Sächsischen Zeitung in Dresden. Die eigene Zeitung, zumindest deren gedruckte Version, nimmt er immer seltener in die Hand. »Ich studiere sie nicht, aber ich scanne und schaue, was hat gepasst, was nicht«, erzählte er der Süddeutschen Zeitung im Interview. Seine Leidenschaft sei gewandert: »Jetzt schaue ich mir dauernd neue Formate im Netz an und zeige die dann fasziniert anderen.«

So konsequent wie kaum ein anderer Verlag stellt die Sächsische Zeitung gerade ihr Geschäftsmodell aufs Digitale um. Am Ende der Entwicklung soll – daraus macht Vetterick kaum einen Hehl – die Devise Online only stehen.

Denn der Handlungsspielraum für die klassische gedruckte Zeitung verkleinere sich stetig, »nicht journalistisch, er verkleinert sich ökonomisch.« Vor allem wegen der Zustellkosten, die bei sinkenden Auflagen noch stärker ins Kontor schlagen. »Wenn wir es nicht schaffen, dass Menschen uns direkt für digitale Inhalte bezahlen, dann ist irgendwann Feierabend. Dieses Ende gibt die Demografie vor.«

Die Erkenntnis ist in der Branche und auch in der Politik weitgehend angekommen. Benjamin Immanuel Hoff, Chef der Thüringer Staatskanzlei und Kulturminister für Medien im Freistaat, meint dazu: Nein, eine direkte staatliche Förderung darbender Zeitungsverlage werde es mit ihm nicht geben.

Staatliche Förderung wird abgelehnt

Dass der Linken-Politiker das immer wieder betonen muss, hat mit dem größten Verlag in seinem Bundesland zu tun. Die zur Essener Funke-Gruppe gehörende Mediengruppe Thüringen (MGT), unter deren Dach die drei Titel Thüringer Allgemeine, Ostthüringer Zeitung und Thüringische Landeszeitung erscheinen, hatte Anfang Februar für bundesweites Aufsehen und erheblichen Aufruhr in der Landespolitik gesorgt.

Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) berichtete damals, die Verlagsgruppe, die in Thüringen beinahe ein Monopol hat, plane die komplette Einstellung ihrer gedruckten Tageszeitungen. Anlass war eine Pressemitteilung des Mutterhauses, die erhebliche Einschnitte und Sparmaßnahmen im gesamten Funke-Reich verkündete. Zu Thüringen enthielt die Mitteilung gerade einmal einen Satz: »Für die Thüringer Titel werden Szenarien erarbeitet, wie eine Versorgung der Leserinnen und Leser in ländlichen Gebieten mit digitalen Angeboten gewährleistet werden kann.«

Für den MDR war das der Auslöser, seine seit Monaten laufenden Recherchen zum Vertriebsproblem der MGT zu veröffentlichen. Dann schaltete sich die Politik ein. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow ließ MGT-Geschäftsführer Michael Tallai zur Kabinettssitzung antreten, Umweltministerin Anja Siegesmund verfasste einen offenen Brief an Funke. Dort begann man unmittelbar zurückzurudern: Es gebe keinen Beschluss, die Zustellung sofort loszuwerden und die gesamte Tageszeitung zu digitalisieren. Man prüfe lediglich Szenarien, verkündeten Tallai und Funke-Sprecher Tobias Korenke unisono.

Gespräche über »Modelle für die Logistik«

Heute hört sich die Botschaft von Korenke und Tallei anders an: Womöglich würden »Print- und Digital-Ausgaben eine bestimmte Zeit lang noch nebeneinander angeboten«. Aber: »nicht für mehrere Jahre«.

Der Zeit sagte Michael Tallai, dass die Mehrkosten für die Zustellung seit der Einführung des Mindestlohnes den kompletten Gewinn der MGT auffressen würden. Sie hätten sich verdreifacht, 24 Millionen Euro zusätzlich müsse der Verlag für die Verteilung der rund 220.000 Exemplare der drei Thüringer Zeitungen aufwenden.

Und auch Staatskanzleichef und Kulturminister Hoff betont nachdrücklich, dass es keine direkte Förderung geben werde. Tatsächlich aber sind seine Angestellten seit dem Frühjahr dabei, andere Wege zu finden, um die MGT zu unterstützen.

Auf den Medientagen Mitteldeutschland 2019 waren Hoff und sein Staatssekretär im angeregten Gespräch mit Tallai zu beobachten. Auf Nachfrage machen Sie auch keinen Hehl daraus, dass man über mögliche »Modelle für die Logistik«, also die Zustellung, im Gespräch sei. Parallel hat das Land Thüringen beim Institut für Europäisches Medienrecht in Saarbrücken ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass sich mit direkter staatlicher Förderung befasst. Die Gutachter kommen zu dem Schluss, dass die zumindest rechtlich möglich wäre.

»Über die bereits von den Medienanstalten geförderten lokalen privaten Rundfunkangebote (etwa offene Kanäle) hinaus wäre auch eine journalistisch-redaktionelle, also wohl inhaltliche Förderung regionaler Presseangebote bundes- und europarechtlich in Ordnung, wenn die Marktwirtschaft dort keine Vielfalt mehr finanziert«, fasst das Fachblatt Horizont zusammen. Das Geld könne demnach »aus Steuern, Rundfunkgebühren oder aus neuartigen Abgaben« kommen.

Erste Regionen ohne Zeitung?

Auch deshalb wird die Diskussion in Thüringen bundesweit sehr genau beobachtet. Denn die MGT ist bei weitem kein Einzelfall – nicht einmal darin, dass die vorgesehene Verbreitung der digitalen Angebote zuweilen noch an der geringen Internet-Bandbreite im Thüringer Wald krankt, wie Michael Tallei einräumt.

Sowohl im Norden, im Westen als auch im Süden der Republik gibt es etliche Manager in Regionalzeitungsverlagen, die das Modell gedruckte Zeitung und vor allem die teure Distribution bis in den hintersten Winkel des Verbreitungsgebietes lieber heute als morgen los wären. Oder dafür gerne eine finanzielle Unterstützung bekämen.

Der Fall Thüringen ist auch Muster dafür, wie die Debatte derzeit noch abläuft: Offiziell sprechen sich sowohl der Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV), der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) als auch etliche große Verlagsgruppen wie Madsack und Funke oder die Verlage von FAZ und Tagesspiegel gegen direkte Subventionen journalistischer Arbeit und Produkte aus. »Uns ist bis heute kein überzeugendes Modell der staatlichen Finanzierung von Journalismus bekannt«, betont BDZV-Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff immer wieder. Und FAZ-Geschäftsführer Thomas Lindner führt bei Horizont »grundsätzliche ordnungspolitische Gründe« auf: Medien könnten die Politik kaum mehr kritisch oder investigativ begleiten, wenn sie wirtschaftlich abhängig von ihr seien. »Die Verlockung für Politiker ist viel zu groß, die Vergabe von Mitteln mit Forderungen an die Medien im eigenen Interesse zu verbinden«, gibt Lindner zu bedenken.

Presse-Infrastruktur als Staatsaufgabe?

Tatsächlich gibt es längst Verhandlungen – zunächst zwischen dem Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA) und dem Bundesarbeitsministerium. BVDA-Geschäftsführer Jörg Eggers hatte im Mai wohl als erster eine »staatliche finanzielle Infrastrukturförderung in der Logistik« gefordert – und auch Zahlen in die Debatte geworfen. In Frankreich, so Eggers, belaufe sich die direkte Presseförderung auf rund 670 Millionen Euro jährlich. »Übertragen auf Deutschland wäre die Summe entsprechend der Einwohnerzahl höher«, sagte Eggers in einem Interview mit Horizont.

Nun sind, sagt Eggers, Anzeigenblätter noch einmal ein Sonderfall. Gleichzeitig betont er aber, dass er bei seinem Vorstoß den BDZV hinter sich wisse. Zumal, wie dessen Chef Dietmar Wolff betont, Zustellungssubventionen für Regionalzeitungen eigentlich ja gar keine Subventionen seien. Sondern vielmehr eine »direkte Kompensation vorheriger staatlicher Eingriffe« – gemeint ist der Mindestlohn für Zeitungszusteller. Hinzu komme in zahlreichen ländlichen Gebieten eine schlechte Internetversorgung.

Auch bei Funke heißt es auf Horizont-Anfrage, die Sicherung einer Presseinfrastruktur für Print und Digital sei konstitutives Element der Demokratie und so Staatsaufgabe. Wichtige Nebenbedingung sei dabei, so heißt es unisono, dass die Logistik ausreichend großen Abstand zu den Redaktionen halte. Das, so BDZV-Chef Wolff, gelte für die gesamte Branche. Es gehe bei den Verhandlungen nicht nur um Regionalblätter, sondern »um alle Abonnementzeitungen, die durch verlagseigene Zusteller vertrieben werden«.

Der Ausgang ist indes noch offen: Auf Nachfrage bestätigt das Arbeitsministerium zwar die Gespräche mit den jeweiligen Verlegerverbänden. Noch aber, so eine Sprecherin, sei nichts entschieden.

Landesmedienanstalten als Förderer

Die Diskussion, die derzeit noch im Hintergrund gehalten wird, dürfte aber in den kommenden Monaten an Fahrt und Öffentlichkeitswirksamkeit zunehmen. Im Entwurf für einen neuen Medienstaatsvertrag, der im Sommer 2020 in Kraft treten soll und federführend vom Land Rheinland-Pfalz betreut wird, ist eine weitere Hintertür enthalten. Laut Süddeutscher Zeitung enthält der Entwurf einen Vorschlag, der den jeweiligen Landesmedienanstalten erlauben würde, journalistische Angebote »zur Sicherung der lokalen und regionalen Medienvielfalt« finanziell zu fördern.

Künftig wäre es demnach also nicht nur wie bisher erlaubt, dass kommerzielle private Rundfunk-Anbieter unter bestimmten Umständen Gelder aus den Rundfunkbeiträgen für ihr Programm erhalten, sondern – bei weiter Auslegung – auch, dass andere journalistische Angebote Gelder bekommen können.

Für den Dortmunder Medienwissenschaftler Horst Röper, Direktor des Formatt-Institutes, wäre das ein gangbarer Weg. »Staatliche Zuschüsse gibt es fast überall in Europa, nur nicht in Deutschland«, sagt er. Der Zeitungsforscher ist Kopf und Hauptautor einer zweijährlich erscheinenden Studie zur Konzentration der deutschen Tagespresse. Er konstatiert eine erschreckende Zunahme der Konzentration – und ruft auch deshalb die Politik in Bund und Ländern zum Umdenken auf.

Staatliche Mittel sollten nach Bedarf eingesetzt werden, um die regionale und lokale Vielfalt in Form gedruckter Zeitungen zu fördern – und damit zu erhalten. Gleichzeitig plädiert Röper dafür, genau hinzuschauen: Zeitungen sollten »nicht nach dem Gießkannenprinzip« bedacht werden, damit nicht ohnehin wirtschaftlich erfolgreiche Konzerne profitierten, die keiner staatlichen Förderung mehr bedürften. »Wenn es eine Förderung geben soll, dann nur für jene, die ihren Bedarf nachweisen«, betont Röper im Tagesspiegel.

Auch Wiebke Möhring, Journalistik-Professorin an der TU Dortmund, betont im Deutschlandfunk, dass man jede Art von Förderung – ob nun direkt oder indirekt – sehr genau hinterfragen müsse. »Warum hat diese Zeitung, dieses Medienhaus jetzt an dieser Stelle ein wirtschaftliches Problem? Und was hat sie auch schon an Maßnahmen ergriffen? Will sagen: Es kann ja nicht sein, dass dann durch eine öffentliche Förderung Management-Fehler gegenfinanziert werden.«

»Fahren auf Sicht«

Chefredakteur Uwe Vetterick ist sicher, dass der Kurs, den die Sächsische Zeitung von Print zu Online eingeschlagen hat, prinzipiell in die richtige Richtung führt. Auch wenn er auf internen Veranstaltungen durchaus einräumt, dass auch eine Portion »Fahren auf Sicht« dafür nötig ist. Und sich vom Betriebsrat anhören muss, dass die »gedruckte Ausgabe noch auf lange Sicht ihre Berechtigung« habe und »mit derselben Leidenschaft gepflegt« gehöre wie die digitalen Angebote.

Denn die Sächsische Zeitung hat im Lokalen bereits Federn gelassen. Sie hat etwa in Sebnitz den eigenen Lokalteil abgeschafft, die Seiten werden in Pirna produziert. Während in Sebnitz immerhin noch Redakteurinnen und Redakteure arbeiten, sind in den Städten Löbau und Zittau die Lokalteile und die Lokalredaktionen zusammengelegt.

»Wir haben uns vorher überlegt, wie viele Geschichten es in der Region gibt, die Abos oder Reichweite generieren und ob diese ausreichen, um zwei Lokalteile zu bestreiten. Antwort: Sie reichen nicht«, sagt Vetterick. Der vereinte gedruckte Lokalteil werde aber »mehr gelesen als der separate«.

Für die tägliche Arbeit der Redaktion ist das laut Vetterick nicht mehr so wichtig. »Löbau und Zittau ist unsere Pilotredaktion. Seit November schreiben die Kollegen dort nur noch fürs Digitale – und sehen am nächsten Tag, welcher Teil ihrer Arbeit in der gedruckten Zeitung gelandet ist.«

Hier können Sie FUNKTURM Nr. 11 bestellen.

2 Kommentare
  • Klaus-Dieter Kroemke
    November 22, 2019

    Warum kann ich nicht weiterlesen, obwohl ich ein Abo abgeschlossen habe?

  • Klaus-Dieter Kroemke
    November 22, 2019

    O.K. Weil die Schaltfläche unscheinbar klein ist ;-)

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