Man erträgt es kaum noch

Die Nachrichtenbranche und -nutzung befindet sich im Transformationprozess. Digitale Innovationen hat Auswirkungen auf das Geschäft mit den News, vor allem aber auf die Gesellschaft. Wie aber sollen Medienbranche und Medienpolitik damit umgehen, wenn eine nüchterne Nachricht als solche nicht mehr akzeptiert, sondern für Manipulation gehalten wird?

Hinweis: Dieser Text ist der Leitartikel aus FUNKTURM Nr. 11, der im Oktober 2019 erschienen ist. Titel des Heftes ist Nachrichtenkompetenz. 

Ab und zu kommt es einem so vor, als stehe die Welt kurz vor dem Nachrichten-Burn-Out: Greta weist auf die drohende Umweltverschmutzung und den Niedergang der Erde hin. Angst einflößende Kriegs- und Wirtschafts-Szenarien kursieren.

Einem Teil der Bevölkerung drückt die Idee der Überfremdung aufs das Gemüt – verbunden mit dem vermeintlichen Verlust von Wohl- und Anstand.

Das Gefühl kennt wohl jeder: Manchmal weiß man einfach nicht wohin mit den Sorgen angesichts der neuesten medial und sozial verbreiteten Entwicklungen in der Welt.

Das Absurde daran: Uns alle erreichen nur ein Bruchteil der Ereignisse in der Welt – denn es ist schlicht nicht möglich, den absoluten Überblick zu behalten. Das ist schon immer so, früher vor allem mangels Quellen. Das wird auch so bleiben, vor allem wegen der begrenzten kognitiven Aufnahmefähigkeiten des Menschen.

Nun kommt verstärkend die Erkenntnis hinzu, dass nicht alles, was geschrieben, gesagt, gezeigt wird, auch zwangsläufig wahr ist. Manchmal absichtlich, manchmal weil Fehler passiert sind. Auf die Frage, ob das schon immer so war, gibt es unterschiedliche Wahrheiten.

Aussagen statt Tatsachen als Fakten

Neulich war ein ehemaliger Mitarbeiter im Verlag zu Besuch. Überrascht meinte er, dass er seitdem er nicht mehr bei uns arbeite, die Landespolitik faktisch nicht mehr wahrnehme.

Vor gut 20 Jahren, als noch fast jeder Haushalt in Deutschland eine gedruckte Tageszeitung abonniert hatte, wäre ihm so etwas vermutlich nicht passiert. Heute prägt Social Media die häuslichen Mediengewohnheiten.

Wir sind alle in Filterblasen unterwegs, auch bei unserem Nachrichtenkonsum. Das trägt sicher auch dazu bei, wie sich unsere Gesellschaft verändert. Manch einer redet gar von Spaltung.

Sicher ist es richtig daran zu appellieren, den Blick auch mal über den Tellerrand – besser: aus der Filterblase raus – zu wagen. Aber Filterblasen gab es schon immer, zu allen Zeiten. Sie sind nicht erst mit dem Internet und den Sozialen Netzwerken entstanden.

Die Prioritäten haben sich verschoben

Gravierender ist, dass die Sozialen Netzwerke und die heute zahlreichen Medienkanäle die Aufmerksamkeitsspanne der Nutzerinnen und Nutzer so zupflastern, dass sich die Prioritäten scheinbar grundsätzlich verschoben haben.

Ist daran der Populismus Schuld? Wohl kaum, denn auch ihn gibt es schon immer. Dass Menschen, die nicht Fakten, sondern Aussagen zu Tatsachen machen, heute eine wesentlich größere Reichweite respektive Filterblasen-Gemeinde haben, hat viel mit den Sozialen Netzwerken und veränderter Mediennutzung zu tun.

Das hat massive Auswirkungen aufs Medien- und Nachrichtengeschäft. Generierten die Print-Tageszeitungen vor 20 Jahren zwei Drittel ihrer Einnahmen über Anzeigen, sind nun die Bezahlabos eine wesentliche Einnahmequelle. Gleichzeitig sind die Umsätze in diesem Bereich stark gesunken und Drittgeschäfte wie Postdienstleistungen und Online-Handel relevant.

Die Veränderungen treffen nicht nur die Zeitungen, sondern alle Mediengattungen: In den USA hat die Werbebranche 2019 erstmals mehr in Online-Anzeigen investiert als in die klassischen Segmente. Und immer seltener geschieht das, um (hochwertigen) Journalismus zu fördern.

Das alte Finanzierungsmodell der Medien funktioniert also kaum noch. Dabei gibt es zahlreiche Angebote im Netz, die genau an das Modell der Reichweitenmaximierung anknüpfen. Man erinnere sich an heftig.de. Die Seite generierte eine zeitlang mit Clickbaiting-Schlagzeilen wie »10 Faktoren, um ein hohes Alter zu erreichen« oder »15 ruinierte Hochzeitsfotos, über die das Brautpaar selber lacht« immense Reichweiten. Bis sich rumsprach, was Clickbaiting ist.

Gatekeeper-Funktion ist verloren

Mit der Transformation ins Digitale haben viele Medien ihre berühmte Gatekeeper-Funktion verloren. Sie sind nicht mehr die Einzigen, die Nachrichten aufbereiten – Unternehmen und Einzelpersonen können Medien werden.

Aber: Im regionalen Bereich sind nach wie vor Tageszeitungen und deren Online-Auftritte für viele Menschen die wichtigste Nachrichtenquelle. Und im überregionalen Bereich ist nach wie vor das Fernsehen am Drücker, wie der Digital News Report 2019 des Reuters Institute ermittelt hat.
45 Prozent der erwachsenen Internetnutzerinnen und -nutzer nennen das Fernsehen als Hauptquelle für Nachrichteninformationen. 72 Prozent informieren sich regelmäßig im linearen Programmfernsehen.

Bei der gleichen Frage steht das Internet mit 68 Prozent an zweiter Stelle – Tendenz steigend. Die linearen Medien haben also weiterhin ihre Bedeutung bei der Verbreitung von Nachrichten. Sie stehen allerdings im drastischen Wettbewerb um Aufmerksamkeit.

YouTube als radikalisierendes Leitmedium

Gerade die jüngeren Generationen wenden sich zunehmend ab. »Für Jugendliche ist YouTube ein Leitmedium«, meldete im Juni 2019 Deutschlandfunk Kultur. Die Redaktion bezog sich auf eine Studie des Rats für Kulturelle Bildung.

Positiv am Studienergebnis: Die Jugend nutze YouTube vor allem für Hausaufgaben. Wobei fraglich ist, ob die gefundenen Wahrheiten auch solche sind.

Da liegt eine der großen Gefahren: Mehrere Studien haben in jüngster Zeit untersucht, warum rechtspopulistische Parteien in den Sozialen Netzwerken erfolgreicher sind als klassische. Denn die AfD hat ein vielfaches der Fan-, Freundes- und Followerzahlen als die CDU und SPD zusammen.

Steigt man etwas tiefer ein, wird es tatsächlich ziemlich gruselig: Der YouTube-Algorithmus sorge laut verschiedener Untersuchung dafür, dass die Nutzerinnen und Nutzer verstärkt Verschwörungstheorien wahrnehmen und sich so radikalisieren.

Das bestätigte auch eine Studie des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik von 2019 mit dem beängstigendem Titel »Digital Fascism: Challenges for the Open Society in Times of Social Media«. Mit dem digitalen Faschismus werde aber »nicht eine stramm parteiorganisierte, autoritär verordnete Massenbewegung, sondern die sich selber radikalisierende Systemopposition im Netz« beschrieben, übersetzte die Süddeutsche Zeitung.

Vielmehr bilde »sich eine in sich geschlossene Hasskultur, die von nationalistischen Stimmungsmachern in Dauererregung gehalten und in ihrer Richtung bestärkt wird. Man lenkt, wie die Studie diese Form digitaler Manipulation beschreibt, die ‚Führungslosen im Netz’ in den ‚führerlosen Widerstand’«.

Antrieb für digitale Faschismus-Bewegungen sind laut der Studie nicht die (schiefen) Konzepte der angeblich überlegenen Nation oder Rasse, sondern Angst, Bedrohung und eine immer weiter befeuerte Opfermentalität.

Können sauber recherchierte und aufbereitete Nachrichten da noch etwas ausrichten? »Lügenpresse! Lügenpresse!« schallte es erstmals vor fünf Jahren durch die Dresdner Altstadt. Die sogenannte Lügenpresse bekam seither viel Aufmerksamkeit.

Manchem in der Branchen raubte es den Schlaf, weil er nicht verstand, was er falsch gemacht habe. Doch die »Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen« zeigt: Bei 44 Prozent der Bevölkerung ist die Glaubwürdigkeit in die Medien hoch. Ein Rückgang des Vertrauens ist also nicht festzustellen. Allerdings verfestigen sich zunehmend pauschale Kritik und Polemik.

So auch die Beobachtung im persönlichen Umfeld. Da meint eine junge Lehrerin: »Ich dachte immer, die machen alles richtig. Zu erkennen, dass das überhaupt nicht so ist: mind blowing!«. Selbstverständlich mache sie sich Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder, verrät eine andere Bekannte, ebenfalls Lehrerin.

Die Berichterstattung der Medien hält sie für unausgewogen und hochgradig manipulativ. Viele ihrer Bekannten hätten sich frustriert abgewandt.

Politikerinnen und Politiker wie auch Medienschaffende werden zu einer Elite gezählt, die alles fest oder eben nicht ganz so fest im Griff habe. Eine Wahrnehmung, die vom populistischen Feindbild »die da oben« angefeuert wird.

Transparenz vs. Privatsphäre

Der schleichende Verlust an Vertrauen in Institutionen und Personen in Führungspositionen sind ein Ergebnis von mehr Informationen über alle Lebensbereiche, die wir der Digitalisierung der Kommunikation verdanken. Die Antwort kann nur lauten: mehr Transparenz. Vor allem, da gesellschaftliche Dialoge durch Social Media wieder intransparenter werden.

Denn sie verschwinden mehr und mehr in geschlossenen Messenger-Netzwerken, so die mit dem Buzzword Dark Social benannte Branchen-Prognose.

Wo ist die News?

Es geschah kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen: Der Spiegel meldete exklusiv, dass der sogenannte Hutbürger (»Sie haben mir ins Gesicht gefilmt!«) das ZDF auf Schadensersatz verklagen wolle. Der ehemalige Mitarbeiter des sächsischen Landeskriminalamts, der bei einer Pegida-Demonstration mit Journalisten aneinander geraten war, fordert einem Bericht zufolge 20.000 Euro von dem Sender und dem Kameramann.

Nach Aussage des Anwalts, einem bekannten AfD-Funktionärs mit hoher Medienaffinität, klage man wegen Medienrechts- und Persönlichkeitsverletzungen.

Die Geschichte appelliert gleich an mehrere der Nachrichtenfaktoren: den Status Prominenz (über die vorher gelaufene Berichterstattung), die Dynamik der Überraschung (mit so einem Schritt hatte niemand gerechnet), die sogenannte Valenz in Form des Konfliktes (Bürger gegen ZDF) und in Sachsen schließlich auch die regionale Identifikation.

Es handelt sich also offenkundig um eine relevante Nachricht, die prompt über die überregionalen Ticker lief. Oft in Verbindung mit einem Foto vom Mann mit Deutschlandhut. Nachvollziehbar, natürlich.

Und: Unbezahlbar, wie man in der PR-Branche sagt. Denn der vergleichsweise geringe Streitwert, der am Ende für die Prozesskosten relevant ist, wie auch die mangelnde Perspektive auf Erfolg, lassen die Vermutung zu, dass hinter der Klage noch ganz andere Absichten stecken.

Das Beispiel ist nur eines von vielen, wie Populismus die bekannten Medienmechanismen nutzt, um Reichweite zu erzeugen. Es sei nur an »Vogelschiss der Geschichte« oder das »Mahnmal der Schande« erinnert. Ist jede dieser Äußerungen wirklich eine Nachricht? Zu den Zeitpunkten der Äußerungen sicherlich. Inzwischen aber springen Medien nicht mehr über jedes Stöckchen. Was bedeutet das für die Branche?

Tatsächlich ist die Kommunikationswissenschaft schon weiter, man spricht Medienschaffenden eine stärkere Rolle bei Nachrichtenkonstruktion zu. Der Wikipediabeitrag zu Nachrichtenfaktoren hat längst den Titel Nachrichtenwerte.

Heute weiß man: Medienschaffende haben eine zentrale Rolle, wenn es um die Entscheidung geht, was eine Nachricht ist. Agenturen wie die dpa arbeiten mit Nachrichtenwerten, wenn sie einen Neuigkeitswert und gleichzeitig einen Informationswert bestimmen. Die Informationswerte werden dabei in Wissens- und Orientierungswert, Gebrauchswert und Unterhaltungs- und Gesprächswert unterschieden.

Die Branche hat angefangen, sich mit diesen Aspekten zu befassen: konstruktiver Journalismus ist wohl erst der Anfang. Die Umwidmung des Konstruktes in lösungsorientierten Journalismus ist ein weiterer Entwicklungsschritt.

Die geforderte Transparenz könnte ein weiterer Schritt sein. Nicht nur auf die Hutbürger-Schadensersatzklage bezogen: Einordnen und Fehler eingestehen. Und damit die eigenen Schwächen aber auch die Mechanismen der Populistinnen und Populisten durchschaubar machen.

Die Transformation läuft noch

Auf Empfängerinnen- und Empfängerseite dürfte in naher Zukunft noch einiges passieren. Es muss nicht zwingend dabei bleiben, dass sich Menschen frustriert abwenden. Die Nutzerinnen und Nutzer sind lernfähig, das zeigt beispielsweise Clickbaiting oder auch die Spam- und Datenschutzthematik.

Im Nachgespräch zum Interview für FUNKTURM Nr. 9 äußerte der ehemalige Vorsitzende der Piraten-Partei und heutige FDP-Politiker Bernd Schlömer einen spannenden Gedanken. Auf die Frage, ob ihm die aktuellen Entwicklungen nicht doch manchmal Sorge bereiten, verwies er auf andere Transformationsprozesse in der Geschichte der Menschheit. Sein Beispiel: Zwischen der Erfindung des Autos 1885 und der Einführung des Führerscheins in Deutschland (1909) hätten gut 25 Jahre gelegen.

Sprich: Das Chaos wird schon seine Ordnung finden.

Hier können Sie FUNKTURM Nr. 11 bestellen.

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