Medien im Wahlkampf: Ausgewogen, aber nicht umfassend

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In Wahlkampfzeiten sind die Medien für die Demokratie besonders wichtig. Rundfunk und Presse berichten dabei planvoll und neutral. Viele Menschen finden sich jedoch in den Themen nicht wieder.

Text: Alexander Laboda

Hinweis: Dieser Text ist zuerst in FUNKTURM Nr. 10 im Juni 2019 erschienen.

Franko Loddo kommt mit dem Fahrrad zum Termin. Und als er sich kurz darauf in einem großen Bio-Supermarkt im Leipziger Zentrum einen Kaffee bestellt, zeigt er seine Kundenkarte vor. Beides passt ziemlich gut zur politischen Agenda des 55-Jährigen. Loddo ist nämlich sächsischer Landesvorsitzender der „V-Partei³ – Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer“ (V-Partei).

Die 2016 gegründete Vereinigung will unter anderem die Nutztierhaltung abschaffen, privaten Autobesitz überflüssig machen und ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen. 64.058 Menschen wählten die V-Partei bei der Bundestagswahl, was auf Anhieb Platz 14 von 42 angetretenen Parteien bedeutete.

Dennoch hält sich das mediale Interesse in engen Grenzen: „Wir sind so klein, dass Journalistinnen und Journalisten nur selten auf uns aufmerksam werden“, berichtet Franko Loddo. In den etwas über zwei Jahren seit der Gründung habe es insgesamt nur vier Presseanfragen gegeben.

Faire Chancen

In Deutschland gibt es dutzende Kleinstparteien wie die V-Partei. Neben den sechs Parteien aus dem Bundestag treten allein zur Europawahl 35 weitere Gruppierungen an. Und alle kleinen Parteien haben das gleiche Problem: Sie spielen in den Medien kaum eine Rolle, werden allenfalls als „exotisch“ dargestellt.

Doch ist das – zumal in Wahlkampfzeiten – in Ordnung? Wird den Kleinen nicht eine faire Chance genommen, sich vorzustellen? Und wie ausgewogen ist die Berichterstattung vor Wahlen überhaupt? Immerhin gilt seit jeher die Gleichung: Berichterstattung führt über mehr Aufmerksamkeit zu zusätzlichen Stimmen.

Franko Loddo klagt nicht direkt über Ungerechtigkeit in der Berichterstattung. Es wird jedoch deutlich, dass der Landeschef der V-Partei keine sonderlich gute Meinung vom Mediensystem hat. „Viele Journalistinnen und Journalisten können gar nicht schreiben, was sie wollen“, sagt er zum Beispiel. Das liege wiederum daran, dass etwa die Presse in Deutschland in den Händen weniger Familien und Konzerne liege. Diese seien zudem abhängig von den Werbegeldern weniger großer Unternehmen.

„Da gibt es klare Einflüsse“, kritisiert Loddo. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk vermisst der ehrenamtliche Politiker auch die nötige Einsatzbereitschaft: „Klar, die berichten schon über uns. Aber das müssen sie ja auch, und da arbeiten die Leute einfach ihre Liste ab.“

Berichte nach Konzept

Auf 68 Seiten beleuchtet FUNKTURM Nr. 10 das Thema Wahlkampf aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.

Dieses Bild ist nicht weit entfernt von der Realität bei ARD, ZDF und Co. Um ihren Auftrag in puncto Objektivität, Unparteilichkeit, Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit zu erfüllen, schreiben die Öffentlich-Rechtlichen im Vorfeld von Wahlen tatsächlich Listen.

Die Sender sprechen allerdings von Konzepten zur Wahlberichterstattung. In den Dokumenten ist detailliert nachzulesen, über welche Parteien in welchem Umfang in den Kanälen und Formaten berichtet wird.

Der MDR, der für Franko Loddo zuständig ist, hat sein Konzept zur Bundestagswahl 2017 online gestellt.

Dort findet sich recht weit vorn auch die Rechtfertigung, warum Kleinstparteien im Programm seltener vorkommen als Parteien aus dem Bundestag: „Abgestufte Chancengleichheit“ lautet der entscheidende Begriff.

Die MDR-Pressestelle erklärt die Idee auf Anfrage so: „Die Rechtsordnung räumt den Parteien (…) keinen Anspruch auf absolute Gleichbehandlung ein, sondern lässt eine Abstufung nach der politischen Bedeutung der einzelnen Parteien zu.“

Abgestufte Chancengleichheit

Für die politische Bedeutung sei „vorrangig das Ergebnis bei der letzten gleichartigen Wahl maßgeblich“, für die anstehende Europawahl also etwa das Ergebnis von 2014. Weitere Kriterien seien etwa, ob eine Partei in Parlamenten oder Regierungen vertreten ist, wie lange sie besteht und wie viele Mitglieder sie hat.

Die Sender folgen hierbei unter anderem dem Parteiengesetz, in dem das Prinzip der abgestuften Chancengleichheit niedergeschrieben ist. In der Konsequenz ergab sich beim MDR während der Vorwahlberichterstattung eine Drei-Klassen-Gesellschaft.

Die im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien – damals CDU, CSU, SPD, Linke und Grüne – zählten zur ersten Klasse. AfD und FDP, die im Sommer 2017 noch nicht zum Parlament gehörten, bildeten eine zweite Kategorie, weil sie damals in Landtagen vertreten waren. Alle anderen Parteien gehörten zu einer dritten Klasse.

Eine konkrete Folge daraus: Bei bestimmten Anlässen, etwa der Veröffentlichung einer Wahlumfrage, dürfen Politikerinnen und Politiker von Parteien der ersten Kategorie Statements abgeben, Vertreterinnen und Vertreter von Parteien der dritten Kategorie jedoch nicht.

Journalistische Freiheit

Der MDR betont, dass auch die Vorwahlberichterstattung „einer journalistischen Bewertung nach den Anforderungen einer Nachrichtenredaktion“ unterliegt. Das heißt, dass „auch eine anlassbezogene Berichterstattung über Parteien erfolgen [kann], wenn dies nach journalistischer Einschätzung geboten ist“.

Hiervon profitierte zum Beispiel die AfD. Sie bekam vor ihrem Einzug in den Bundestag weit mehr Beachtung, als ihr nach Kriterien der abgestuften Chancengleichheit zugestanden hätte.

Die von Franko Loddo gescholtenen Tageszeitungen nehmen diese Freiheit in der Berichterstattung noch einmal stärker für sich in Anspruch. Oliver Haustein-Teßmer, Chefredakteur der Lausitzer Rundschau in Brandenburg, betont im Gespräch mit FUNKTURM: „Relevanz bestimmt nicht der Politiker oder die Politikerin. Wir wollen selbst und zuerst entscheiden, was wichtig ist.“

Keine Pflicht zu berichten

Zu den Kleinstparteien in Brandenburg, wo im September ebenfalls gewählt wird, sagt er: „Wir konzentrieren uns auf Parteien, die realistische Wahlchancen haben. Da muss man Verantwortung übernehmen und notfalls Konflikte austragen. Wir können nicht über alle Parteien und Einzelbewerberinnen und Bewerber gleichermaßen berichten und diesen auch gerecht werden.“

Verschiebungen im Parteienspektrum habe man im Blick, etwa die wachsende Bedeutung der Freien Wähler im Bundesland.

Ein Wahlkampfkonzept gibt es allerdings auch bei der Lausitzer Rundschau. „Wir haben uns aber mehr grundsätzliche Gedanken gemacht, wie die Vorwahlberichterstattung aussehen soll“, erzählt Haustein-Teßmer. Das Ergebnis sind mehrere Prinzipien.

So gäbe es bei der Rundschau zum Beispiel keine Pflicht, über Parteiveranstaltungen zu berichten. Wenn berichtet wird, habe keine Partei Anspruch auf bestimmte Textlängen. Vor allem aber wolle die Rundschau in der Wahlkampfberichterstattung im Sinne der Leserinnen und Leser eigene Akzente setzen. Haustein-Teßmer erklärt: „Wir haben Themen festgelegt, die den Menschen hier in der Lausitz wichtig sind, zum Beispiel der Kohleausstieg und der Strukturwandel. Da wollen wir bei der Politik auch immer wieder Antworten einfordern.“

Konzert vieler Stimmen

Vorwürfe, nicht ausgewogen oder umfassend genug zu berichten, weist er hingegen zurück: „Wir sitzen zwischen den Stühlen und das wollen wir auch. Wir sind aber nicht neutral. Wir haben eine Haltung: Wir treten für die freiheitliche Demokratie ein. Zugleich versuchen wir, ein breites Meinungsspektrum abzubilden.“

Wie und ob die Medien in Deutschland ausgewogen über Wahlkämpfe berichten, ist seit Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Die wohl derzeit umfangreichste Analyse zum Thema ist die nationale Wahlstudie GLES (German Longitudinal Election Study). Über die Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 hinweg erforschte ein mehr als 30-köpfiges Projektteam von diversen deutschen Universitäten die Hintergründe von Wahlentscheidungen.

Die Analyse des Einflusses der Medien war dabei ein großer Bereich und erfolgte auf Grundlage von Inhaltsanalysen und Wählerbefragungen. Rüdiger Schmitt-Beck von der Universität Mannheim hat diesen Teil geleitet.

Vieles gleicht sich aus

Er stellt der politischen Berichterstattung ein gutes Zeugnis aus: „Es gibt keinen Grund, an der Integrität der tagesaktuellen politischen Information zu zweifeln. Die von uns untersuchten Medien haben alles in allem neutral oder – wenn es negative oder positive Stimmen in einem Bericht gab – ausgewogen berichtet.“

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Konkret betrachteten Schmitt-Beck und sein Team die Abendnachrichten bei ARD, ZDF, RTL und Sat.1 sowie die Zeitungen Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, die tageszeitung sowie die Bild.

Insgesamt werteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 1.395 politische Fernsehbeiträge und 2.323 Presseartikel aus.

Am Ende seien nicht nur die Codierer der Inhaltsanalyse, sondern auch die repräsentative Gruppe der befragten Wählerinnen und Wähler zum Ergebnis gelangt, dass die Berichterstattung ausgewogen ist.

Schmitt-Becks Fazit: „Die Medien sind ein Konzert von vielen Stimmen. Da gleicht sich alles aus.“

Mangelhafte Repräsentation

Andere Studien kommen jedoch zu weniger schmeichelhaften Ergebnissen. In einer Umfrage der Medienforschung von ARD und ZDF zur Bundestagswahl 2017 zeigten sich zwar viele Befragte insgesamt zufrieden mit der Ausgewogenheit der Vorwahlberichterstattung.

Jedoch fühlen sich die Menschen offenbar nicht repräsentiert.

Befragt danach, auf welchen Sender die Aussage „Hat für mich wichtige Themen angesprochen“ zutrifft, nannten lediglich 45 Prozent die ARD und 35 Prozent das ZDF. Die Privatsender RTL (3 Prozent) und Sat.1 (1 Prozent) schnitten noch schlechter ab.

Auch bei der Aussage „Hier wurden die Standpunkte der kleinen Parteien erläutert“ bekamen alle vier Sender wenig Zustimmung. 39 Prozent sagten, dies trifft am ehesten bei der ARD zu, 30 Prozent nannten das ZDF. RTL und Sat.1 erreichten hier erneut niedrige einstellige Prozentwerte.

In einer anderen Untersuchung des Kommunikationswissenschaftlers Olaf Jandura von der Universität Zürich und des Sozialwissenschaftlers Raphael Kösters von der Universität Düsseldorf aus dem Jahr 2016 drückt sich das mangelhafte Repräsentationsgefühl ebenfalls deutlich aus.

Es fehlt inhaltliche Bandbreite

In einer Befragung von 1.488 wahlberechtigten Online-Nutzerinnen und Nutzern stimmten nur 56 Prozent der Aussage zu: „Es gibt Medien, die ausdrücken, was ich zu politischen Themen meine“.

Die gesammelten Daten lassen den Schluss zu: Die Medien berichten in ihrer Gesamtheit zwar ausgewogen, aber es fehlt an inhaltlicher Bandbreite.

Die Themensetzung und -Gewichtung kritisiert auch Franko Loddo von der V-Partei in Sachsen. Er habe den Eindruck, die Medien recherchierten kaum noch und schrieben allzu häufig voneinander ab: „Ich würde mir wünschen, dass Journalistinnen und Journalisten wieder öfter den Finger in die Wunden legen und nicht immer wieder über die gleichen Themen berichten“.

Als eines von mehreren Beispielen nennt er die Diskussion um den Diesel. Zwar sei es auch seiner Partei eine Wende in der Verkehrspolitik wichtig. „Aber keiner berichtet zum Beispiel über die 350.000 Schiffe auf den Weltmeeren, die mit Schweröl fahren und wesentlich mehr Dreck in die Luft pusten als alle Diesel bei uns zusammen.“

Überschätzter Einfluss der Medien?

Ermutigend könnte für Franko Loddo ein weiterer Befund aus der GLES-Wahlstudie sein. Die Forscherinnen und Forscher fanden überraschenderweise heraus, dass der Einfluss der Medien auf die Wahlchancen der Parteien überbewertet wird. „Das ist an der Grenze der statistischen Wahrnehmbarkeit“, sagt Forschungsleiter Rüdiger Schmitt-Beck. Allenfalls kurz vor einer Wahl könnten stark positive oder negative Berichte Prozentpünktchen beeinflussen.

„Unsere Ergebnisse rechtfertigen nicht den Status, der den Medien und der politischen Berichterstattung in der öffentlichen Debatte zuerkannt wird.“ Für das Wahlverhalten entscheidender seien zum Beispiel Gespräche innerhalb der Familie oder mit Freundinnen und Freunden und Bekannten.

Auch die politische Kommunikation der Parteien selbst, etwa über Internetseiten, Wahlplakate oder im Straßenwahlkampf, seien einflussreicher als die Medien.

Sollte dieser Befund zur anerkannten wissenschaftlichen Wahrheit werden, dürfte das für Journalistinnen und Journalistin und Politikerinnen und Politiker eine schockierende Nachricht sein.

Der Glaubenssatz, wonach mediale Reichweite zum politischen Erfolg führt, steht infrage. Andererseits könnte diese Erkenntnis die hitzige Mediendebatte der vergangenen Jahre doch eigentlich ein wenig abkühlen.

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