Das Soziale Netzwerk Twitter muss den Account des Dresdner Grünen-Politikers Dietrich Herrmann (@d_herrmann) wieder freischalten – und hätte ihn gar nicht erst sperren dürfen.
Das hat das Landgericht Dresden am 21.6.2019 entschieden (Az. 1a O 1056/19, der Beschluss hier als PDF).
Twitter hatte zuvor nicht auf eine Abmahnung reagiert. Das geht aus der Mitteilung der Anwaltskanzlei Spirit Legal LLP hervor (vgl. spiritlegal.com vom 18.6.2019: "#TwitterSperrt zu Unrecht").
Anlass: Aufforderung zur Unterschrift auf Wahlzettel
Anlass für die Sperrung war ein Tweet, in dem Herrmann AfD-Wähler dazu aufgefordert hatte, bei der Wahl die Unterschrift auf dem Wahlzettel nicht zu vergessen.
Ein Wahlzettel wird durch eine Unterschrift ungültig; die Botschaft war ironisch gemeint und im Mai zigfach bei Twitter und in anderen sozialen Netzwerken geteilt worden. Andere Nutzerinnen und Nutzer hatten auf die Sperrung bei Twitter durch Löschung des Tweets reagiert; Herrmann dagegen hatte Widerspruch eingelegt.
Das Gericht begründet seine Entscheidung mit einem Verweis auf die Meinungsfreiheit. Die Äußerung sei als "bloßes Werturteil" erkennbar. Das "virtuelle Hausrecht" von Twitter habe Grenzen.
Wörtlich heißt es in der Begründung:
"Betrachtet man die vorliegende Äußerung, ist klar zu erkennen, dass es sich vorliegend nicht um einen ernstgemeinten Rat an AfD-Wähler handelt. Vielmehr hat der Antragsteller vorliegend unter Verwendung auf Satire bzw. Ironie seine ablehnende Haltung gegenüber der AfD ausgedrückt. Es ist erkennbar, dass auch der Antragsteller nicht davon ausgeht, dass die potentiellen Wähler der AfD – wie auch der allergrößte Teil der deutschen Bevölkerung – nicht intelligent genug wären, die Satire und die erkennbare Fehlerhaftigkeit dieser 'Aufforderung' zu erkennen."
Die Begründung des Gerichts findet sich hier als PDF auf der Seite von Spirit Legal.
Twitter kann gegen die Entscheidung Widerspruch einlegen. Das Unternehmen Twitter Inc. hat seinen Europa-Sitz in Dublin, Irland. Bis zur Zustellung des Urteils und einer Reaktion von Twitter dürften mehrere Tage vergehen.
Soziale Netzwerke gegen Wahlmanipulation
Twitter hatte im Vorfeld der Europa-Wahlen einige Regeln eingeführt, um Wahlmanipulationen zu unterbinden. Generell haben alle großen sozialen Netzwerke Maßnahmen gegen Wahlmanipulation vorgenommen.
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Juni 26, 2019
Die Sperre meines Twitterkontos @d_herrmann dauert trotz der in der Sache eindeutigen Einstweiligen Anordnung des Landgerichts Dresden an.
Und das obwohl davon auszugehen ist, dass Twitter von dem Gerichtsbeschluss längst Kenntnis hat (Tweets über den Gerichtsbeschluss wurden gestern u.a. von Jan Böhmermann geteilt, der auf Twitter über 2 Millionen Follower hat).
Nur noch mal zur Erläuterung:
Mein Konto, meine Tweets bis zum 9. Mai sind für alle zu sehen; der Außenstehende könnte denken, dass ich seitdem einfach nicht mehr getwittert habe.
Nur kann ich nicht auf das Konto zugreifen, kann nicht twittern, retweeten, kommentieren, "liken" oder Direktnachrichten senden oder empfangen.
Auf meine Sperrung am Morgen des 10. Mai habe ich Einspruch eingelegt; in der offensichtlich maschinell erstellten Antwort erschien der Hinweis, man werde den Einspruch prüfen und sich "bald" wieder melden. Diese maschinelle Antwort erhielt ich erstmals am 10. Mai.
Von Twitter erfolgte seither kein einziges Mal eine substanzielle Reaktion, auch nicht auf eine Abmahnung, die ich am 17. Mai an Twitter schickte.
Für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.
Bei juristischen Fachfragen gibt mein Rechtsanwalt Jonas Kahl von Spirit Legal LLP sicher gerne Auskunft.
Juni 27, 2019
"Starire" statt "Satire" im Zusammenhang mit "erkennbare Fehlerhaftigkeit" ist auch irgendwie witzig.
Juni 27, 2019
Danke für den Hinweis, den Übertragungsfehler haben wir eingebaut - und gerade korrigiert! (owy)