Patzelt vs. TU Dresden: über Framing und die mediale Lust an Konflikten

Am frühen Samstagabend (19.1.2019) sorgte eine Nachricht zum Abschied des Dresdner Politik-Professors Werner J. Patzelt von der TU Dresden für medialen Gesprächsstoff.

Titel der Meldung: "TU Dresden trennt sich von Politikprofessor und CDU-Berater Patzelt".

Sie erschien offenbar zuerst beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) in die zugehörigen Kanäle LVZ.de und DNN.de.

Wörtlich heißt es darin:

"Der neue Wahlkampfberater der sächsischen CDU, der Politikwissenschaftler Werner Patzelt, verliert seine Anbindung an die Technische Universität Dresden. Patzelt sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), der Dekan der Universität habe ihm mitgeteilt, dass sein Antrag auf eine Seniorprofessur nicht unterstützt werde. Patzelts bisherige Professur endet regulär Ende März. Er hatte sich um eine Anschlussverwendung als Seniorprofessor beworben."

Die Meldung lief rasch (gefühlt) auf "allen Kanälen", verbreitet von Agenturen - und sorgte für einige Aufregung und zahlreiche Solidaritäts-Kommentare aus Patzelts Community in den sozialen Netzwerken.

Trennung oder abgelehnter Antrag?

Wobei Nutzer bei Twitter (etwa bei @d_herrmann, s. Screenshot) und Facebook früh darauf aufmerksam machten, dass - und damit sind wir beim Thema - die Überschrift der ursprünglichen Meldung durchaus missverständlich sei.

Denn man könnte sie wie eine Kündigung lesen.

Es handelt sich aber gar nicht um eine Kündigung - was im Grunde durchaus auch aus der RND-Meldung hervorgeht.

Vielmehr hat der Fakultätsrat unter Leitung des Prodekans Prof. Lutz Hagen Patzelt mitgeteilt, dass er den Antrag auf eine Seniorprofessur für die Zeit nach seinem regulären, altersbedingten Ausscheiden aus dem Professorenamt nicht unterstützt.

Patzelt als einzige Quelle für Gründe

Im ersten RND-Beitrag vom Samstag, der in der Folge über die Agenturen und damit bei vielen anderen Medien lief, ist zu dem Grund der "Trennung" zu lesen:

"Patzelt sagte, die Universität habe ihre Ablehnung damit begründet, dass er 'auf unzulässige Weise die wissenschaftliche und die politische Rolle vermenge'. Diesen Vorwurf weise er zurück: 'Ich habe keine Rollen vermengt. Ich habe mich immer nur für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eingesetzt - auch gegenüber seinen Feinden und Gegnern.' Ein zweiter Vorwurf der Universität sei, dass er Universitätsleitung und Landeswissenschaftsministerin in der Debatte um die Gründung eines Universitätsinstituts öffentlich kritisiert habe. Damit habe er nach Darstellung der Universität „gegen das Mäßigungsverbot verstoßen', dem er als Professor unterliege. Patzelt sagte, er habe nur Fakten beschrieben."

Das macht, mit Verlaub, schon den Eindruck, ein ordentlicher journalistischer Schnitzer zu sein. Die Quelle der Information über die Trennung ist zentraler Akteur der ganzen Geschichte... Ob man in der Redaktion schon mal etwas vom Zwei-Quellen-Prinzip gehört hat?

Der Gegencheck blieb aus

Der Gegencheck, ob die Begründung so stimmt, ist offenkundig nicht erfolgt. Das merkt man an den medialen Reaktionen in den folgenden Tagen.

Am Sonntag heißt es dann beim RND: "TU Dresden wirft Patzelt Rufschädigung vor" - in dem Stück wird auf eine Mitteilung der TU eingegangen.

Nachdem zahlreiche Medien über das Wochenende den Frame von der Trennung übernommen hatten, rückte MDR aktuell dann heute früh (21.1.) die Geschichte mit einem Interview mit Prof. Lutz Hagen etwas "gerader".

Hagen sagt dort u.a.:

"Die Formulierung 'TU Dresden trennt sich von Patzelt' ist stark missverständlich. Herr Patzelt geht im April in den Ruhestand. Das ist schon lange klar und der Sachverhalt ist, dass Herr Patzelt gern eine Seniorprofessur gehabt hätte. Das ist eine ehrenamtliche Tätigkeit, die man ausüben kann, die wenige Professoren tatsächlich ausüben. Und die Neuigkeit ist, dass ich ihm, im Namen der Fakultät, gesagt habe, dass wir das für ihn nicht beantragen werden."

Aus dem Interview wird auch deutlich: Die Seniorprofessur im Ruhestand ist eher die Ausnahme.

Beim MDR ist das gesamte Interview nachzulesen: "TU Dresden möchte Patzelt nicht mit Seniorprofessur ehren".

Es gab vorher eine Aussprache

Etwas mehr Recherche hätte auch zu Tage bringen können, dass die Absage der Seniorprofessur für Patzelt keineswegs überraschend kam. Vielmehr hatte er schon Mitte Dezember mitgeteilt bekommen, dass es schwierig werden könnte.

Die aktuelle Mitteilung vom Samstag, dass sein Antrag von der Fakultät nicht unterstützt werde, ist außerdem das Ergebnis einer Aussprache, die am vorangegangenen Mittwoch zwischen Patzelt und den Fakultätsmitgliedern erfolgte.

In der Kritik an Patzelt dort wurde u.a. einiges von dem wiederholt, was die Professoren-Kollegen schon vorher einmal in einem offenen Brief an Patzelt thematisiert hatten (hier im Blog dokumentiert - einschließlich der Antworten von Patzelt).

Ferner wird in der Mitteilung darauf hingewiesen, dass Patzelt der Aufforderungen nicht nachkam, das Gespräch mit dem Rektor der TU Prof. Dr. Hans Müller-Steinhagen zu suchen und sich von der "harschen Kritik" an ihm zu distanzieren. Patzelt hatte Steinhagen öffentlich beschuldigt, gemeinsam mit der sächsischen Wissenschaftsministerin die Ansiedlung eines "Instituts für Gesellschaftlichen Zusammenhalt" an der TU Dresden unter der Leitung von Patzelt verhindert zu haben.

Medienphänomene: Framing und Konflikte schüren

Der ganze Vorgang ist ein schönes Beispiel für das Medienphänomen "Framing". Gemeint ist damit das Setzen eines einseitigen Interpretationsrahmens von politischen Entwicklungen.

Medienprofis wissen: Ist einmal ein Interpretationsrahmen innerhalb der Medien gesetzt, ist es sehr schwer, diesen wieder zu durchbrechen (hier der Wikipedia-Eintrag zu Framing).

Im vorliegenden Falle hat Prof. Patzelt der Journalistin vom RND seine Lesart übermittelt. Das ist absolut in Ordnung – seine Sichtweise auf den Vorgang ist ja durchaus verständlich. Es ist eben seine Sicht der Dinge. Und es liegt im Grunde nicht in seiner Verantwortung darauf hinzuweisen, dass es bei Konflikten immer zwei Seiten und folglich auch noch eine andere Perspektive (die der Professoren-Kollegen an der TU) gibt...

Und doch: Es ist eine Trennung!

Die "Trennen"-Überschrift, die im Artikel selbst ja dann richtig eingeordnet wird, bewegt sich aus unserer Sicht auch durchaus noch im Rahmen des Vertretbaren. Schließlich erfolgt ja definitiv eine Trennung – im wahrsten Sinne des Wortes!

Und: Nach wie vor ist es in der Branche weit verbreitet, dass Überschriften etwas zugespitzt werden, um die Aufmerksamkeit der Leser zu genieren (darüber könnte man mal diskutieren!).

An der ganzen Geschichte wird auch deutlich, dass "Konflikt" einer der zentralen Nachrichtenfaktoren unserer Zeit ist. Sorgen Berichte über Konflikte doch immer für reichlich Klicks und Aufmerksamkeit – was am Ende wieder auf die Werbeeinnahmen wirkt (so zumindest das oberflächliche Kalkül der Medienbranche).

Wir brauchen Medienkompetenz und Sensibilisierung

Vermutlich liegt hier eines der zentralen Probleme unserer Zeit: Die Zuspitzung, die mediale Lust am "Konflikte schüren" sorgen in Verbindung mit mangelnder Recherche für Debatten (das ist im Grunde ja gut) – die in der Folge aber so hitzig werden, dass es dem Vorgang selbst eigentlich nichtmehr angemessen ist und die gesellschaftlichen Fronten weiter verhärten (das ist dann wohl nicht so gut).

Dagegen hilft wohl nur die Vermittlung von Medienkompetenz an die Nutzer. Und die Sensibilisierung der Medienbranche, einseitiges Framing nicht zu fördern – etwa durch ordentliche Recherche von Vorgängen.

Nachtrag 14.03, bearbeitet 14.21 Uhr

Prof. Patzelt hat in einem langen Blogbeitrag seine Sicht auf die Geschichte aufgeschrieben. Darin schreibt er u.a., er wolle gegebenenfalls rechtlich gegen Falschaussagen über ihn vorgehen - was schon wieder zu einer medialen Schlagzeile führt (vgl. Freie Presse: "Patzelt erwägt juristische Schritte wegen 'Falschaussagen'").

In Patzelts Blogbeitrag heißt es dazu:

"Ebenso tatsachenwidrig wird behauptet, es wäre eine bloße 'Unterstellung', dass der Rektor der TU Dresden mich bei den seitens der TU Dresden erforderlichen Vorarbeiten für den möglichen Aufbau eines solchen Instituts übergangen habe, und dass dabei politische Gründe eine Rolle gespielt hätten. Nötigenfalls werde ich gegen fortgesetzte Falschaussagen dieser Art rechtlich vorgehen. Jedenfalls wird die Verweigerung des Ehrenamtes einer Forschungsprofessur damit begründet, ich hätte den Rektor für dieses Verhalten öffentlich kritisiert. Das habe ich zweifellos, und zwar mit Recht."

Den Beitrag zeichnet aber eigentlich aus, dass Patzelt die Vorwürfe gegen ihn im Detail benennt und seine Sicht darauf wiedergibt. Hier ist der ganze Blogbeitrag von Patzelt nachzulesen: "Zum Abschied von meiner Universität".

Die TU Dresden hat ebenfalls parallel eine Stellungnahme zum Vorgang veröffentlicht: "Stellungnahme zu den öffentlichen Anschuldigungen von Prof. Patzelt bezüglich einer nicht genehmigten Seniorprofessur".

Transparenzhinweis: Ich bin Mitglied im Förderverein des Instituts für Kommunikationswissenschaft der TU Dresden und unregelmäßig im Auftrag von Prof. Hagen als Dozent am Institut tätig. 

Transparanzhinweis II: Der Beitrag ist nach Veröffentlichung mehrfach editiert worden - zuletzt um die Nachträge. 

3 Kommentare
  • Werner J. Patzelt
    Januar 21, 2019

    Es wäre journalistisch gut, die folgende Sachverhaltsschilderung / Dokumentation zur Kenntnis zu nehmen und als "ähnlichen Beitrag" zu verlinken: http://wjpatzelt.de/2019/01/21/zum-abschied-von-meiner-universitaet/?fbclid=IwAR2yRH7kwE_B4R1bifrLe1cBf2TEd3wHo4jn82xXCvlgInIGeYgB9yd9OEA

  • owy
    Januar 21, 2019

    Vielen Dank für den Hinweis - ich habe den Text soeben - wie auch die Stellungnahme der TU - im Beitrag als "Nachtrag" verlinkt.

  • O.M.
    Januar 23, 2019

    (...) Nachfolgend publizierte die Sächsische Zeitung in ihrer Print-Ausgabe vom 23. Januar unter der Headline "Was soll das heißen: 'zu weit rechts'"? in der Causa Patzelt ein Interview mit Lutz Hagen, Professor für Kommunikations-Wissenschaft und Dekan der Philosophischen Fakultät, Technische Universität Dresden.

    Ein oder zwei oder drei oder vier oder fünf oder sechs kurze Streifzüge durch besagtes Interview (...)

    -> http://meyview.com/werner-patzelt-all-against-one/

    Werner Patzelt - all against one?

    | MeyView.com, 23. Januar 2019 |

    ... & :-) -Gruß

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