Doppelter Lesehinweis: Gleich zwei sehr krasse Beispiele dafür, wie Medien nicht arbeiten sollten, sind in der vergangenen Woche in Sachsen zu sehen gewesen.
tag24: Wenn das Clickbaiting den Mob bedient
Erstes Beispiel: tag24 hat sich der neuen Kriminalitätstatistik für Leipzig angenommen. Doch die reißerischen Überschriften führen völlig in die Irre - während im Text selbst dann deutlich wird, dass die Entwicklung nicht so dramatisch ist, wie die Überschrift es vermuten lässt.
Der Kreuzer hat den Vorgang aufgeschrieben:
"In der Medienbranche hat sich die Tendenz zum reißerischen Titel längst zum traurigen Standard entwickelt. Doch Tag24 spielt nicht mehr das alte Spiel, unter markigen Überschriften laue Neuigkeiten zu verbreiten. Nein, das Medium versteigt sich darauf, Texte mit Aussagen zu übertiteln, die deren Inhalte komplett widersprechen. Unter der Headline »Über 100.000 Straftaten! Wird Leipzig noch krimineller?« heißt es dann »Die Anzahl der Kriminaldelikte ist im vergangenen Jahr in Leipzig deutlich zurück gegangen.« »Plus 670 Prozent! Dramatischer Anstieg von Vergewaltigungen in Leipzig« behauptet eine andere Überschrift, während der Text besagt, dass die Statistik eine Vergleich zum Vorjahr gar nicht hergibt: »Der enorme Anstieg bei Vergewaltigungen und schweren sexuellen Nötigungen geht wesentlich auf das nach den Kölner Silvester-Übergriffen 2016 verschärfte Sexualstrafrecht zurück. Seither gelten solche Attacken nicht mehr nur als einfache Nötigungen."
Der komplette Kreuzer-Text vom 29.3.2018 trägt den Titel: "Hass durch Fehlinformation - Tag24 lügt über den Anstieg von Vergewaltigungen und anderen Straftaten in Leipzig".
Der erste Text zu den Überschriften, die den Hass-Mob im Netz bedienen, ist bereits am 28.3. im Sprachlos-Blog erschienen. Titel: "Zucker für die Affen: Tag24 und die erfundenen 670 Prozent mehr Vergewaltigungen".
Update 2.4.2018: Die 670-Prozent-Überschrift ist jetzt versachlicht. Nun steht dort: "So hat sich die Zahl an Sexualstraftaten in Leipzig verändert".
Auschwitz-Foto mit Genuss-Werbung
Das zweite Beispiel hat Übermedien aufgeschrieben. Bei SZ-Online ist ein Beitragsfoto, das den Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz zeigt, mit einer automatisiert eingeblendeten "Genuss"-Werbung von Lidl Penny "verziert" worden (s. Screenshot).
Übermedien schreibt ironisch:
"Gut, größere Aufmerksamkeit kann man sich für einen Discounter kaum vorstellen, als seine 'schönsten Momente' mit dem Bild eines Konzentrationslagers zu kombinieren. An der Treffsicherheit und Kontextsensitivität muss vielleicht noch gearbeitet werden."
Autor Stefan Niggemeier hat sich zum Thema eine Stellungnahme von der DDV-Mediengruppe eingeholt. Darin heißt es, die Einblendung sei sehr unglücklich, ließe sich technisch aber nicht ausschließen.
Titel der Übermedien-Geschichte vom 27.3.2018: "Bei der 'Sächsischen Zeitung' wird Auschwitz zum Genuss-Moment".
Wem das "Unglück" bekannt vorkommt... wir haben die Fehlgriffe automatisiert eingeblendeter Werbung schon mal 2012 hier im Blog thematisiert. Damals ging es ebenfalls um SZ-Online.
Titel unserer Geschichte am 20.11.2012: "Ohne (viele) Worte: 'Augen schließen und genießen'".
März 31, 2018
Die Genuss-Werbung kam von Penny, nicht von Lidl. Aber so ist das wohl, wenn man die Texte anderer nicht liest ;-)
März 31, 2018
Öhhh, das war nur ein Test, wie aufmerksam unsere Leser sind! Herzlichen Glückwunsch, gewonnen! :-o