Ein Gastbeitrag von Dr. Anna-Maria Schielicke, Antje Odermann und Tim Tschapek
Als Sozialwissenschaftler sieht man sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, verzichtbar zu sein. Ein schönes Lehrstück dafür, warum dem nicht so ist, konnte man kürzlich bei der Präsentation der zweiten Welle des Sachsen-Monitors unter dem Titel "Wie tickt Sachsen?" in der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung erleben.
Burkhard Beyer aus der Sächsischen Staatskanzlei übernahm es, "auf dem Berg der Erkenntnis" die Daten der repräsentativen Befragung von 1.006 Sachsen zu präsentieren. Den Referenten Beyer und das Publikum schien zu einen, dass er wie alle anderen Anwesenden die Folien zum ersten Mal sahen – anders kann man sich das, was im universitären Kontext gerne als "Powerpoint-Karaoke" bezeichnet wird, nicht erklären. Wahllos wurden einzelne Aussagen herausgegriffen und ad hoc teils fragwürdigen Interpretationsversuchen unterzogen. Es wurde von Korrelationen gesprochen, die überhaupt nicht geprüft wurden und von Schwankungen, die man sich "jetzt nicht so richtig erklären kann" und verstieg sich zu der Aussage, andere könnten es auch nicht.
"Nicht sooo superaussagefähig"?
Richtig kritisch wurde es aber, als begonnen wurde, validierte, also zuverlässige und etablierte Messinstrumente, in Zweifel zu ziehen. Einzelne Aussagen werden für „nicht sooo superaussagefähig“ befunden, einzelne Begriffe bemängelt: "das hätte ich jetzt so nicht gefragt […] aber wir haben das jetzt einfach mal genommen". Das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit schließlich findet Herr Beyer als Begriff "etwas sperrig" und würde lieber von Ressentiments sprechen. So ist dann die Meinung, dass "die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen sind" keine problematische Einstellung mehr, sondern nur ein Ressentiment. Und 15 Prozent Zustimmung zu dieser Aussage nur ein geringer Wert.
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist ein Syndrom, dass sich seit Jahren in der Mitte der Gesellschaft beobachten lässt – auch außerhalb Deutschlands. Dieses Syndrom wird durch Vorurteile gegenüber verschiedenen Gruppen repräsentiert und lässt sich damit als "eine generalisierte Abwertung von Fremdgruppen, die im Kern von einer Ideologie der Ungleichwertigkeit bestimmt ist" (Zick & Küpper, 2011, S. 43*) beschreiben, weshalb die Bezeichnung "Ressentiment" offenkundig falsch, wenn nicht gar verharmlosend ist.
Anekdotisches aus der Heimat
Es ist dann am Direktor der Landeszentrale, Dr. Roland Löffler, in der sich anschließenden Podiumsdiskussion Vergleichszahlen zu zitieren, um die Ergebnisse einigermaßen einordenbar zu machen. Eine Aufgabe, die eigentlich dem Präsentator der Daten obliegt. Leider half das Podium insgesamt aber auch nicht wesentlich weiter in der Interpretation und Diskussion. Alexander Ahrens – Oberbürgermeister von Bautzen – sah keinen Grund zur Hysterie, erzählte Anekdotisches aus seiner Heimat und nutzte die Gelegenheit zum Medienbashing. Vergeblich wartete man an dieser Stelle (wieder einmal) auf einen Verweis auf systematische Analysen der Berichterstattung über Bautzen. Stattdessen wurde mit gefühlten Wahrheiten, statt mit Fakten argumentiert.
Gordian Meyer-Plath schließlich – Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen – fragte sich scheinbar selbst, warum er auf dem Podium saß. Zitat: „Einstellungen sind nicht das, worum sich der Verfassungsschutz kümmert“. Zuständige aus dem Innen- und Sozialministerium fehlten auf dem Podium, um ihre Einschätzung der Daten den interessierten Zuhörern zu präsentieren.
Abgesehen davon wäre es für die gesamte Veranstaltung eine gute und irgendwie naheliegende Idee gewesen, jemanden einzuladen, der sich mit sozialwissenschaftlichen Studien auskennt. Wenn dies nicht durch das durchführende Befragungsinstitut dimap selbst gewährleistet werden kann, dann muss eigentlich gar nicht lange nach enthusiastischen Vertretern der Sozialwissenschaft gesucht werden: Luftlinie etwa 10 Kilometer entfernt vom "Berg der Erkenntnis" arbeiten Menschen, die mit Kompetenz und Expertise in diesem Bereich aufwarten können.
Der "Wie kann das denn repräsentativ sein?"-Todesstoß
So hätte man dann auch vermeiden können, dass der gesamten Präsentation der klassische "Wie kann das denn repräsentativ sein?"-Todesstoß versetzt wurde: Auf die Frage aus dem Publikum, warum denn 1.000 Befragte repräsentativ sein sollen für 4 Millionen, antwortet Herr Beyer nur, dass 2.000 natürlich besser gewesen wären. Anstatt den Kritikern mit einer einfachen Erklärung des Stichprobenprinzips – sehr anschaulich hier in diesem Video mit der Gründerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach, Elisabeth Noelle-Neumann, gezeigt – den Wind aus den Segeln zu nehmen, wurde die Kritik an der Methode nur noch befeuert. Der eigentliche Kern der Veranstaltung – die Ergebnisse – gingen dabei völlig unter.
Letztlich schien es so, als schätze die CDU-geführte Staatskanzlei den 2014 im Koalitionsvertrag mit der SPD beschlossenen Sachsen-Monitor gar nicht richtig. Dabei gibt es gar keinen Grund die regelmäßige Befragung nicht selbstbewusst und offensiv zu vertreten. Die Staatskanzlei sollte eigentlich stolz darauf sein, transparent und systematisch "seinen Bürgern so auf den Zahn" zu fühlen, wie es der Sachsenspiegel formuliert. Bevor die Ergebnisse und Daten also im Staatsarchiv verschwinden, würden wir dringend raten, die Datensätze denjenigen für Analysen zur Verfügung zu stellen, die sich mit sozialwissenschaftlicher Forschung auskennen.
*Vollständige Literaturangabe: Zick, A., Küpper, B. & Hövermann, A. (2011). Die Abwertung der Anderen. Eine europäische Zustandsbeschreibung zu Intoleranz, Vorurteilen und Diskriminierung. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung.
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