Gastbeitrag von Andreas Szabo, Redaktionsleiter Radio Dresden
Mal ein paar Hinweise zum Umgang mit unseriösen Quellen: Wenige Stunden nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund am 11.4.2017 taucht im linken Szene-Portal "Linksunten Indymedia" ein angebliches "Bekennerschreiben" auf. Das Portal wird immer wieder für Bekennerschreiben aus der militanten Antifa-Szene genutzt.
Nur: Jeder kann dort Texte veröffentlichen, dementsprechend kann sich dort Gott und die Welt zu allem bekennen.
Die Deutsche Presse Agentur dpa macht aus dem Indymedia-Eintrag von Dienstagabend knapp 10 Stunden später eine Eilmeldung:
"(Eil) Ermittler prüfen zweites Bekennerschreiben - Aus Antifaschisten-Szene – Im Zusammenhang mit den drei Explosionen in der Nähe des Dortmunder Mannschaftsbusses prüfen die Ermittler die Authentizität eines zweiten Bekennerschreibens, das möglicherweise aus der antifaschistischen Szene kommt. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur vom Mittwoch wird in dem am späten Dienstagabend im Internet verbreiteten Schreiben in Antifa-Duktus erklärt, der Bus sei mit eigenes für den Anschlag angefertigten Sprengsätzen als «Symbol für die Politik des BVB» attackiert worden, die sich nicht genügend gegen Rassisten, Nazis und Rechtspopulisten einsetze."
Indymedia keine seriöse Quelle
Das Problem dabei: Indymedia ist keine verlässliche Quelle. Das wurde bereits eindrucksvoll beim Anschlag auf eine Moschee in Dresden deutlich. Auch damals sollte der Anschlag mit einem Fake-Bekennerschreiben der linken Szene untergeschoben werden.
Tagesspiegel ("Anschläge in Dresden SPD-Politikerin spricht von "Rechtsterrorismus"), Tagesschau.de ("'Bekennerschreiben war Fälschung'" und wir von Radio Dresden ("Wirbel um ein angebliches Bekennerschreiben zu Anschlägen in Dresden") fassten damals sehr rasch die erheblichen Bedenken an dem Bekennerschreiben zusammen; und selbst die Generalstaatsanwaltschaft warnte vor Trittbrettfahrern.
Die Meldung fand damals vom ZDF-Morgenmagazin über ein Statement von Sachsens Innenminister Ulbig den Weg in die Agentur und wurde damit hundertfach verbreitet auf deutschen Newsportalen.
Fehler wiederholt sich
Nun wiederholte sich beim Anschlag auf den BVB-Bus dieser Fehler. Ein Bekennerschreiben, dass der linken Szene die Verantwortung zuschieben soll, wird 10 Stunden später zu einer Eil-Meldung. Einzige Quelle: ein (inzwischen gelöschtes) Indymedia-Posting und eine telefonische Bestätigung von der Polizei, dass der Text auf Authentizität geprüft wird. Fertig ist der Stoff für Aufregung in rechtspopulistischen Kreisen.
Zuerst hatte das rechte Verschwörungsportal PI-News das Bekennerschreiben öffentlich gemacht. Per Twitter wird die DPA mehrfach auf die Zweifel hingewiesen, auch Tagesschau.de-Autor Patrick Gensing fasst die berechtigten Zweifel ausführlich zusammen ("Ist das Bekennerschreiben der Antifa ein Fake?").
Die Deutsche Presseagentur braucht mehrere Stunden, um den Vorgang dann zu recherchieren und einen in unseren Augen sauberen Text über den Ticker zu schicken:
Portalbetreiber: Mögliches Antifa-Schreiben zu BVB-Attacke Fälschung
"Dortmund (dpa) - Das angebliche Antifa-Bekennerschreiben zur BVB-Attacke in Dortmund ist möglicherweise eine Fälschung. «Wir halten das Schreiben für einen Nazifake», teilten die Betreiber des Internetportals Indymedia der Deutschen Presse-Agentur am Mittwoch in Berlin mit. «Weder Inhalt noch Sprache deuten auf einen linken Hintergrund hin, deshalb haben wir es bereits sehr kurz nach der Veröffentlichung gelöscht.» Aus Sicherheitskreisen hieß es, die Echtheit des angeblichen Antifa-Bekennntnisses werden geprüft.
Schon im September 2016 war auf dem Portal im Zusammenhang mit den in Dresden explodierten Sprengsätzen vor den Einheitsfeiern zum 3. Oktober ein gefälschtes Bekennerschreiben aus der rechten Szene veröffentlicht worden."
Daraus lässt sich das wenig überraschende Fazit ziehen: Indymedia ist im Zweifel keine seriöse Quelle und bedarf einer weiteren Bestätigung (dort erklärt man die Problematik dann später auch selbst in einem langen Posting: "(Dortmund) Nazis veröffentlichen gefälschtes Bekennerschreiben auf Indymedia").
Sicher: Ein solches Schreiben kann Anlass für weitere Recherchen sein, und sei es zunächst nur eine Konfrontation mit den Ermittlungsbehörden.
2-Quellen-Prinzip und Quellenbewertung
Einen irgendwo ins Internet geschriebenen Text (mit kurzer Nachfrage bei Polizei) allerdings als Quelle für eine Eilmeldung zu nutzen, die bundesweit für viel Aufsehen sorgt und den Ermittlungsbehörden noch mehr Arbeit beschert, ist fahrlässig. Zu jedem Journalismus-Seminar gehört in den ersten Stunden der Grundsatz: 2-Quellen-Prinzip.
Auch die Unterscheidung guter Quellen und schlechter Quellen ist handwerklicher Standard – das ist gewöhnlich der Normallfall auch bei der dpa. Als seriöse Quelle kann zum Beispiel der Generalbundesanwalt betrachtet werden. Der äußert "nach einer ersten Bewertung (...) erhebliche Zweifel an der Echtheit dieser Bekennung" (vgl. "Erklärung zur Übernahme der Ermittlungen wegen des Anschlags vom 11. April 2017 auf den Mannschaftsbus des Fußballvereins Borussia Dortmund").
Dass ausgerechnet bei einem so großen Ereignis bei dpa die Standard-Mechanismen versagen, ist ärgerlich. Per Twitter sicherte man eine kritische Auswertung zu:
@reDDakteur @RolandFreund @fhomburger Eine kritische Rückschau auf Inhalte und Abläufe ist bei @dpa bei großen Ereignissen wie diesen Standard (jed)
— dpa (@dpa) 12. April 2017
Allerdings sei an dieser Stelle nicht der Hinweis vergessen, dass es eben erst kürzlich im Fall des Bekennerschreibens von Dresden ebenfalls kräftig daneben ging.
April 13, 2017
Jeder "Depp" kann ein (anonymes) Bekennerschreiben verfassen und veröffentlichen.
Besonders beliebt in der "Berichterstattung" sind Hinweise auf Hakenkreuzschmierereien oder Flaschbeschuldigungen in diesem Zusammenhang.
Aber all das ist natürlich kein Problem, so lange die dpa es nicht aufgreift, gelle? ;-)
April 13, 2017
Jedes Bekennerschreiben ist per se KEINE Verlässliche Quelle. Auch die Schreiben vor Ort müssen nicht echt sein. Alles ist bis zur Klärung immer erst mal Spekulation und vorschnelle Schuldzuweisungen in keinster Weise angebracht.
Was das angeht sollten sich alle Medien Fragen ob sie genug Sorgfalt walten lassen. Denn es war ausgerechnet wieder mal eine Nachrichtenagentur die diese unbestätigte Meldung als erstes weiterverkauft hat.