Heute findet eine spannende Veranstaltung in der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung statt. In der Reihe Donnerstags-Gespäch geht es um die Frage, ob wir in den Medien eine neue Medienethik brauchen (vgl. FLURFUNK vom 29.3.2017). Als FLURFUNKer finden wir: eine spannende und wichtige Frage!
Grund genug für uns, mal wieder einen Live-Blog zu starten und Sie über die Veranstaltung auf dem Laufenden zu halten. Also: Regelmäßig aktualisieren! Viel Spaß!
Heute an den Tasten: Benjamin Kutz.
18.04 Uhr: Los geht's mit einem Vortrag von Sozialpsychologin Dr. Catarina Katzer. Sie ist Cyber-Psychologin und beschäftigt sich intensiv mit Mobbing im Internet. Frau Rehfeld-Staudts Überleitung von der SLpB: "Wir wollen alle, dass Sie zu mündigen Bürgern im Netz werden."
18.07 Uhr: "Reichen Gesetze aus oder brauchen wir eine neue Medienethik?" lautet Katzers Einleitung.
19.09 Uhr: Frage in die Runde: Haben die Anwesenden durch die Internet-Nutzung Veränderungen an sich wahrgenommen? Wie oft schauen wir täglich auf unser Smartphone? Die Antwort: Im Durschnitt 88 Mal, also ca. alle 10 Minuten. "Das macht etwas mit uns, das verändert etwas", erklärt Katzer.
18.16 Uhr: Wie stark findet Meinungsbildung durch Fake News statt? "Bilder und Emotionen spielen dabei eine wichtige Rolle", erklärt Katzer. Außerdem werden bei Fake News häufig Wahrheiten mit Lügen vermischt. All dies macht Fake News gefährlich.
18.22 Uhr: "Vertrauen spielt im Netz eine große Rolle." Das sei laut Frau Katzer dann ein Problem, wenn gefakte Medienberichte besonders echt aussehen. "Wir sind alle anfällig für Manupulation und sollten überlegen, wie wir dem aus dem Weg gehen können."
18.24 Uhr: Warum ist Hass im Netz so einfach? "Die Anonymität spielt eine große Rolle. Wir empfinden eine Distanz zu den Opfern und keine digitale Empathie."
18.29 Uhr: "Ich kann im Internet vom verantwortungsvollen Mitbürger zum Wutbürger werden. Man bekommt das Gefühl, Teil einer großen Gruppe zu sein. Und das Gewissen wird erleichtert, weil man ja nicht der Einzige ist, der gegen andere Gruppen hetzt."
18.32 Uhr: "Es bilden sich in solchen Online-Gruppen neue Regeln und Verhaltensweisen. Dadurch können sich Aggressionsnormen verfestigen, weil keiner dagegenspricht. Die gegenseitige Bestätigung bestärkt außerdem das Selbstbewusstsein der Einzelnen."
18.34 Uhr: "Diese Agression bleibt irgendwann nicht mehr im Netz, sondern verlagert sich auf die Straße. Man kann zum Teil sehen, dass der reale Hass dort wächst, wo Online gehetzt wird."
18.36 Uhr: "Die Empathiefähigkeit erhöht moralisches Handeln. Wenn uns aber nun die digitale Empathie fehlt - handeln wir dann amoralisch?" Diese Frage müssen wir erstmal sacken lassen...
18.38 Uhr: "Wir müssen wieder verstärkt Selbstkontrolle üben und uns aktiv fragen, ob wir online Menschen verletzen könnten." Auch technische Lösungen werden laut Katzer diskutiert. Ob Filter dabei das Allheilmittel sind, stellt sie jedoch in Frage. Ihr Vorschlag: "Soziale Netzwerke sollten den Menschen einen Spiegel vorhalten. Per Pop-up könnten die User noch einmal gefragt werden, ob sie wirklich wissen, was sie da eigentlich posten möchten."
18.40 Uhr: "Wir müssen uns alle an die eigene Nase fassen und als menschliche Stopp-Schilder agieren. Wir brauchen eine digitale Zivil-Courage."
18.46 Uhr: Der Vortrag ist vorbei. Direkt geht's weiter zur Diskussion. Auf dem Podium sitzen Dr. Schielicke, Kommunikationswissenschaftlerin an der TU Dresden, der sächsische Datenschutzbeauftrage Andreas Schurig, Dr. Rehfeld-Staudt von der SLpB, Dr. Maicher, Medienpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag und Dr. Katzer.
18.51 Uhr: Das Podium diskutiert über neue rechtliche Rahmenbedingungen. Dr. Maicher sieht als Problem, dass private Unternehmen darüber entscheiden, was geht und was nicht. Außerdem plädiert sie weiterhin für die Haltung des Internets als Raum der Freiheit. Es wäre eine große Schwierigkeit, Hetze im Netz zu enttarnen.
18.53 Uhr: "Facebook ist sehr wohl bereit, bei Urheberrechtsverletzungen zu zensieren. Das ist bei Hetze schwieriger, denn jetzt geht es plötzlich um Bewertungen", erklärt Schurig. Er sei sehr skeptisch, ob die gesetzlichen Rahmenbedingungen wirklich greifen, wenn es um die Umsetzung durch die Netzwerk-Betreiber geht. Das neue Maas-Gesetz betrachtet er eher als Symbol-Politik.
18.57 Uhr: Rehfeld-Staudt fragt in die Runde, was die Schule bei der Umsetzung neuer Regelungen beitragen kann. "Es gibt schon viele neue Ansätze, die die Lehrer aufgenommen haben. Kinder und Jugendliche müssen kompetent gemacht werden, um mit den Geräten umzugehen. Bei Handling passiert das schon, aber die Lebenserfahrung haben sie nicht. Dieses digitale Bewusstsein muss bei den Kindern und Jugendlichen geschafft werden",sagt Katzer.
18.58 Uhr: Schielicke erklärt, dass bei Medienkompetenz oft nur die technische Komponente gemeint sei - wie drehe ich Filme, wie gehe ich mit den Geräten um. "Aber wie funktioniert der Facebook-Algorithmus?"
19.00 Uhr: "Wir müssen mit dem analogen Rüstzeug an das Phänomen herangehen. Wir müssen den Leuten plastisch machen, was in der digitalen Welt passiert und auf die analoge Welt übertragen. Handlungskonzepte aus der analogen Welt müssen auf die digitale Welt übertragen werden", sagt Schurig.
19.04 Uhr: Als weiteres Problem sieht Dr. Katzer die Schutzlosigkeit im Internet. Besonders Mobbing kann dadurch noch schlimmer werden: "Die Täter tragen die Opfer ständig auf ihrem Smartphone mit sich rum. Menschen werden ihre Opfer gar nicht mehr los, können nicht mehr entspannen. Die Wirkung für die Opfer ist durch die hohe Öffentlichkeit viel dramatischer."
19.09 Uhr: Nun wird das Publikum aufgerufen, Fragen zu stellen. Ein Lehrer im Publikum fragt nach realistischen Durchsetzungschancen, digitale Medienbildung an den Schulen durchzuführen. Schielicke: "Das Thema sollte überall im Unterricht eingebunden werden: in Deutsch, in Geschichte, überall gibt es Möglichkeiten. Es müsste als Querschnitt stattfinden. Ich sehe aber nicht nur bei den Schulen die Verantwortung. Da ist genauso das Elternhaus gefragt."
Dr. Maicher ergänzt: "Das darf natürlich nicht einfach als Aufgabe draufkommen. Das ist eine ganzheitliche Aufgabe. Schule ist für Kinder und Jugendliche Raum der Realität, deswegen muss es bei allen Lehrern ein Verständnis geben, was Mobbing im Internet heißt, wie diese Internet-Strukturen funktionieren."
19.11 Uhr: Schurig ist der Meinung, dass die Erwartungen an die Lehrer nicht zu hoch gehängt werden sollten. Es müssten dennoch mehr allgemeine Internet-Kompetenzen an die Schüler weitergegeben werden.
19.15 Uhr: Nächste Frage aus dem Publikum: "Das Problem würde sich ein ganzes Stück verbessern, wenn die Anonymität nicht mehr so akut wäre. Warum versucht man da nicht, eine Verbesserung zu bringen?" Für den Datenschutzbeauftragten Schurig ist das eine schwierige Frage: "Mittlerweile glaube ich, dass auch Klarnamen nicht die Lösung bringen. Mittlerweile hetzen die Menschen auf Facebook auch unter echtem Namen. Auf der anderen Seite ist für viele Menschen wichtig, anonym zu bleiben." Als Beispiel nennt Schurig einen Homosexuellen, der Angst vor einem Coming-out hat. "Bei einer generellen Klarnamen-Pflicht entstünden dann wieder Probleme für andere. In Deutschland gibt es durchaus auch Situationen, in den Pseudonyme sinnvoll sein können."
19.17 Uhr: Schielicke ergänzt, dass eine Klarnamenpflicht technisch nicht durchsetzbar wäre. Der Fragesteller schiebt nach, dass es dort durchaus Möglichkeiten gäbe, beispielsweise über eine Verifizierung per Brief. Soll in Zukunft für jede Anmeldung in einem Forum der Personalausweis eingesendet werden?
19.19 Uhr: Eine weitere Frage zur Bildung aus dem Publikum: "Medienkompetenz besteht als klares Bildungsziel. Wie kann das aber umgesetzt werden, dass an vielen Schulen Smartphone-Verbot besteht, dass die Lehrer also überfordert sind." Eine weitere Frage zielt auf die Medienethik ab: "Welche Ethik verfolgen eigentlich Journalisten? Worauf wird der Fokus gelegt? Wie könnte es auf den Weg gebracht werden, dass es eine neue Medienethik gibt?"
19.23 Uhr: "Journalisten sind wichtig für die Meinungsbildung, von daher ist das eine wichtige Frage", sagt Katzer. "Journalisten sind im Kampf um Leser, da wird moralisches Denken auch mal hinter sich gelassen. Wir müssen sagen: Ihr habt da eine Verantwortung, also werdet der auch gerecht! Es ist interessant zu sehen, wie sich unsere Diskussionskultur verändert. Man muss zwar nicht alles auf die bösen Medien schieben, aber einen gewissen Anteil gibt es da auch."
19.25 Uhr: Schielicke: "Es braucht keine neue Ethik, denn das ist alles schon da. Das müssen wir einfach nur auf das Internet übertragen."
19.27 Uhr: Maicher: "Medien und Journalisten werden auch in eine neue Rolle gedrängt. Journalisten werden immer stärker selbst zum Objekt der Berichterstattung. Es ist eine viel stärkere Herausforderung, nicht nur nach Klickzhahl und Quoten zu schauen, sondern auch auf sich selbst. Diese Sitatuation ist für die Journalisten als Mensch eine andere geworden. Es gibt Angriffe auf Journalisten bei Demos - auch die Gewährleistung von Medien- und Pressefreiheit ist da wieder ein Thema geworden."
19.30 Uhr: Schielicke weißt noch auf eine andere Gruppe hin, die für Öffentlichkeit sorgt: "Besonders bei Bloggern muss da nochmal vermehrt auf Ethik geschaut werden. Viele von denen haben eine enorme Reichweite, ohne eine journalistische Ausbildung zu haben. Das kann zum Problem werden. Deswegen sollten wir vielleicht nicht nur auf die ausgebildeten Journalisten schauen, sondern auch auf diese Gruppe."
19.31 Uhr: Frage aus dem Publikum, ein Geschichts-Lehrer: "Können wir nicht aus der Geschichte lernen? Auch Diktaturen haben immer von neuen Medien profitiert..." Dr. Katzer: "Wann haben wir denn jeweils aus der Geschichte gelernt, muss hier ein wenig provokant gefragt werden." Schielicke: "Jedes Medium war immer Fluch oder Segen. Jedes Medium wurde immer zuerst gefeiert und dann verdammt für die Probleme, die es mitbringt. Außerdem wurden Medien immer missbraucht. Da appeliere ich nochmal an die persönliche Verantwortung: Medien sind nicht einfach nur da, sie werden von Menschen genutzt und bedient. Es hängt also von den Menschen ab."
19.35 Uhr: Nächste Publikumsfrage: "Gibt es denn einen existenziellen Druck, dass alle Organisationen auch bei Facebook sind? Dort findet ja die meiste Hetze statt. Und am Ende wird man dennoch auf die Website geleitet." Dr. Maicher macht klar, dass Webseiten und Soziale Netzwerke eben anders funktionen. Gerade der Austausch ginge über Netzwerke besser. "Aber natürlich ist der Druck irgendwie da. Das ist wie in der Schule: Wenn da 30 Mio. der Deutschen sind, sollten wir das vielleicht auch sein. Und das ist ja auch nicht schlimm. Wir sollten verstärkt die Möglichkeiten sehen. Da ist eine demokratische Möglichkeit, im Netz zu diskutieren." Da stellt sich die Frage: Wie demokratisch ist eine Facebook-Diskussion?
19.42 Uhr: Nächste Frage: "Sollten wir als digitale Immigranten nicht vielleicht der neuen Generation, den Digital Natives, selbst überlassen, sich Regeln für den digitalen Raum aufstellen lassen?" - "Ein klares Jein" von Herrn Schurig. "Das kann schon manchmal gut klappen. Die Problemgruppen sind aber nicht die Schüler oder die Senioren, sondern die Gruppe dazwischen, die da einfach reingerutscht sind. Das ist die kritische Gruppe, die ein Problem hat." Katzer: "Auch diese Generation sollte das Netz genauso mitgestalten dürfen!"
19.48 Uhr: "Ich beschäftige mich ja eigentlich gar nicht mit der Sache", beginnt ein Fragensteller, "habe aber interessiert zugehört. Wir müssen einfach mal vorurteilsfrei nach den Ursachen forschen. In den Medien verfällt man in Extreme. Wir müssen dahin, wo es wehtut. Man müsste sich eingestehen, dass die Gesellschaft ziemlich verlogen und verottet ist. Journalisten sagen, Qualitätsjournalismus sei objektiv, wichtig und wir liefern euch den. Auf der anderen Seite verletzen Journalisten ihre eigenen Standards: es gibt eine einseitige Berichterstattung über Trump oder Putin. Wo bleibt da die Medienethik?" Puh, harter Tobak!
19.52 Uhr: Katzer möchte nicht so recht von einer verrotteten Gesellschaft sprechen. Aber natürlich sieht auch sie Probleme.
19.54 Uhr: "Hater sind arme Schweine", wirft jemand aus dem Publikum ein. Als Flüchtlingshelferin wüsste sie, wovon sie spräche. Ihre Taktik: "Wir haben jede Mail sehr freundlich beantwortet. Bei Hetze gehen wir in den Dialog." Und ihr Rat zum Medienkonsum: "Bei Medien darf der Verstand nicht ausgeschaltet werden. Wir sollten nicht über jedes Stöckchen springen, dass man uns hinhält."
19.58 Uhr: Dr. Schielicke meint, dass Differenzierung immer wichtig wäre. Der Herr aus dem Publikum, der von der verotteten Gesellschaft gesprochen hat, ergreift erneut das Wort und wirft ein, dass in unserer Gesellschaft alles totdifferenziert werden würde. Das Wort sollte Unwort des Jahrhunderts werden. Und Verstörungstheoretiker scheinen doch recht zu haben... (irgendwo muss der Schreiber aus der Argumentation ausgestiegen sein...) "Es gibt nicht nur eine Wahrheit", beendet Rehfeld-Staudt die Diskussion.
20.02 Uhr: Und das war's dann auch, die Diskussion findet irgendwie ein verwirrendes Ende. Wir gehen dann mal in den gemütlichen Teil des Abends über. Vielen Dank fürs Lesen und Ihr Interesse!
Hinweis (7.4.2017, 8.16 Uhr): Der Text ist nachträglich redaktionell leicht bearbeitet (Rechtsschreibkorrekturen, Verständlichkeit).
April 9, 2017
"Wir wollen alle, dass Sie zu mündigen Bürgern im Netz werden."
Die Formulierung 'werden' intendiert einen aktuell unmündigen Bürger, der eines Vormundes bedarf. Volljährige können in Deutschland jedoch seit 1992 nicht mehr entmündigt und unter Vormundschaft gestellt werden. Stattdessen kann das Gericht eine rechtliche Betreuung anordnen. Maasens 'Netzwerkdurchsetzungsgesetz', welches immerhin Netzsperren auf Zuruf und OHNE richterlichen Beschluss vorsieht, geht da einen Schritt weiter. Vollkommen 'neu' ist hierbei, dass der aktuell unmündige Bürger nur unter Umgehung rechtsstaatlicher Prinzipien zum mündigen Bürger heranreift.