Der Wochenendspiegel druckt einen Leserbrief mit schweren Vorwürfen gegenüber der Konkurrenz – und verschärft damit das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen den Anzeigenblättern in der Region Chemnitz. Es drohen juristische Konsequenzen.
Von Sebastian Martin
Der Abdruck wird für die Verantwortlichen des Wochenendspiegel ein juristisches Nachspiel haben. Das steht für den Geschäftsführer des ebenfalls in der Region Chemnitz erscheinenden Blick fest. "Wir wollen eine Unterlassung erwirken", sagt Tobias Schniggenfittig.
Er meint einen als Leserbrief gekennzeichneten Artikel, der am 27.12.2016 in dem von der Mediengruppe Erzgebirge verlegten Wochenendspiegel erschien. Der Titel: "Entlarvende Innenansichten eines Verlagshauses". In dem Beitrag geht es um den großen Konkurrenten in der Region – die Chemnitzer Verlag und Druck GmbH & Co. KG (kurz CVD), in der neben dem Blick auch die Freie Presse erscheint.
Beide Medienhäuser führen seit mehr als zwei Jahren einen heftigen Wettbewerb. Insider sprechen sogar von einem Zeitungskrieg, der u.a. durch großzügige Rabatte bei den Anzeigenkunden geprägt sein soll.
Hintergrund dürfte sein, dass das von der CVD angestrebte Monopol in der Region nicht aufging. Im April 2013 trafen sich deren Manager mit denen von der heutigen DDV-Mediengruppe sowie denen der ebenfalls in Sachsen aktiven Weiß-Gruppe, um den Markt der Anzeigenblätter zu bereinigen. In der Folge verschwand 2014 u.a. der in Chemnitz und Umgebung erscheinenden Wochenspiegel Sachsen (vgl. FLURFUNK vom 15.7.2014). Ein teurer Fehler.
Die drei Verlage mussten für den Kartellverstoß ein Bußgeld in Höhe von 12,44 Millionen Euro zahlen – hinzu kamen Strafzahlungen für die beteiligten Medienmanager (vgl. FLURFUNK vom 8.12.2015). Derzeit läuft außerdem eine Schadensersatzklage (vgl. FLURFUNK vom 1.9.2016: "Nach Kartellverstoß: Millionenklage gegen CVD, DDV und Weiss-Gruppe").
Exemplare nur für das Altpapier?
Die entlassenen Mitarbeiter des Wochenspiegel Sachsen gaben jedoch nicht auf. Sie gründeten mit Hilfe der Mediengruppe Erzgebirge ein neues Anzeigenblatt – den Wochenendspiegel (vgl. FLURFUNK vom 2.10.2014), der seit mehr als zwei Jahren mit dem im gleichen Verlag erscheinenden Wochenspiegel Erzgebirge kooperiert.
Am 27.12. thematisierte nun der neugegründete Wettbewerber die vermeintlichen Machenschaften der Konkurrenz öffentlich – vermutlich eine bewusste Provokation.
Ein Autor, dessen Name nicht genannt wird, erhebt in dem als Leserbrief gekennzeichneten Beitrag schwere Vorwürfe gegen die CVD. Er schäme sich für die Geschäftsgebaren seines Arbeitgebers, schreibt die Person. "Mit gesunder Konkurrenz hat dieses Verhalten nichts, aber rein gar nichts mehr zu tun!"
Den Ausführungen zufolge werden seit anderthalb Jahren pro Ausgabe angeblich bis zu 15.000 Exemplare absichtlich für den Müll produziert, um die Auflage künstlich zu erhöhen. Dadurch soll der Blick für Werbekunden attraktiver sein, heißt es. Für den Autor des Leserbriefs ein klarer Betrug. Für Tobias Schniggenfittig, dem Geschäftsführer des Blick, eine böse Unterstellung.
Auflage wird extern kontrolliert
Schniggenfittig verweist darauf, dass der Blick Mitglied im Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA) sei und zudem der ADA angehöre – der Auflagenkontrolle der Anzeigenblätter. Dadurch werde die ausgewiesene Auflage in Höhe von 651.702 Exemplaren mehrmals im Jahr kontrolliert, so der Geschäftsführer des Blick.
Die letzte Überprüfung im Oktober 2016 habe ihm zufolge ergeben, dass 94,1 Prozent der gedruckten Exemplare beim Leser landen und von ihm wahrgenommen werden - also mehr als 613.000 Zeitungen. Das Ergebnis des Blick sei als gut zu bewerten, da der Durchschnitt bei den deutschen Anzeigeblättern nach Angaben des BVDA bei 92 Prozent liege, sagt Schniggenfittig. Außerdem verleihe der BVDA ab einer Quote von 85 Prozent das Prüfsiegel „GPZ – Geprüfte Prospektzustellung“.
Der Manager führt noch ein Argument ins Feld. Er betont, dass die Auflage des Blick im Verbreitungsgebiet des Wochenendspiegel und des mit ihm kooperierenden Wochenspiegel Erzgebirge nahezu identisch sei mit der Auflagenzahl dieser beiden Anzeigenblätter. Der am 27.12. von der Konkurrenz veröffentlichte Betrugsvorwurf sei deshalb aberwitzig, findet Schniggenfittig.
Medienanwalt kritisiert Abdruck
Auch der Leipziger Medienanwalt Marko Haase sieht den Beitrag des Wochenendspiegel kritisch. "Ich halte den Abdruck des 'Leserbriefes' für journalistisch nicht seriös. Er hätte Basis für weitere Recherchen sein können und müssen", sagt er. Ihm zufolge enthalte der Text lauter Verdächtigungen und verstoße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht.
Wie der Jurist erklärt, verlangt das Bundesverfassungsgericht für die Verdachtsberichterstattung unter anderem eine Stellungnahme des Beschuldigten sowie ein Mindestmaß an Beweise für die Behauptungen. Die Darstellung dürfe den Betroffenen außerdem nicht vorverurteilen und für ihn entlastende Tatsachen und Argumente müssten genannt werden. "Davon findet sich nichts in dem Beitrag", sagt Haase.
Für ihn handelt es sich bei dem Beitrag auch um keinen Leserbrief – zumindest keinem im eigentlichen Sinne. Denn der Text beziehe sich nicht auf einen zuvor veröffentlichten Artikel.
Medienrechtler: Redaktion macht sich Inhalt zu eigen
Außerdem werde der Beitrag am Anfang vom Wochenendspiegel kommentiert. "Compliance predigen und akkurat das Gegenteil von regelgerechtem, rechttreuem und nachhaltigem Handeln im Tagesgeschäft von den eigenen Mitarbeitern einfordern und selbst praktizieren – das ist, so der Tenor, eines solchen Medienhauses einfach unwürdig", schreibt die Redaktion unter anderem über die CVD. Erst danach lässt sie den Leser zu Wort kommen.
"Durch die Kommentierung am Anfang des Leserbriefes macht sich die Redaktion den Inhalt des Schreibens zu eigen und muss sich dafür an der journalistischen Sorgfaltspflicht messen lassen", sagt Marko Haase. Und diese werde aus seiner Sicht nicht erfüllt, weshalb der Wochenendspiegel vermutlich rechtswidrig gehandelt habe.
Neben dem vermeintlichen Unterlassungsanspruch hält der Leipziger Medienanwalt eine Gegendarstellung oder gar eine Berichtigung für möglich. Die CVD könnte zudem einen Anspruch auf Schadenersatz haben – immer vorausgesetzt, der Wochenendspiegel kann die behaupteten Tatsachen nicht beweisen.
"Wenn der 'Leserbrief' rechtswidrig ist und deswegen Anzeigenkunden abspringen, dann könnte der Wochenendspiegel zum Ausgleich des Schadens verpflichtet sein", sagt Haase. Für ihn kommt des weiteren eine Geldentschädigung in Frage, da das Ansehen des Verlages beschädigt wurde.
Ob die CVD dies anstreben wird, lässt Tobias Schniggenfittig vom Blick offen. Für sein Haus gehe es gegenwärtig um Unterlassung, sagt er zu FLURFUNK.
Wochenendspiegel-Anwalt argumentiert mit Meinungsfreiheit
Der Wochenendspiegel selbst hat sich bislang nicht auf eine entsprechende Anfrage geäußert – dafür Medienanwalt Spyros Aroukatos, der nach eigenen Angaben die Mediengruppe Erzgebirge in dem Fall vertritt.
Er sagt: "Ich gehe davon aus, dass die Darstellung in dem Leserbrief zutreffend ist." Sollte sie es nicht sein, müsste die CVD das Gegenteil beweisen. Der Wochenendspiegel sei sonst keine Rechenschaft schuldig, sagt Aroukatos.
Und selbst wenn ein Punkt der Veröffentlichung nicht der Wahrheit entsprechen sollte, bedeute dies nach Auffassung des Medienanwalts nicht automatisch ein Anspruch auf Unterlassung. Denn sind die Vorwürfe tatsächlich falsch, müsse die Redaktion nur eine ausreichende Recherche nachweisen, dass der verbreitete Inhalt zumindest hätte stimmen können.
"Das Bundesverfassungsgericht lässt es mit Blick auf die Meinungsfreiheit zu, auch mal eine sich im Nachhinein herausstellende Unwahrheit zu veröffentlichen", erklärt Spyros Aroukatos.
Wäre zu klären, ob der Wochenendspiegel den Text naiv abgedruckt hat oder das juristische Nachspiel mit einkalkuliert hat.
Januar 19, 2017
Schön wäre ja, wenn man den Text mal lesen könnte, damit sich jeder Flurfunk-Leser selbst ein Bild vom Inhalt machen kann. Bis auf ein knappes Zitat steht über den eigentlichen Inhalt des Textes leider gar nichts im Beitrag.
Januar 23, 2017
Der "Beitrag" würde mich auch interessieren. Da scheint die CVD-Chefetage ganz schön angefressen zu sein. Nix mit Monopol stattdessen Zeitungskrieg mit Dumpingpreisen und wohl auch deutlichen monetären Verlusten. Na ja, und mit der Auflagenkontrolle ist es so eine Sache ....