Es ist eine Perspektive, die in den derzeitigen Diskussionen viel zu oft fehlt: die der Flüchtlinge. Das Buch "Dreamland Deutschland?" nimmt genau diese ein: Die Autorin Antonie Rietzschel beschreibt eindrucksvoll und in überschaubaren Schritten die Erfahrungen der Brüder Mohanad und Yousef, die aus unterschiedlichen Gründen ihr Heimatland Syrien verlassen. Über Umwege schlagen sie sich nach Deutschland durch – dem Traumziel von Mohanad.
Als Leser ist man bei jedem der Schritte dicht dabei. Man zittert mit vor den Kontrollen auf der Flucht, die häufig nur mit Schmiergeld zu bestehen sind, und fürchtet um das Leben der beiden Protagonisten, als es darum geht, das Mittelmeer zu überqueren. Dabei muss man sich die ganze Zeit bewusst machen: Das ist kein Roman – das sind die realen Erlebnisse zweier junger Männer im 21. Jahrhundert.
Aber auch im Dreamland Deutschland ist nicht alles traumhaft. Mohanad bekommt Depressionen über der Frage, die monatelang unbeantwortet bleibt: Darf er in Deutschland bleiben, obwohl er in Italien Fingerabdrücke abgegeben hat?
Packende Geschichte mit Hintergrund
Die Flucht und das erste Jahr der beiden Brüder ist in insgesamt sieben Kapitel eingeteilt – jedes Kapitel endet mit einem kurzen Absatz, in dem der jeweilige Stand der politischen Diskussion und die seinerzeit bestehenden Rahmenbedingungen in Deutschland skizziert werden. Das gibt die Möglichkeit zu reflektieren, in welcher Situation sich die beiden Brüder befinden, während in den bundesdeutschen Talkshows, auf den Titelseiten der Tageszeitungen und in den sozialen Netzwerken über die Frage diskutiert wird, wie Deutschland mit dem "Flüchtlingsstrom" umgehen soll.
Was zu Beginn der Recherche nicht absehbar gewesen sein mag: Die beiden "Helden" des Buches sind im wahrsten Sinne des Wortes Vorzeige-Flüchtlinge. Beide bemühen sich mit der Zeit aufrichtig um ihre Integration, sie suchen Arbeit und eine Wohnung. Das gelingt, auch weil sie auf die richtigen Unterstützer in Deutschland treffen.
Selbstverständlich erhebt das Buch keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit für alle Flüchtlinge. Und doch ist die Lektüre hilfreich: Weil sie uns miterleben lässt, womit Flüchtlinge wie Mohanad und Yousef zu kämpfen haben und wie sich das Thema "Flucht" und das Traumziel Deutschland aus ihrer Perspektive darstellen.
Wertvolle Einblicke
"Wovor habt ihr Angst?" lautet der erste Satz des Buches. Er stand ganz am Anfang der Recherche und wurde von der Autorin selbst gegenüber der eigenen Mutter, heimisch in der Nähe des sächsischen Pirna, geäußert. Denn deren Furcht vor den Flüchtlingen ist eine weit verbreitete und doch so schwer greifbare – besonders, da so viele Ängstliche Flüchtlingen noch nie persönlich begegnet sind.
Antonie Rietzschel leistet einen Beitrag, diese Angst zu zerstreuen. Ihre Beschreibung ist gelungen, nicht anbiedernd, nicht beschönigend – und genau deshalb für die Diskussion über Flüchtlinge sehr wertvoll.
Antonie Rietzschel: "Dreamland Deutschland?: Das erste Jahr nach der Flucht. Zwei Brüder aus Syrien erzählen", Hanser-Verlag, 167 Seiten (mit Faktencheck), München 2016, 16,90 Euro.
Terminhinweis: Antonie Rietzschel ist derzeit auf Lesetour. Am 28.9.2016 liest sie in Dresden in der Treberhilfe, Grunaer Str. 29, Dresden.
Hinweis: Dieser Text ist zuerst erschienen auf asylfakten.de.
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