Was Spinnen in Bananenkisten für eine Panik auslösen können – nicht nur bei den Angestellten im betroffenen Supermarkt gestern (24.5.2016) in Radebeul, sondern auch bei den Medien, wenn's darum geht, als erster den Spinnenfund melden zu dürfen. Innerhalb weniger Stunden wurden so aus wahrscheinlich giftigen Spinnen ganz schnell "Todesspinnen". Die Dynamik, die eine solche Meldung nehmen kann, zeigt eindrucksvoll, wie Medien heute arbeiten, um schnell ihre Leser mit Informationen zu versorgen. Und sie zeigt ebenso eindrucksvoll, wie schnell ein kleines Wort ganze Tatsachen verändern kann, wenn sie falsch gelesen und verstanden werden.
Eine Medien-Chronik zum gestrigen Spinnenfund:
Am 24.5.2016 vormittags (kurz vor 8 Uhr hatten die Mitarbeiter die Spinnen in der Bananenkiste entdeckt und die Feuerwehr verständigt) titelte Sz-Online als einer der Ersten die Meldung "Feuerwehr auf Giftspinnenfang". In dem kurzen Beitrag heißt es:
Der Bereich wurde dann abgesperrt, die Feuerwehrmänner haben die Kisten durchsucht und letztlich zwei handtellergroße Tiere entdeckt und gefangen.
Soweit so gut. Man hat also zwei Spinnen gefunden, das versteht jeder Leser. Doch direkt danach kommt im Beitrag ein entscheidender Satz:
Die sogenannten Bananenspinnen oder Armadeira genannt sind eine acht Arten umfassende Gattung innerhalb der Familie der Kammspinnen. Alle Arten gelten als sehr aggressiv und hochgiftig, heißt es in der Beschreibung.
Aha. Sz-Online bringt die Thematik "Bananenspinnen" ins Spiel. Denn die sind tatsächlich schon in Bananenkisten gefunden worden. Sz-Online schreibt NICHT, dass es sich bei den beiden Spinnen, um besagte Gattung handelt. Aber sie formuliert es so ungeschickt, dass man, wenn man nicht richtig liest, falsche Rückschlüsse ziehen kann. SZ-Online kann zu diesem Zeitpunkt auch gar nicht wissen, ob es sich um Bananenspinnen handelt, denn der Einsatz ist gerade erst vorbei, die Spinnen auf den Weg zu einem Spinnenexperten.
Achtung Todesspinnen!!!
Auch die "Bild Dresden" macht zum Spinnenfund fast zeitgleich zu Sz-Online eine Meldung mit dem Titel: "Alarm in Radebeuler Supermarkt – Todesspinne krabbelt aus Aldi-Bananenkiste". Gleich im ersten Satz des Beitrages heißt es:
"Feuerwehrleute fingen dort mindestens eine hochgiftige brasilianische Wanderspinnen ein!"
Aha, also doch hochgiftige Spinnen. Erst ein paar Sätze weiter macht "Bild Dresden" eine kleine vorsichtige Einschränkung:
Sie fanden zwei Spinnen, bei denen es sich nach ersten Erkenntnissen zumindest bei einer um eine hochgiftige aggressive Wanderspinnen handeln könnte.
Ach so – "nach ersten Erkenntnissen". Also ist man sich doch nicht so sicher, oder doch? Überschrift und erster Satz des Beitrages sagen aber was völlig anderes, die machen aus einer Möglichkeit eine Tatsachenbehauptung. Und dass liebe "Bild Dresden" ist überhaupt nicht in Ordnung! Zum Thema Reichweite bei Facebook: 177mal wurde dort der Beitrag geteilt.
Doch keine Todesspinne?
Die Kollegen von mdr.de sind beim Thema Spinnen-Panik am 24.5.2016 wesentlich sachlicher. Im Beitrag unter dem Titel "Spinnenalarm im Supermarkt" heißt es:
Weil unklar war, ob es sich um giftige Spinnen aus Übersee handelte, wurde ein Experte zu Rate gezogen, den der Zoo Dresden empfohlen hatte. Patrick Otto, der sich in seiner Freizeit intensiv mit Spinnen beschäftigt, gab Entwarnung.
Auch die Kollegen von Mopo24.de sind am gestrigen Tag mit der Spinnen-Meldung vorsichtig und titeln "Schock im Supermarkt: Spinne krabbelt aus Bananenkiste".
Die News in den überregionalen Medien
Trotzdem schwappt die Meldung von der Todesspinne in die überregionalen Medien über. Was dann folgt, ist das übliche Medien-Prozedere: Regionale Meldungen mit hohen Aufmerksamkeitswert (Spinnen sind wirklich eklige hässliche Krabbelviecher) werden von den überregionalen Medien gerne aufgegriffen und weiter verbreitet. Und auch das ist das übliche Medien-Prozedere: Statt selbst zu recherchieren, zitiert man die Anderen und beruft sich auf deren Angaben.
Spiegel-Online titelt: "Supermarkt in Sachsen: Giftspinnen krabbeln aus Bananenkisten". Und bezieht sich dabei auf die SZ-Online-Meldung. Auch hier verstehen die Kollegen die SZ-Formulierung falsch und schreiben:
Laut "Sächsischer Zeitung" handelte es sich bei den Tieren um eine "Armadeira" genannte Gattung der Familie der Kammspinnen, die als sehr aggressiv und hochgiftig gelten. Die beiden Spinnen kommen nun bei einem vom Zoo Dresden beauftragten Experten unter.
Ebenso RTL Next "In sächsischem Supermarkt: Giftspinnen krabbeln aus Bananenkisten". Auch hier heißt es:
Nach einem Bericht der 'Sächsischen Zeitung' handelt es sich um eine Armadeira genannte Gattung der Familie der Kammspinnen, die als sehr aggressiv und hochgiftig gelten. Die beiden 'blinden Passagiere' kommen nun bei einem vom Zoo Dresden beauftragten Experten unter.
Jetzt könnte man meinen: Fehler passieren, dank des Internets kann man ja da viel gerade rücken und wenigstens in einem Update kurz mitteilen, dass es sich doch nicht im besagten Fall um "Todesspinnen" gehandelt hat.
Macht man aber nicht! Heute, Stand 25.5. 12 Uhr, sind die falschen Meldungen zum Spinnenfund immer noch im Netz. Auch in den Kommentaren unter den Facebook-Posts keine Richtigstellung, kein Update, keine Entschuldigung. Im Gegenteil in der "Bild Dresden"-Ausgabe vom 25.5. steht als Aufmacher der Lokalseiten groß: "Gift-Alarm in Radebeuler Supermarkt – Todesspinnen". Nur im vorletzten Satz die vorsichtige Formulierung:
Experten des Dresdner Zoos vermittelten noch gestern einen Spinnen-Experten, der die Tiere endgültig identifizieren soll.
Auch in der Ausgabe der "Sächsischen Zeitung" vom 25.5. steht in der Headline "Giftspinnen-Alarm im Supermarkt". Zumindest wird hier schärfer als im Online-Beitrag der "SZ" formuliert:
Möglicherweise handelte es sich dabei um Bananenspinnen oder Armadeira aus der Familie der Kammspinnen.
Nun handelt sich beim ganzen Thema lediglich um zwei Spinnen in einer Bananenkiste – keiner ist zu Schaden gekommen, keiner verletzt, keiner tot. Die Geschichte wurde nicht von obskuren Internetportalen und Facebook-Pages initiiert und vorangetrieben, sondern von etablierten Medien. Ob das ihrer Glaubwürdigkeit genutzt hat?
Update 26.5. 14.30 Uhr: Sz-Online hat mittlerweile ein Interview mit den Spinnenexperten veröffentlicht und klärt die Gefährlichkeit der gefundenen Spinnen auf: „Der Biss ist vergleichbar mit einem Bienenstich“. Im Beitrag wird zwar auf die ursprüngliche Meldung zurückverlinkt, aber eine Verlinkung von der alten Meldung zur neuen gibt es leider nicht. Auch in der "Bild Dresden"-Ausgabe vom 26.5. findet sich ein kleiner Beitrag mit dem Titel "Rätsel um Supermarkt-Spinnen". Darin heißt es:
Patrick Otto (der Spinnenexperte): "Man könnte sie auf den ersten Blick für (hochgiftige) Bananenspinnen halten, es sind aber wohl nur die harmlosen Riesenkrabben-Spinnen."
Dass die "Bild Dresden" noch einen Tag vorher selbst die Spinnen zu Todesspinen machte, steht da leider nich. Aber Medien machen ja keine Fehler!
0 Kommentare