Da hätte man wohl besser noch mal jemanden gefragt, der sich damit auskennt...
Anlässlich der anstehenden Oberbürgermeisterwahl in Dresden (Hashtag: #obwdd) hat sich die "Sächsische Zeitung" die Twitter- und Facebook-Aktivitäten von drei der sechs Kandidaten vorgenommen. Titel der Geschichte: "Twitter-Patzer in Ulbigs Wahlkampf".
Der Bericht stürzt sich allerdings in erster Linie auf einen offensichtlichen Twitter-Fake-Account von CDU-Kandidat Markus Ulbig. Account-Name: @UlBigBrother. In der Twitter-Bio des Accounts ist zu lesen: "Ausgezeichnet mit dem BigBrotherAward 2012" - eine Anspielung auf die Funkzellenabfrage 2011.
Dass es sich um keinen ernstgemeinten Account handelt, beschreibt auch der "SZ"-Autor. Allerdings zeigt er sich irritiert davon, dass auch ganz offizielle Statements in diesem Fake-Account zu lesen sind. Und wittert gleich einen Skandal, in jedem Fall eine tolle Schlagzeile.
Denn die Statements, die da bei Twitter zu lesen sind, sind identisch mit den Einträgen auf der Facebook-Fanpage des sächsischen Innenminsters Markus Ulbig (dass die Minister-Fanpage gerade wegen des OB-Wahlkampfes ruht und es noch eine Ulbig-Fanpage zur OB-Wahl gibt, lassen wir hier mal außer acht – stört den "SZ"-Autor bei seiner Wahlkampf(!)-Recherche ja auch nicht!).
Wörtlich schreibt die "SZ":
"Ulbig, ein Freund der Selbstironie? Keinesfalls. Wohl eher ein Opfer technischer Schwierigkeiten. Offensichtlich koppelt er seit Januar 2013 sein Facebook-Profil mit jenem auf Twitter, ungeachtet des satirischen Kontexts in Bezug auf die Handy-Abhöraffäre von 2011."
Ähm, technische Schwierigkeiten - was genau ist damit gemeint?
Die "SZ" unterstellt jedenfalls, dass die beiden Ulbig-Profile bei Twitter (also der Fake-Account) und Facebook (also der Minister-Account) bewusst – oder sagen wir besser: aus Unvermögen – miteinander gekoppelt sind.
Ein ziemlich harter Vorwurf. Der viel darüber verrät, für wie dämlich man bei der "SZ" das Ulbig-Team hält. Denn die Annahme, dass das automatische Ausspielen der Facebook-Inhalte bei Twitter nur mit Zugriffsrechten, also dem entsprechenden Passwort, möglich ist, ist schlicht falsch.
Social-Media-Experte Sebastian Schwerk von der Agentur Frische Fische sieht auf den ersten Blick, dass die beiden Profile nicht auf dem üblichen Wege verkoppelt sind: "Wenn Facebook und Twitter direkt verbunden sind, dann erscheint in den Tweets ein anderer Kurzlink", sagt er auf Nachfrage von Flurfunk Dresden.
Und verweist darauf, dass das Auslesen von öffentlichen Postings bei Facebook-Fanpages über RSS und die Weiterverbreitung zum Beispiel über Dienste wie dlvr.it ohne Weiteres möglich ist.
Anleitung: Facebook-Inhalte bei Twitter ausspielen
Sie wollen es konkreter wissen? Hier eine kurze Anleitung, wie Sie die Inhalte der Facebook-Fanpage der "Sächsischen Zeitung" (https://www.facebook.com/szonline) auslesen können.
1. Sie brauchen zunächst die Facebook-ID der Seite, die können Sie z.B. hier herausfinden: blog.niklaskoehler.de/facebook-tools/facebook-id-ermitteln. Bei der Facebook-Fanpage der "Sächsischen Zeitung" (https://www.facebook.com/szonline) lautet die ID: 258172067920.
2. Sie ergänzen folgenden Link hinter dem zweiten Gleich-Zeichen um die ID - im vorliegenden Link von uns schon vollzogen: https://www.facebook.com/feeds/page.php?format=atom10&id=258172067920
3. Jetzt melden Sie sich bei https://dlvr.it an und stellen den Dienst so ein, dass die Inhalte des RSS-Feeds der Fanpage über Ihren (Fake-)Account ausgespielt werden. Fertig.
#blödoderböse?
Jetzt schauen wir mal, wie viele SZ-Online-Fakeaccounts demnächst auftauchen... ;-) Wirklich schade an der Geschichte: Die eigentliche Frage, wie sich die Kandidaten bei Facebook und Twitter präsentieren, geht bei dem vermeintlichen Skandälchen völlig unter.
Inzwischen gibt es auch einen Twitter-Hashtag zu der Geschichte: #blödoderböse. Geprägt hat ihn der Pressesprecher des Innenministeriums Martin Strunden. Sputnika.de hat es aufgeschrieben: "#Blödoderböse: Martin Strunden vom SMI vs. Sächsische Zeitung".
Nachtrag 4.6.2015: Der Artikel bei SZ-Online ist inzwischen überarbeitet worden - Titel jetzt: "OB-Wahlkampf in den sozialen Medien".
Juni 3, 2015
Zur Transparenz beitragen würde allerdings, wenn der Autor dieses Beitrags seine sagen wir Mal Nähe zur CDU nicht verschweigen würde.
Juni 3, 2015
@Peter Es geht um die Sache – um die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Ich habe heute auch auf Twitter die Sache mit ins Rollen gebracht. Ich persönlich werde weder Frau Stange noch Herrn Ulbig wählen und ich stehe keiner Partei besonders nahe. Egal, um welche Politiker oder Parteien es geht: Ich hätte auch in anderen Fällen gegen so einen tendenziösen Artikel protestiert.
Die SZ hat sich absolut unprofessionell verhalten: vom Autor des Print-Artikels über die Redaktion bis zum Online-Bereich. Der Artikel steht jetzt (am späten Abend) immer noch falsch im Netz.
Am Ende hilft das alles hoffentlich Dirk Hilbert. Er twittert nicht. Er bereitet sich auf sein neues Amt vor ;-)
Juni 4, 2015
Ist es nicht trotz alledem verwunderlich, dass die CDU-Pressestelle nicht so recht den Überblick über den Content auf Satire-Profilen rund um ihre Protagonisten zu haben scheint?
Juni 4, 2015
Ein PS zum Erstellen der RSS-Feeds aus öffentlichen Facebook-Seiten. Hiermit geht es noch etwas einfacher:
http://allfacebook.de/allgemeines/rss-feed-seite
Juni 4, 2015
"Ein ziemlich harter Vorwurf. Der viel darüber verrät, für wie dämlich man bei der “SZ” das Ulbig-Team hält." ... Gut formuliert, die SZ hält nämlich nicht nur das Ulbig-Team für dämlich. Unabhängige Berichterstattung scheint dort nämlich ein Fremdwort, aber da erzähle ich vermutlich nichts Neues.
Juni 4, 2015
@Daniel B.: Hast Du Belege für Deine Unterstellung?
Ich teile Deine Einschätzung überhaupt nicht. Was sind Deine Belege für die unterstellte Abhängigkeit? Von wem soll die SZ-Redaktion abhängig sein? Spielt das auf die Unternehmensbeteiligung durch die SPD-Beteiligungsgesellschaft an?
Ich kenne reichlich SZ-Redakteure und ich habe selbst schon mal (woanders) als Redakteur gearbeitet. Die Vorstellung, dass da jemand von oben die Lesart eines Berichts 1:1 vorgibt ("schreiben sie das mal so und so"), also die Berichterstattung entsprechend beeinflusst, ist schlicht naiv. Das funktioniert so in der täglichen Redaktionsarbeit nicht. Jeder, der eine halbwegs solide Journalistenausbildung hat (und m.W. haben die sehr viele, wenn nicht alle SZ-Journalisten), wird so nicht mit sich arbeiten lassen (man bekommt da nämlich die Unabhängigkeit der Medien regelrecht eingeimpft). Solche Versuche würden nach meiner Einschätzung zum Aufstand führen.
Du musst dich auch mal über das Thema DD+V-Beteiligung mit SPD-Leuten unterhalten: Die werden Dir bestätigen, dass es eben nicht so ist, dass man als SPD-Stadtrat, -Landtagsabgeordneter oder sogar Minister einfach mal in der Redaktion anruft und ein Thema bestellt. Da hustet dir der Redakteur nämlich einfach was. Mit Rückendeckung des Chefredakteurs. So haben es meine Chefredakteure immer gehandhabt, so habe ich es als Chefredakteur gehandhabt.
Was man natürlich nicht ausschließen kann: Dass es Redakteure gibt, die tendenziell der politisch linken Seite zugeneigt sind.
Ansonsten empfehle ich die Auseinandersetzung mit dem hostile-media-effekt: https://portal.hogrefe.com/dorsch/hostile-media-effekt/
Juni 4, 2015
Kurze Anmerkungen zur Korrektur des Artikels:
1. Es gibt keine Twitter-Präsenz von M. Ulbig. Also kann man auch keine besuchen.
2. Ulbig »stellt sich« dort nicht »vor« und präsentiert sich auch nicht.
3. Der Big Brother Award ist keine Satire und wird nicht von Satirikern gemacht.
4. Allenfalls kann man sagen: Das Profil ist Satire. Ich sehe es eher als politische (legitime) Kampagne.
5. Ulbig ist kein Opfer technischer Schwierigkeiten. Er hat selbst keine Schwierigkeiten.
Juni 4, 2015
@stefanolix: schauen Sie sich doch mal die meisten der kritisierenden twitterer an: fast alle (außer vielleicht Ihnen) sind mit der Cdu mehr als eng verbunden. Insbesondere eben der Autor dieses Beitrags, der auf seinem wahlblog auch gern mal an allen Kandidaten herumkrittelt, nur bei Ulbig nicht. Aber egal, in der Sache hat die Sz wohl daneben gelegen. Nun gibt's den IM-Account nicht mehr, auf die Sperrung hätte Smi auch eher kommen können.
ps: schreibe gerade auf dem Handy, sorry für groß/klein
peter
Juni 4, 2015
@peter & @stefanolix: Ich gebe in Seminaren ja immer den Hinweis: Niemals nie anonym kommentieren! Anonymität ist immer ein Zeichen von Schwäche. Besser sollte man zu der eigenen Meinung stehen (Rückgrat!) oder den Mund halten. Weil man nie ausschließen kann, dass der Blog-Betreiber nicht doch einen technischen Weg findet, den Urheber zu identifizieren.
Meistens braucht man das als Blogbetreiber aber gar nicht - weil die Indizien, etwa die zeitliche Abfolge zu Ereignissen vorher (gab es da irgendwo eine Meinungsverschiedenheit? Eine Auseinandersetzung?) und Stil und Sprache meist schon ausreichen, dass man weiß, wer da anonym in den Kommentaren "trollt".
Insofern die Anmerkung: Ich lese hier amüsiert mit und nehme die Kommentare grinsend zur Kenntnis (!). Den unterstellten Schuh zieh ich mir nicht an.
Schönen Abend noch!
Juni 4, 2015
Ich kann nur wiederholen: Hätte die SZ (BILD, Mopo, DNN …) über einen fiktiven Twitter-Account »Genossin Stange« in der gleichen Weise berichtet, wäre meine Reaktion keine andere gewesen und ich hoffe, dass das auch für andere Beteiligte gilt.
Wir sind alle an einer möglichst guten Presse in Dresden interessiert, weil sie lebenswichtig für die Demokratie ist. Der SZ-Artikel war in der gedruckten Ausgabe rein fachlich nicht in Ordnung und die aktuelle Version mit der Richtigstellung ist immer noch nicht in Ordnung.
Ich glaube eher nicht daran, dass der Autor dem Kandidaten Ulbig schaden wollte. Es war aus meiner Sicht schlicht … mangelnde Medienkompetenz. Und der Bullshit-Detektor hat versagt. Ich würde allen SZ-Redakteuren gern »Deadline« von Constantin Seibt ans Herz legen. Da lernt man, wie man solche Peinlichkeiten vermeidet und ordentliche Artikel schreibt.