Und, was bleibt? Wir hatten es ja schon angekündigt: Die Bedeutung der diversen Facebook-Fanpages und anderer Social-Media-Aktivitäten während des "Jahrhunderthochwassers" 2013 steht zur Diskussion - vor allem um zu klären, wie alle Beteiligten daraus lernen können und was in Zukunft anders gemacht werden kann (vgl. Flurfunk Dresden vom 22.6.2013: "Hochwasser 2013 und die sozialen Medien: Was bleibt?").
Zum Auftakt unserer angekündigten Interview-Reihe haben wir Daniel Braune, Initiator der Facebook-Fanpage Hochwasser Dresden (fast 25.000 Fans), zu seiner Motivation und den Erfahrungen mit der Fanpage befragt.
Flurfunk Dresden: Du hast die Facebook-Fanpage Hochwasser Dresden ins Leben gerufen. Warum?
Daniel Braune: Mir mangelte es an Informationen durch die öffentlichen Stellen. Am Sonntag, als der Elbepegel Stunde um Stunde stieg, waren weder die Pegelstände der Elbe noch die Notfallseiten der Stadt Dresden oder des Freistaates Sachsen im Netz erreichbar. Ich verstehe bis heute nicht, warum die Serverkapazitäten offenbar für den Katastrophenfall nicht ausreichten. Also habe ich angefangen, mir an anderen Stellen Infos zusammenzusuchen und dann gedacht, dass ich sie ja nicht nur für mich behalten muss. Ich wollte eine Informationsquelle bzw. ein Netzwerk schaffen, bei der sich Einwohner, Betroffene und User gegenseitig ihre Hilfe anbieten können. Hierbei war unser Nachbar Tschechien eine große Hilfe, danke an dieser Stelle.
Flurfunk Dresden: Die Seite ist inzwischen auf über 25.000 Fans angewachsen und hat jede Menge Zuspruch erhalten - habt ihr damit gerechnet?
Daniel: Nein, auf keinen Fall! Die Userzahlen stiegen stündlich an, es kamen mehr und mehr Anfragen, Hilfsangebote und Hilfsgesuche bei mir an - zum Glück blieb ich damit nicht lange allein! In der „heißen Phase“ war unsere Seite knapp 27.000 mal „geliked“ und hatte eine Reichweite von 1,5 Millionen Usern. Über 70.000 User sprachen darüber, teilten und kommentierten. Zwischen dem 2. und 19.6. wurden ca. 2.500 Posts abgesetzt, wobei mindestens nochmal so viel Nachrichten beantwortet wurden. Stündlich gingen zum Teil über 300 Anfragen ein. Damit konnte niemand rechnen.
Flurfunk Dresden: Wie viele Leute waren denn an der Seite beteiligt?
Daniel: Zwischenzeitlich waren 18 Leute beschäftigt. Ich selbst kam schnell an meine Grenzen, daher war ich über jede Hilfe sehr dankbar. Es ergab sich, dass mir Annett Hering ihre Unterstützung anbot, welche ich gern annahm. Aber auch zu zweit waren wir schnell an unseren Grenzen, so dass Annett Claudia Hoffmann einlud im Team mitzumachen. Danach entwickelte sich eine Eigendynamik und das Team wurde immer größer, Schichten wurden eingeteilt, Aufgaben verteilt, ToDo-Listen erstellt, Kontakte geknüpft. Immerhin waren wir 24 Stunden online. Das Kernteam bestand aus fünf selbständigen Unternehmern, einem Kultur-Manager, einer Sängerin, einer Journalistin und zwei IT Managern - dazu kamen noch weitere Helferinnen und Helfer. Leider kann ich hier nicht alle aufzählen - ein großes Dankeschön an dieser Stelle, ihr seid eine tolle Truppe.
Flurfunk Dresden: Was war der schönste Moment?
Daniel: Davon gab es viele! Es war sehr beeindruckend zu sehen, wie es funktioniert, und zu merken, wie viele hunderte Menschen und Mengen von Resourcen wir täglich koordniniert haben. Besonders gefreut haben mich die vielen kleinen Dankeschöns von unbekannten Menschen, denen geholfen werden konnte. Beeindruckt hat mich auch der persönliche Dank des Vorsitzenden des Ortsverein Zschieren-Zschachwitz e.V.: Er war sehr berührt, als unerwartet 20 Leute vor ihm standen und ihm Hilfe anboten - organisiert über Facebook. Zuvor hatte er Facebook immer strikt abgelehnt!
Besondere Momente gab es natürlich auch im Team. Immerhin sind wir alle Privatleute, Muttis und Vatis, Studenten. Da musste zum Beispiel Kinderbetreuung organisiert werden. Die gemeinsame Zielstellung, unbürokratisch und schnell Hilfe zu vermitteln, machte aus uns eine große Familie.
Flurfunk Dresden: Gab es aus Deiner Sicht auch Tiefpunkte?
Daniel: Na klar. Die permanente Müdigkeit war ständiger Begleiter. Dann kam die Stromabschaltung bei mir Zuhause und ich konnte dem Team kaum noch helfen. Dann musste ich auch noch meinen Keller ausräumen, das Wasser Stand zwei Meter vor der Terrasse. In der Gruppe kam kurzzeitig Panik auf, als plötzlich keine Privatnachrichten der User mehr beantwortet werden konnte. Der Grund: Claudia war einfach zu schnell beim Antworten schreiben und die automatische Spamüberwachung von Facebook griff ein und legte uns kurzzeitig lahm. Zum Glück konnte dieses Problem mit einem Anruf bei Facebook in den USA recht schnell geklärt werden.
Flurfunk Dresden: In diversen Zeitungsberichten wurde davor gewarnt, dass bei Facebook auch viele Falschmeldungen unterwegs wären. Wie siehst du das?
Daniel: Sicher, das war und ist nicht auszuschließen. Ziemlich am Anfang haben wir uns selbst einen redaktionellen Codex verordnet: Im Zweifel gab es immer mindestens ein Vier-Augen-Prinzip. Wir waren über eine Chat-Gruppe ja ständig in Kontakt und haben solche Dinge im Zweifel direkt besprochen. Vermutlich ist uns deswegen auch die eine oder andere falsche Meldung durchgerutscht, aber im Verhältnis zu der Hilfe, die wir vermitteln konnten, dürfte der Prozentsatz sehr gering sein.
Flurfunk Dresden: Hattet ihr Kontakt mit offiziellen Stellen? Wie war da die Zusammenarbeit?
Daniel: Als Annett Hering und Claudia Hoffmann den Deal mit dem Glücksgas-Stadion klar gemacht hatten, war uns bewusst, dass wir Hilfe von öffentlicher Stelle benötigen. So baten wir im Rathaus um Hilfe. Es kam der Kontakt mit Herrn Lippmann zustande, der Hilfebereitschaft signalisierte, und unser Vorhaben, das spätere Fluthilfezentrum an eine öffentliche Stelle zu übergeben, unterstützte. Wir kontaktierten Anlaufstellen, wie das DRK, die Dresdner Tafel und das Sozialkaufhaus. Wichtig war uns außerdem, dass wir bei Geldspenden an eine zertifizierte und seriöse Organisation verweisen können - die fanden wir in dem gemeinnützigen Verein arche noVa. Dort nimmt man übrigens nach wie vor Geldspenden entgegen!
Flurfunk Dresden: Es gab auch noch andere Initiativen wie Elbpegelstand und Fluthilfe Dresden - hätte man das nicht alles zusammenlegen können?
Daniel: Die Überlegung gab es, wir haben uns dann aber dagegen entschieden. Auch wenn die Zielstellung bei allen Netzwerken ähnlich war, nämlich aktive Hilfe zu leisten und zu vermitteln, war die Ausrichtung dennoch unterschiedlich. Unabhängig davon haben alle großartige Arbeit geleistet. Großen Respekt dafür!
Flurfunk Dresden: Wenn Du den mit dem Katastrophenschutz befassten öffentlichen Stellen einen Tipp zum Thema Social Media geben solltest - welche wäre das?
Daniel: Wir wollen uns nicht anmaßen, hier großartig Tipps zu verteilen, wie kommunale Verwaltung und Katastrophenschutz ihre Arbeit besser machen könnten - im Gegenteil. Gern aber würden wir gemeinsam die Vorteile der Zusammenarbeit von bürgerlichen Aktivitäten und öffentlichen Stellen diskutieren. Da gibt es sicherlich einiges - ich kann mich zum Beispiel gut daran erinnern, dass am Anfang auf der Notfallseite der Stadt Dresden noch einige Tage der Hinweis stand, dass keine private Hilfe benötigt werde. Eine klare Fehleinschätzung.
Die Frage ist natürlich auch, ob man sich bei der Kommunikation in so einer Katastrophe auf ein Netzwerk wie Facebook stützen sollte. An vorgenannten Zahlen kann man erkennen, dass man kaum schneller Menschen vernetzen kann. Sascha Lobo sagte die Tage in einem Interview treffend: „Nicht Facebook hat die Sandsäcke getragen, sondern die Menschen dahinter.“ Gern bieten wir für die Weiterentwicklung der Stadt Dresden und anderen Institutionen unsere Hilfe und Unterstützung an!
Flurfunk Dresden: Was wird in Zukunft aus der Seite Hochwasser Dresden?
Daniel: Wir machen weiter! Wir wollen ein langfristiges Vermittlungs- und Informationsportal bleiben und haben uns deshalb mit arche noVa e.V. und der Projektschmiede gGmbH professionelle Partner gesucht. Wir haben auf unserer Seite exklusiv den Hilfe-Koordinator eingebunden, bei dem sich Hilfesuchende und Hilfegebende vernetzen und verabreden können, unabhängig von Hochwassersituationen. Außerdem haben wir in einem gemeinsamen Projekt den Hilfe-Koordinator weiterentwickelt und als Facebook App verfügbar gemacht. Das Projekt läuft weiter und soll in Zukunft auch für deutlich mehr Einsatzgebiete zur Verfügung stehen. Das kann auch die Hilfe bei einem Umzug sein!
In Zukunft werden wir außerdem auf der Seite Projekte vorstellen, die mit Spenden wieder aufgebaut wurden, über zukünftigen Hochwasser- und Katastrophenschutz berichten und zum Beispiel Unwetterwarnungen veröffentlichen. Außerdem wollen wir eine Plattform organisieren, in der offizielle Stellen, Medien und Uservertreter in einen Gedankenaustausch für die zukünftige Nutzung der sozialen Netzwerke im Katastrophenschutz treten.
Flurfunk Dresden: Vielen Dank für das Interview!
Über Daniel Braune: Daniel dürfte vielen Dresdner Social-Media-Nutzern bekannt sein. In seinem Blog Dapema ONLINe kommentiert er unregelmäßig das Dresdner Stadt-Geschehen, außerdem nutzt er intensiv Facebook und Twitter - sofern seine Arbeit als Geschäftsführer und Inhaber der ABGS GmbH Aehnelt & Braune Gaswarn- und Systemtechnik das zulässt.
Juni 24, 2013
Gute Frage, was bleibt! Aus meiner Sicht eine großartige Leistung von Privatpersonen - für die eigentlich die Kommune und das Land zuständig wären! Und im Hinblick auf diese Arbeit finde ich auch einige Kommentare des sächsischen Inneenministers sehr unpassend! Bleibt zu hoffe, dass sich die staatlichen Stellen mit den "Onlineaktivisten" an einen gemeinsamen Tisch setzen und für die Zukunft die richtigen Schlüsse ziehen. Da sehe ich besonders bei Stadt, Land und Bund massiven Nachholebedarf, da man zumindest aus meiner Sicht nicht genügend aus den Erfahrungen von 2002 gelernt hat! Sicher, solche Naturkatastrophen stellen alle Beteiligten vor eine extreme Belastungsprobe und sicher passieren da auch Fehler, aus der Hektik heraus, oder eben weil wir alle nur menschen sind! Aber wichtig es es doch für uns alle, dass wir daraus die richtigen, notwendigen Schlussfolgerungen ziehen!
Juni 24, 2013
Ich denke, dass das dieses Mal richtig gut gelaufen ist mit den staatlichen Stellen. Die Vorhorhersagen waren gut, die Koordination hat geklappt, die (neuen) Mauern haben gehalten. Es ist natürlich immer einfach auf "dem Staat" rumzuhacken. Natürlich haben Privatleute eine großartige Leistung gezeigt. Aber die Bundeswehr war eben auch da, wo Not am Mann war. Und ich denke, es muss auch so sein, dass bei einer Katastrophe alle mit anpacken. So viele Mitarbeiter könnte sich kein Staat leisten, um das alleine zu packen. Und das will sicher auch keiner, oder? (Und die Party nach dem Sandsackfüllen hat doch auch Spaß gemacht...)