Was haben Rohrpost, Stilbruch und die Heinzelmännchen gemeinsam? Es sind Projekte, die auf Dresden Durchstarter mit Crowfunding finanziert wurden oder noch werden sollen. Für Ideen, Kunst und Erfindungen klappt das mittlerweile weltweit. Aber in der Medienstrukturkrise? #Cynal 01, ein auf 500 Exemplare limitiertes Kunstjournal aus Dresden, konnte mit Crowfunding die anvisierten anteiligen Druckkosten von 2.013 Euro nicht nur erreichen, sondern erzielte dank 44 Unterstützern und 67 Fans sogar 2.383 Euro.
Unzählige Geschichten schlummern in Hinterköpfen. Nie aufgeschrieben. Immer wieder verschoben. Keine Zeit, kein Geld für Recherchen. Jeder Reporter, jeder Fotograf, jeder Filmemacher kennt das. Sebastian Esser auch. Der 36-jährige freie Journalist hat Krautreporter entwickelt. Die neue Plattform für Journalismus-Crowdfunding soll nach einer Beta-Testphase morgen (29.1.2013) mit den ersten Projekten online gehen.
"Crowdfunding ist angesagt", kommentiert der Gründer den gegenwärtigen Erfolgstrend, "als wir anfingen, wussten wir das nicht." Krautreporter will journalistische Projekte in Deutschland, Österreich und der Schweiz fördern. "Geschichten sind bedroht. Uns fehlt etwas, von dem wir nicht wissen, dass wir es vermissen", meint Sebastian Esser und denkt an aufwändige Reportagen, für die in Verlagen und Medienhäusern kein Geld da ist.
Finanziert ein ganzer Schwarm Geldgeber freiwillig ein im Internet vorgestelltes Projekt durch kleine Beträge (Crowdfunding = "Schwarmfinanzierung"), werden aus Lesern, Zuschauern und Nutzern Journalismus-Förderer. Das Wort "Spende" hören Esser und sein Geschäftspartner Wendelin Hübner in dem Zusammenhang ungern. Nutzer finanzieren vor, ist treffender.
Dass auch Journalisten ihre Produkte vermarkten müssen, sei für viele noch gewöhnungsbedürftig. Bei Krautreporter soll zu einem sehr frühen Zeitpunkt ein Dialog mit den Geldgebern einsetzen. Das Portal spricht daher nicht nur Journalisten an, sondern ganz normale Leser, Hörer und Zuschauer. "Wir sind gewöhnt, Geschichten für Massenmedien zu schreiben, gesucht sind aber welche für kleine Communitys", sagt Hübner.
Beste Erfolgsaussichten hat ein Projekt, wenn eine bestimmte Zielgruppe definiert wird und sich die Initiatoren glaubwürdig positionieren. Wie am besten, können sie im Online-Krautreporter-Crashkurs lernen. Im Schnelldurchlauf: Projekt definieren - kreative Prämien ausdenken - Zielbetrag festlegen – Video drehen – Projekt beschreiben und bewerben – Fortschritte dokumentieren – Prämien liefern.
Warum Leute zahlen sollen? Weil sie sich für eine Geschichte interessieren. "Niemand wird das Leben der Journalisten finanzieren", stellt Wendelin Hübner klar. "Wenn einer für eine Recherche in Köln 60.000 Euro braucht, fragen wir schon nach." Ansonsten reden die Macher nicht in die Projekte hinein.
Verletzt jemand die Regeln, sind Forderungen nicht nachvollziehbar, ändert sich der Investitionszweck grundlegend oder erscheinen Prämien unseriös, kann ein Projekt ohne Kommentar gelöscht werden. Prinzipiell bleiben alle eingestellten Projekte (zur Stunde ist noch keins aus Sachsen dabei) dauerhaft online. Auch wenn sie scheitern. Jeder Akteur ist für sein Vorhaben verantwortlich und muss den Verlauf dokumentieren. "Transparenz gehört zu unserem Job", betont Esser. Und: "Es ist moralisch wichtig, dass die Gesellschaft von den Experimenten lernen kann."
Gelingt die Umsetzung eines Projektes nicht, wird gezahltes Geld zurücküberwiesen. Im Erfolgsfall sind fünf Prozent Provision an Krautreporter zu zahlen. Reich werden Esser und Hübner damit nicht. Wollen sie auch nicht: "Wir klinken uns nicht in die depressive Debatte um die Medienkrise ein, sondern wollen was Konkretes, Neues. Wer hier mitmacht, muss sich aus der Komfortzone bewegen."
Wie eine Art Durchlauferhitzer für Ideen sehen sie ihre Plattform. Die Gefahr des Themenklaus kontert Sebastian Esser: "Ich sehe keinen besseren Weg, seinen Claim abzustecken, wenn öffentlich bekannt ist, dass man das und das vorhat." Für investigative Vorhaben müsse man entsprechend findig sein.
Ein eindeutiger Thementrend zeichnet sich bei den bisher vorgeschlagenen Projekten noch nicht ab.
Eurokrise, Nazi-Zeit, Datenjournalismus, Magazin, Lokaljournalismus – alles dabei. "Im Moment sind wir extrem optimistisch", sagt der Gründer. "Wir freuen uns auf spannende Geschichten, die etwas auslösen", fügt Wendelin Hübner hinzu. Denn: "Journalismus wird künftig anders sein." Dagmar Möbius
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