Nachtrag 10.10.2012: Ein Mitschnitt der Sendung ist auf den Seiten des MDR zu finden - hier entlang.
Zur Radiosendung "Wer braucht noch eine Zeitung?" bei MDR 1 Sachsen ("dienstags direkt", 9.10.2012, 20-23 Uhr) habe ich mich vorbereitet - logisch. Aber während ich so einige Artikel und Zitate aus diversen Blogs und anderen Quellen in ein klassisches Dokument zusammengetragen habe, kam mir eben die Frage: Warum die Recherche nicht öffentlich machen?
Hier also eine kleine Liste mit Fakten und Zitaten zu den verschiedenen Themenfeldern. Die Liste erhebt absolut nicht den Anspruch, vollständig zu sein - sie ist einfach ein subjektiver Querschnitt vieler Quellen und Eindrücke. Wer die Liste ergänzen möchte: immer gern, es gibt eine Kommentarspalte.
Auflagen kontinuierlich rückläufig
Die Auflagen der Tageszeitungen haben sich im Freistaat Sachsen seit der Wende halbiert (s. Grafik). Der Auflagenrückgang ist beständig und kein kurzfristiger Trend. Wobei angemerkt sei: Die Auflagenentwicklung im westdeutschen Markt ist nicht ganz so drastisch, weil dort die Zeitungslandschaft etwas anders strukturiert ist. Die drei Tageszeitungen in Sachsen sind aus den Regionalzeitungen der DDR hervorgegangen - die Auflagen mussten sich also erst einmal "gesund" schrumpfen.
Und doch: Die Auflagen sinken, die Abozahlen gehen zurück, junge Leute abonnieren heute nicht einfach mehr die Zeitung, wenn sie das Elternhaus verlassen. Bislang hat kein Tageszeitungsverlag ein Rezept gefunden, diesen Rückgang zu stoppen.
In diesen Tagen werden Auflagen des dritten Quartals 2012 veröffentlicht - eine ausführlichere Besprechung der IVW-Auflagen des 2. Quartals 2012 finden Sie hier: "IVW 2/2012: ePaper bringt kaum Entlastung für Zeitungsauflagen in Sachsen" (Flurfunk Dresden vom 24.7.2012).
Fast 75% der Gebiete in Ostdeutschland sind sogenannte Einzeitungsgebiete
Wer vom Erhalt der vielfältigen Presselandschaft spricht und meint, dieser sei ausschließlich über die Zeitungen (in der vorliegenden Grafik sind nur die Abonnentenzeitungen verzeichnet) abgesichert, irrt. Denn schon heute gelten 75% der Gebiete in Ostdeutschland als sogenannte Einzeitungsgebiete.
Hinzu kommt: Die drei großen Abonnentenzeitungen kooperieren zunehmend. Das ist vor allem bei Hintergrundgeschichten zu sehen - also großen Reportagen, die man untereinander "tauscht" (nicht zum Nachteil der Autoren). Und noch ein Hinweis zum Thema "Vielfalt": Nahezu alle Zeitungsverlage kooperieren im Internet mit lokalen und regionalen Fernsehanbietern (auch dem MDR).
Auch wenn ich sicher bin, dass in den konkreten Fällen besonders die Zeitungsvertreter Wert auf ihre Unabhängigkeit legen und sicher nicht auf kritische Berichterstattung verzichten würden, sollte es einen Anlass geben: Ich halte es schon für bedenklich, dass es offenbar wirtschaftliche Verflechtungen der Medienhäuser und Gattungen untereinander gibt, die so nicht transparent sind. Zahlen die Zeitungsverlage, die mit ihren Online-Angeboten wesentlich reichweitenstärker sind als bspw. die Rundfunkanbieter, eigentlich Geld für die Nutzung der TV-Beiträge?
Abschließend noch ein Hinweis zur Finanz-Situation der Zeitungshäuser: Die Erlöse setzen sich zusammen aus Vertrieb (also Verkauf am Kiosk etc.) und Werbung. Der Markt hat sich seit der Jahrtausendwende drastisch geändert: Früher machten Werbung (also Anzeigen) den größten Teil des Kuchens aus - dieser Markt ist zunehmend ins Internet abgewandert (und dort nicht zu journalistischen Angeboten hin!). Auch die Vertriebserlöse sinken, sind aber mit der Veränderung des Marktes zu einem wesentlich wichtigeren Faktor geworden - das ist der Grund dafür, warum die Zeitungen die Abo-Preise derzeit jährlich anheben.
Wer sich einen Überblick über die Vertriebserlöse im Zeitungsmarkt verschaffen will, hier entlang: "Zeitungsverlage profitieren von Vertriebserlösen – Werbung geht zurück". Über die Rückläufige Entwicklung der Umsätze gibt dieses PDF von der Uni-Jena eindrucksvoll Auskunft (empfohlen sei die Grafik von Seite 27).
Kommt das große Zeitungssterben?
Ich mache es mir einfach und verweise auf einen Blog-Eintrag von Thomas Knüwer. Bei der Verlinkung von Blog-Einträgen von Knüwer (wir kennen uns gut von früher) ist man immer versucht, eine Art Beipackzettel zu schreiben - Thomas kann sehr polemisch sein. In diesem Falle macht er es selbst:
"Gern wird mir vorgeworfen, ich sei zu schwarzmalerisch, geht es um die Zukunft der deutschen Tageszeitungen. Nach diesem Wochenende frage ich mich selbst, ob ich nicht zu optimistisch bin. Eine Meldung und eine Recherche sind es, die ein Signal sein könnten dafür, dass es um Zeitungen hier zu Lande noch viel schlimmer bestellt ist, als die Öffentlichkeit, aber ebenso die Branche denkt."
Sein Artikel trägt den Titel: "Zeitungssterben – eine deutsche Realität".
Nun sind wir in meinen Augen in Sachsen noch weit davon entfernt, dass das große Zeitungssterben im Land bevorsteht. Und doch merkt man schon, dass die Verlage sich bemühen, neue Erlösquellen zu erschließen oder in den Strukturen zu sparen. Dazu eine Reihe von Lesehinweisen auf eigene Artikel hier im Flurfunk Dresden - teilweise schon etwas älter:
- Umbau bei der "'LVZ': "Stellenabbau bei der 'Leipziger Volkszeitung'” und "Lesehinweis: Madsack-GF Thomas Düffert im Meedia-Interview".
- Sparen und Akquirieren bei der "SZ": "Die 'Sächsische Zeitung' spart: Neujahrsempfang und 'PluSZ' gestrichen" und "DD+V-Mediengruppe: Neuwerk und Oberüber|Karger fusionieren".
- Verkauf der "LR": "'Lausitzer Rundschau': 'Rheinische Post' übernimmt" und "'Lausitzer Rundschau': neuer Eigentümer für Muttergesellschaft, Holtzbrinck zieht sich zurück".
Sicherlich bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch unsere Geschichte über die Interessenlage der einzelnen Zeitungen (und Verlage) bei der Berichterstattung über die Filmnächte am Elbufer in Dresden: "Zickenkrieg: Die Interessen der Zeitungen bei den 'Filmnächten am Elbufer'".
Lösungsansätze: Tja, das ist das Problem - und darüber kann man viel und lang diskutieren. Die großen Verlage in Sachsen verfolgen ganz unterschiedliche Strategien, mit den veränderten "Nachrichten-Gewohnheiten" der Nutzer umzugehen.
Was man nicht vergessen darf: Sowohl das Mutterhaus der "SZ", als auch der Verlag der "Freien Presse" haben jeweils noch eine Druckerei auf der Wiese stehen, die in der Anschaffung nicht ganz billig war... man wird also tunlichst versuchen, am gedruckten Produkt festzuhalten. Was derzeit sicherlich auch nicht ganz falsch ist: Immerhin gibt es ja auch noch jede Menge Leser, die auf das gedruckte Exemplar nicht verzichten wollen. Deren Durchschnittsalter bewegt sich allerdings um die 60 Jahre (ein Problem, dass die Zeitungsverlage mit dem Fernsehprogramm des MDR teilen).
Leistungsschutzrecht und Urheberrecht
Auch wenn es nicht offiziell angekündigt ist: ich sage jetzt mal voraus, dass die Diskussion heute - spätestens wenn es um das böse Internet geht - auch auf die Themen Leistungsschutzrecht und Urheberrecht kommt . Dazu muss ich nicht viel schreiben - da haben andere mehr Ahnung. Hier also einige Links - die in der Auswahl durchaus subjektiv, in meinen Augen aber schlüssig sind.
Stefan Niggemeier schreibt unter dem Titel: "Ein Kartell nutzt seine Macht: Wie die Verlage für das Leistungsschutzrecht kämpfen" darüber, wie die deutschen Zeitungsverlage ihre publizistische Macht nutzen, um ein Leistungsschutzrecht einzuführen. Zitat:
"Am 23. September 2010 veröffentlichen 24 Wirtschaftsverbände unter Federführung des Bundesverbandes der Industrie eine »gemeinsame Erklärung«, in der ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger »vollständig abgelehnt« wird: ... Eine solche Erklärung, mit der sich viele, große Wirtschaftsverbände gegen ein Vorhaben der Politik und der Verlage aussprechen, ist ein außergewöhnlicher Schritt. Wie berichten die Verlage, die in diesem Fall Gegenpartei sind, in den nächsten Tagen darüber? Überwiegend: Gar nicht."
Sein Fazit:
"Was für eine Ironie: Die Presseverleger behaupten, ohne sie werde es keine zuverlässige Unterrichtung der Öffentlichkeit geben. Doch sie nutzen die Auseinandersetzung um das Gesetz, das nach ihrer Darstellung notwendig ist, um das Überleben dieser freien (Verlags-)Presse sicherzustellen, nicht dafür, ihre behauptete Qualität unter Beweis zu stellen, indem sie korrekt, fair und ausgewogen darüber berichten. Sondern sie demonstrieren, wie wenig Skrupel sie haben, ihre Macht zu nutzen, um die Verlagslobbyisten durch Propaganda zu unterstützen."
Die Frage, worum es in der Urheberrechts-Debatte eigentlich geht, hat Dirk von Gehlen jüngst übersichtlich aufbereitet: "Worum gings nochmal in der Urheberrechts-Debatte?"
"Jede Urheberrechtsdebatte, die eine Lösung finden will, muss hier ansetzen und die Frage stellen: Wie können Geschäfts- und Gesetzesmodelle beschaffen sein, die mit der digitalen Kopie funktionieren und nicht gegen sie?"
Weitere, sehr empfehlenswerte Links zum Thema: "Kreativität braucht kein Copyright" (Spiegel-Online) und "Wolfgang Blau: Auch das schärfste Urheberrecht würde den Verlagen nicht helfen".
Das Fazit im Abendprogramm?
Soweit erstmal ein Anriss des Themenfeldes - ich höre an dieser Stelle mal auf, weil es einfach zu viel wird und (mich auch) erschlägt. Es gibt noch einen Haufen Aspekte und Verweise ins Netz, wie sich die Branche ändert und wie Journalisten damit umgehen könnten - wobei, hätte ich die Lösung, wäre ich schon steinreich und auf einer Insel in der Südsee ;-)
Im Ernst: Die Veränderung kommt, das steht fest. Sie kommt langsam und sicher, aber keineswegs gewaltig. Ich glaube auch, dass wir in fünf oder zehn Jahren noch Zeitungen haben werden. Nochmehr aber bin ich davon überzeugt, dass sich das Leseverhalten langfristig ändern wird. Wer heute sagt: "Ich hätte morgens gern meine gedruckte Zeitung" wird dauerhaft zu einer Minderheit gehören. Und das obwohl er die gleiche Leistung vermutlich günstiger und eher im Internet haben kann.
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