"Ist Joachim Gauck der Richtige für das Amt des Bundespräsidenten?" Diese Frage, gestellt gestern (20.2.2012) bei MDR-Online, sorgt derzeit für einige Unruhe.
Kurz zum Hergang: Der Sender hatte die Frage mit den Antwort-Optionen "Ja", "Nein" und "Weiß nicht/ist mir egal" gestern am Vormittag online gestellt. Am Abend dann nahm man die Umfrage wieder aus dem Netz, nachdem die Umfragewerte zur "Nein"-Antwort sehr plötzlich und sprunghaft angestiegen waren (s. Screenshots).
Screenshot I (18.44 Uhr):
Screenshot II (19.05 Uhr - Screenshot I+II hier gefunden):
Screenshot III (19:37 Uhr - hier gefunden)
Das Entfernen der Umfrage: eine Zensur durch konservative Kräfte im Sender? Der Durchgriff der Bundesregierung auf die Webseite des Staatsfernsehens? Gegen Mitternacht erreichte auch uns vom Flurfunk Dresden der Hinweis, dass es in sozialen Netzwerken und der Kommentarspalte des MDR einige Aufregung um die verschwundene Gauck-Umfrage gäbe. Unterton: Das missliebige Ergebnis passe den Regierenden wie auch den Berichterstattenden (in den Augen einiger Kommentatoren offensichtlich alles eins) nicht in den Kram, deswegen habe man es entfernt.
Im Sender wird derweil kolportiert, dass im Laufe des Dienstags (heute) eine Anfrage von einem Linken-Landtagsabgeordneten beim MDR zum Thema eingegangen sei - der Rundfunkrat solle sich, so heißt es, demnächst mit dem Thema beschäftigen.
Der Sender reagierte: Die offizielle Stellungnahme des MDR verweist darauf, die Umfrage sei vermutlich technisch manipuliert worden, deswegen habe man sie vom Netz genommen. Zitat:
"Auslöser hierfür war eine offensichtliche technische Manipulation, durch die das Abstimmungsergebnis innerhalb von Minuten drastisch verändert wurde. Der amtierende Redaktionsleiter Holger Hentze sagte, nach 18 Uhr habe es innerhalb weniger Minuten Tausende Zugriffe gegeben. Dies sei äußerst auffällig und lasse darauf schließen, dass hier jemand technisch manipuliert habe.
Zuvor hatten sich Gauck-Befürworter und Gauck-Gegner nahezu die Waage gehalten. Danach kippte das Abstimmungsergebnis innerhalb von Minuten. [...] Daraufhin entschloss sich die Redaktion, wie in solchen Fällen üblich, das manipulierte Voting zu schließen und von der Seite zu nehmen."
Es geht noch weiter: Inzwischen hat der Sender sogar noch mit einem eigenen Beitrag im Radio-Programm nachgelegt und den technischen Vorgang erklärt (hier zu finden: "MDR entfernt manipuliertes Online-Voting").
Eine Erklärung, die vor allem den Verschwörungstheoretikern nicht reicht. In den Kommentaren bei MDR-Online fordern schon die ersten, das Ergebnis der Umfrage von vor 18 Uhr oder die Log-Files zu veröffentlichten - um eben selbst zu überprüfen, ob es sich um eine technische Manipulation handele. Ein Kommentar weist darauf hin, dass es beispielsweise eine Verlinkung von Fefes-Blog (immerhin ein sehr stark gelesenes Blog) gegeben habe, die vielleicht auch zu dem Ansprung contra Gauck geführt haben könnte. Andererseits ist die Umgehung eines IP-Blockers, der dafür sorgt, dass vom jedem Computer nur einmal abgestimmt werden kann, heutzutage mit etwas Technik-Wissen nun auch nicht so schwierig. Kurz ein kleines Programm geschrieben, fertig ist die Klick-Maschine.
Könnte. Möglicherweise. Na und?
Die Aufregung der Nutzer erscheint mächtig albern und die Einschaltung des Rundfunkrats noch mehr, wenn man sich klar macht, worum es eigentlich geht: um nichts. Denn es handelt sich um eine nicht-repräsentative Umfrage, wie sie in vielen Redaktionen gern als Klick-Bringer und interaktives Element eingebunden werden, um die Nutzer auf der Seite zu halten. Die Ergebnisse sind so oder so nur mit absoluter Vorsicht zu genießen, in jedem Fall ist ein so abgefragtes Stimmungsbild keines, das besonders schwer wiegt.
Gut, der MDR muss sich fragen lassen, warum er so ein Instrument einsetzt und ob das den eigenen Ansprüchen genügt. Aber: Sobald der Verdacht der Manipulation im Raum steht, ist es aus redaktioneller Sicht nur folgerichtig, das Teil vom Netz zu nehmen. Gleich, mit welchem Ergebnis.
Was viel eher ein Grund zur Aufregung wäre: Die Unterstellungen gegenüber der Redaktion, aus politischen Gründen gehandelt zu haben. Die zeugt doch von einer reichlich welt- und branchenfernen Perspektive. Jetzt mal konsequent weitergedacht: Welchen Sinn sollte an dieser Stelle eine politisch motivierte Zensur haben - und für wie doof halten manche eigentlich die Leute, denen sie politische Manipulation durch Berichterstattung unterstellen?
Wer sich nur ein wenig mit redaktionellen Strukturen auskennt, weiß: So ein massiver Eingriff in die Redaktionsarbeit, noch dazu politisch motiviert, käme dem Einbruch am hellichten Tage in ein Polizei-Revier gleich. Gerade bei einem öffentlich-rechtlichen Sender.
Aufregung wert wäre eher, wenn sich tatsächlich der Rundfunkrat mit dem Thema beschäftigen müsste: Zeugt es doch schlicht davon, wie wenig Zu- und Vertrauen in die Redaktion und gleichzeitig wie wenig Ahnung von redaktionellen Abläufen manche Menschen haben, die als Fachpolitiker im Kontrollgremium sitzen.
Nachtrag 13.3.2012: Der MDR hat schon vor einer ganzen Weile eingestanden, dass es sich nicht um eine technische Manipulation gehandelt hat. Hier der Link zum MDR: "Kein Beleg für technische Manipulation des Gauck-Votings" (Link via Bundesblog).
Februar 21, 2012
Emotionen nicht Manipulation. So eine Umfrage unterscheidet sich von dem, was zur gleichen Zeit auf Twitter los war, anhand der Visualisierung. Bilder erzählen mehr als 1000 Worte und diese funktionale Verquickung, die auf unserem emotionalen Haushalt basiert, ist einem Shirstorm natürlich ordentlich zuträglich. Inwiefern so ein Shitstorm sinnvoll ist, darf ja bezweifelt werden. Ich würde uns, wir die lebenden Organismen, in diesem Fall aber diese Lebendigkeit doch noch einmal zugestehen. Immerhin gab der Plot der uns da von den Parteien geliefert wurde auch einiges her.
Taufen wir dieses kleine Lehrstück doch einfach "Die Kraft der Balken" und fragen Sascha Lobo, ob er es im Sinne der Trollforschung verwerten kann.
Februar 21, 2012
Da Gauck doch nun einmal per Definition der "Bundespräsident der Herzen" ist, kann dieser Anti-Gauck-Balken schon deshalb nicht so lang sein. Das wäre ja ein Widerspruch in sich. Völlig richtig also vom MDR, diese spontan entstandene Anomalie wieder zu löschen!
Februar 22, 2012
@Steffen: Es ist zweifellos möglich, dass etwas mehr als 3.000 Leute gegen Joachim Gauck abgestimmt haben — wenn sie in kurzer Zeit mobilisiert werden konnten.
Es ist aber journalistisch fahrlässig, solche Umfrage-Werkzeuge überhaupt erst einzusetzen, wenn man weiß, dass die Ergebnisse statistisch und journalistisch völlig wertlos sind.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat das doch überhaupt nicht nötig. Dafür werden doch die Gebührengelder u.a. gezahlt: dass sich ein Sender nicht am alltäglichen Klick-Wettbewerb beteiligen muss.
Februar 22, 2012
Ja, diese Verschwörungstheoretiker. Wäre beim MDR auch unvorstellbar: dass ein sächs. Staatskanzleichef Einfluss nimmt auf die Intendantenwahl. Zum Glück. Vielleicht gibt es eine Fortsetzung des Beitrags für die Ahnungslosen da draußen, wie das in MDR-Redaktionen wirklich läuft.
Februar 22, 2012
Die Umfrage bei DR Radio Syd hatten wir die Deutschen auch gerufen zu stimmen - und es war pludslig nach 4 Stunden 2 Ja Stimmen und 4772 nein und das war ja erstaunlich . So haben wir mit mdr verglichen aber dann war die Absteimmung abgeschaltet in Deutschland. Warum wählen ihr nicht direkt? Ist doch der Präsident.?
In der ganzen Welt wird Präsident direkt gewählt oder von Militär eingesetzt......Sehr spannend was sie dort machen....warum so?
Vom MDR kommt keine Antwort
Februar 22, 2012
Seltsam bleibt die Behauptung des MDR (im Radiobeitrag), das die Stimmen bis 18:50 Uhr ausgewogen gewesen wären, wo doch ein Screenshot von 18:44 Uhr belegt, das die Nein-Stimmen mit 16% vorn lagen.
Februar 25, 2012
In der BRD u.a. gehört Manipulation von Meinungen zum Arbeitsstil.
Spontane Umfragen sind in der Regel nicht wisseschaftlich gesichert,
geben nur ein Aktionsbild von Bürgern wieder. Die meinungsmanipulierte Presse hat Herrn Gauck zum Präsidenten der Herzen gemacht,
ohne defür einen Beweis in den Händen zu halten. sein Auswahlverfahren war ein politischer Zirkus. seine bisherigen Äußerungen "jein" zu vielen Themen, ein Mensch der es darauf anlegt, mißverstanden zu werden. Sein "Antikommunismus" beruht auf
den schlimmen Erfahrungen seines Vaters. Andere haben ihre Väter
durch Hitler verloren. usw.usw. Es gibt viel Nachdenken über Gauck,
vielleicht gelingt es ihm, über seinen fundamentalistischen Schatten zu springen.
September 2, 2014
Als Bundespräsident kann man solche aussage nicht machen. Er muss es doch wissen als ehemaliger Pfarrer das man so etwas nicht sagt.