Ein Gastkommentar von Martin Morgenstern, www.musik-in-dresden.de
"Dresdner Kulturpalast droht das Aus", barmt der Aufmacher der "Sächsischen Zeitung" heute. Gut, die Frage im Untertitel ("Ist die Schließung im Sommer noch vermeidbar?") ist am Thema vorbei, den geschlossen wird der Palast in jedem Fall. Interessant ist vielmehr, was danach passiert, und wann er wieder öffnen kann. Der Stadtrat muss entscheiden, ob bis zur Neueröffnung lediglich eine Sanierung des bestehenden Gebäudes oder der Einbau eines komplett neuen, für klassische Musik optimierten Konzertsaals in die entkernte Hülle vorgenommen werden kann. Ein Totalabriss dürfte ausgeschlossen sein; nicht zuletzt steht der Palast seit 2008 unter Denkmalschutz.
Allen, denen beim Lesen der Schlagzeile heute früh das Viereinhalb-Minuten-Ei im Hals stecken blieb, muss schonend beigebracht werden: Dass für den Umbau Fördermittel tatsächlich aus Brüssel fließen würden, wurde schon seit längerer Zeit bezweifelt. Der Stadtrat aber bleibt bei diesem Kulturthema glücklos. Nachdem die WOBA verkauft war, wurde im ersten Adrenalinschub ein Beschluss von 2004 (nämlich der, den Kulturpalast grundhaft zu sanieren und akustisch zu ertüchtigen) aufgehoben und der Einbau eines neuen Saals favorisiert.
So schildert es jedenfalls "Quo vadis, Dresden?", der Kulturblog von Thomas Löser. Nachdem die ersten Machbarkeitsstudien auf dem Tisch lagen, merkte man dann: Mei, diese Entkernung-plus-Neubau-Version kostet ja richtig Geld! Unterdessen hatte sich aber die Philharmonie, des bisherigen Hickhacks leid, bereits mit Haut und Haar der Idee verschrieben. Obwohl die geschätzten Kosten dafür höher und immer höher stiegen: Hinter ihren Beschluss, einen neuen Konzertsaal in die alte Hülle zu bauen, konnte die Stadt nicht mehr zurück.
Dass es nun sogar Überlegungen gibt, "den Kulti-Umbau aus Landesmitteln zu finanzieren", wie Annette Binninger schreibt, mutet nicht zuletzt deswegen grotesk an, weil es die Stadt jahrelang nicht vermocht hat, in Sachen Philharmonie-Konzertsaal auf die Landesregierung zuzugehen. Da konnte die damalige SPD-Kunstministerin noch so verzweifelt ihre Hand ausstrecken - Frau Orosz und Herr Lunau blieben stocksteif und abweisend.
Und jetzt kommt für mich der eigentliche Knaller - oder leider, er kommt eben nicht. Ebenso lang nämlich, wie die Stadt an ihren Umbauplänen frickelte (und dabei immer neue Abstriche machen musste, weil der Kostenrahmen sonst zu früh ins nicht-mehr-Vermittelbare gewachsen wäre), existieren ja Ideen, Bemühungen und Initiativen für alternative Lösungen. Die beileibe nicht erfreuliche, von Tiefschlägen, Zerrüttungen und lautstarkem Streit nicht eben arme Vorgeschichte einmal beiseite gelassen: Seit dem 1. Dezember 2009 wirkt in Dresden eine Konzerthaus-Stiftung (www.konzerthaus-stiftung.de), oder richtiger: ein "Förderverein Konzerthaus-Stiftung in Dresden e.V.", der seit nunmehr zwei Jahren "die Gründung einer Stiftung zur Errichtung eines Konzerthauses" anstrebt, wie auf seiner Homepage nachzulesen ist. Im Kuratorium des Freundeskreises sitzen unter anderem der Entertainer Gunther Emmerlich, der Dirigent Hartmut Haenchen und der Sänger Peter Schreier.
Die Kuratoriumsmitglieder beziehen sich auf ein Memorandum von achtundzwanzig (!) international renommierten Dirigenten - unter anderem Christian Thielemann, Kurt Sanderling (der Vater des jetzigen Philharmonie-Chefs), Herbert Blomstedt, Daniel Barenboim, Pierre Boulez, Riccardo Chailly, Charles Dutoit, Valery Gergiev, Wladimir Jurowski, Seiji Ozawa und Esa-Pekka Salonen -, das vorschlägt, von den Umbauplänen abzusehen und stattdessen lieber ein erstklassiges Konzerthaus für alle Dresdner Klassikfreunde zu errichten.
Um die Fortschritte des Vereins, was seine Öffentlichkeitsarbeit, Reaktionen auf aktuelle Entwicklungen, Pläne und nicht zuletzt die Stiftungsgründung angeht, einmal zu dokumentieren, stelle ich hier einmal zwei Screenshots gegenüber. Zuerst: Die Webseite www.konzerthaus-stiftung.de am Tage ihrer Gründung, also dem 1. Dezember 2009.
Und jetzt: der Stand von heute morgen (28.1.2012).
Das also ist mein eigentlicher Kummer: Der Förderverein, der die letzten zwei Jahre hätte nutzen müssen, um aktiv Mitglieder zu werben, eine Stiftung zu gründen, namhafte Fürsprecher zu finden, Fans zu werben, Debatten in regionalen und überregionalen Medien anzustoßen und alternative Finanzierungsstrategien wie beispielsweise kulturelles Crowdfunding zu wälzen, kurz: ein ernstzunehmendes Korrektiv zu sein und damit der trägen Stadt aber mal ordentlich Feuer unterm Hintern zu machen - dieser Förderverein hat augenscheinlich nichts Vorzeigbares in dieser Richtung unternommen außer der Unterstützung einer Klage des offensichtlich instrumentalisierten Kulturpalast-Architekten (hier schreibe ich einmal in "BILD"-Manier sein Alter dazu: 83 Jahre).
Für den erwartbaren Tag X - nämlich den Zeitpunkt, an dem klar werden würde, dass der Umbau für die Stadt zu teuer werden würde - hätte ein Masterplan in der Schublade liegen müssen.
Um im Bilde zu bleiben: Die Registerknöpfe von 64 Fuß bis viergestrichenem Diskant hätten auf einen Schlag gezogen werden müssen, um die Nachricht, bis dato täglich freundlich und mit guten Argumenten kommuniziert, noch einmal unüberhörbar in die Stadt und über die Stadtgrenzen hinaus zu tragen: UM DEM RUF EINER KULTURSTADT GERECHT ZU WERDEN, BRAUCHT DRESDEN EIN ERSTKLASSIGES KONZERTHAUS.
Dass dies unterblieb, schmerzt vor allem und besonders mich als jungen, dynamischen Klassiktyp, der der Konzerthaus-Idee grundsätzlich offen gegenübersteht, weil sie in meinen Augen viele Vorteile gegenüber dem Umbauplan bietet.
Vor zehn Monaten sagte ich auf Flurfunk Dresden, wie sehr mich die Fähigkeit der Dirigentin Alondra de la Parra beeindruckte, über Social Media Unterstützer und Freunde für kulturelle Ideen zu mobilisieren. Alondra hatte damals 40.000 Follower auf Twitter. Seit dem gestrigen Tag sind es runde 70.000 - and counting.
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