Über 10.000 Beschäftigte arbeiten in Dresden in kreativen Berufen. Angesichts dieser Zahl wundert sich der Außenstehende schon sehr darüber, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft bisher keinen festen Ansprechpartner bei der Stadt hat oder über einen Interessenverband offiziell miteinander vernetzt ist.
Die Misere liegt zum einen an den Akteuren und Beteiligten der Branche und zum anderen an der Stadt selbst. Bisher hat Dresden kein einheitliches Konzept für die Vermarktung, Vernetzung oder Unterstützung der Dresdner Kreativwirtschaft. Eine Anlaufstelle vermissen die Kultur- und Kreativschaffenden der Stadt deswegen schmerzlich.
Aber auch die Branchenakteure glänzten in den letzten Jahren anscheinend nicht gerade mit Eigeninitiative und Engagement. Jeder kocht bis jetzt sein eigenes Süppchen und findet scheinbar kaum Gehör. Mit einem gemeinsamen Auftritt wäre man aber viel schlagkräftiger und könnte seinen Forderungen bei Stadt und Land mehr Gewicht verleihen.
Um sich einen Überblick über den Stand und die bisherige Vernetzung der Branche zu verschaffen, gab die Stadt Dresden im August 2010 eine Studie in Auftrag. Von den Ergebnissen der Studie erhoffte sich die Stadt außerdem Aufschluss darüber, wie die Ämter für Wirtschaftsförderung, Kultur und Stadtentwicklung zukünftig in Sachen Kultur und Kreativwirtschaft besser zusammenarbeiten können.
Wir wollen an dieser Stelle einen Überblick über den aktuellen Zwischenstand geben. Was ist seitdem passiert?
Nachdem die Stadt die Studie in Auftrag gegeben hat, führte sie insgesamt drei Workshops mit Vertretern der Kultur- und Kreativwirtschaft durch. Die Workshops fanden im Zeitraum von 27.9.2010 bis 7.2.2011 statt. Themen waren unter anderem der Soll- und Ist-Zustand für Wirtschaftsförderungspotentiale, räumliche Standortfaktoren sowie die Außendarstellung und das Marketing Dresdens.
Was genau in den Workshops 1 und 2 Thema war, lesen Sie hier: Nachbericht Workshop 1, Nachbericht Workshop 2. Ein Nachbericht zum dritten Workshop konnten wir leider nicht finden.
25.-26.3.2011: StArtCamp Dresden organisiert von Steffen Peschel. Eine Mischung aus Konferenz und Barcamp. Wie passen Kultur und Social Media zusammen? Wie bringe ich Web 2.0 und die Kultur zusammen? So lauteten einige Programmpunkte. Ungefähr 80 Teilnehmer aus der Szene diskutierten über diese Fragen.
7.6.2011: Die Stadt präsentiert die Ergebnisse der Studie „Kultur- und Kreativwirtschaft Dresden“. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Kreativwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftszweig mit Potential ist. Auch werden erste Handlungsempfehlungen für die Stadt und die Branche gegeben. Den gesamten Bericht gibt’s hier zum Download (Größe: 12 MB).
27.6.2011: Interview mit Torsten Schulze, Stadtrat der Grünen, zur Studie hier im FlurfunkDresden-Blog.
„Ich wünsche mir, dass die in der Studie aufgezeigten Potenziale der Kultur- und Kreativwirtschaft für die Wirtschaft, die Kultur und die Stadtentwicklung endlich von den Verantwortlichen in dieser Stadt begriffen werden und entsprechende Unterstützung erhalten.“
Erste Forderungen von ihm sind „die Einrichtung einer „Leerstandsbörse“, eine Katalog- und Atelierförderung für Künstler, eine Produzentenmesse und Präsentationsmöglichkeiten der Kunstwerke junger Künstler.
29.6.2011: Pressemitteilung der Stadt zur Studie. „Äußerst positive Zukunftschancen“ bescheinigt Dr. Olaf Arndt (Prognos AG) der Kreativwirtschaft. Die Stadtverwaltung will bis Ende 2011 konkrete Handlungskonzepte entwickeln und dem Stadtrat vorlegen, so heißt es in der Pressemitteilung.
15.8.2011: Die Scheune lädt zum "Forum für die Kreativen Dresdens" mit Brainstorming über den Kultur- und Kreativwirtschaftsbericht. Ein „Kreatives Dresden“, eine Leerstandsbörse für freie Räume und die Zusammenarbeit mit den beiden anderen Kreativclustern der Stadt (Kulturkraftwerk und Ostragehege) sind die Wünsche, die bei dem Treffen genannt werden.
28.9.2011: Runder Tisch zur Kultur- und Kreativwirtschaft Dresdens im Kulturpalast. organisiert vom Amt für Wirtschaftsförderung der Stadt. Eckpunkte für einen Stadtratsantrag werden vorgetragen. Die Teilnehmer diskutieren über konkrete Projekte, die sich aus den Empfehlungen der Studie herauskristallisieren. Am Ende einigt man sich auf drei Maßnahmen: 1. eine Schnittstelle organisieren, 2. Räume entwickeln/Schwerpunkte setzen und 3. Innen- und Außenwahrnehmung stärken. Ein sogenannter „Kümmerer“ wird eingerichtet und mit Geld ausgestattet, so die Schlussfolgerung eines Protokolls.
29.10.2011: Netzwerktreffen der Kreativszene im Ostragehege, organisiert von Bündnis 90/Die Grüne. Wie Dresden sein Engagement für die Kreativwirtschaft stärken kann, zeigen Beispiele aus Dortmund und Thüringen. Außerdem gibt es eine Reihe von Workshops zu den anstehenden Aufgabenbereichen der Kreativwirtschaft. Eine gemeinsame Interessenvertretung in Form eines Vereins, so lautet ein zentrales Ergebnis der Teilnehmer. Das komplette Programm sowie die Workshops finden Sie hier.
Wir haben den Eindruck, dass seit Ende Oktober 2011 nicht viel Neues passiert ist.
Ein im Juli von der Stadt bis Ende des Jahres versprochenes Konzept verzögert sich. Immerhin ist die Arbeit daran nicht zum Erliegen gekommen. Wie uns Heike Lutoschka vom Amt für Wirtschaftsförderung mitteilt, gehen die Planungen der Stadt durchaus voran. Entgegen des ursprünglichen Plans hat man sich aber nun dazu entschieden, erst die Finanzierung zu klären und dann den Maßnahmeplan fertig zu stellen. Sie geht davon aus, dass im ersten Quartal 2012 das Konzept für die Kultur- und Kreativwirtschaft in den Stadtrat eingebracht wird. Da sind wir mal gespannt.
Aber ein bisschen tut sich auch bei den Kreativen:
Eine Vielzahl von Vertretern der Dresdner Kultur- und Kreativwirtschaft lädt heute Abend (6.12.2011) um 20 Uhr im FriedrichstadtZentral zur Gründung einer Lobbyvereinigung ein. Zu den Initiatoren der Veranstaltung zählen unter anderem Jana Betscher vom Kulturmagazin Dresdner, Magnus Hecht vom Scheune e.V. und Andreas Schanzenbach von der Agentur Cromatics. Die Einladung und aktuelle Informationen zur Kreativlobby finden Sie hier.
Allerdings sprach man auf dem Netzwerktreffen der Grünen am 29.10.2011 noch von einem Verein. Jetzt ist man davon schon wieder abgerückt. Traut sich die Branche etwa selbst nicht? Ein geschlossenes Auftreten wäre aber bitter nötig.
Wir werden die Entwicklungen weiter beobachten. Sollten wir in unserer Auflistung etwas vergessen haben, dann freuen wir uns über Kommentare und Anmerkungen hier im Blog. Stephan Heinke
Dezember 7, 2011
weniger euphorisch versucht Ulrich Bröckling, Soziologieprofessor in Halle, die sog. Kreativwirtschaft zu beleuchten: Kreativität als Ideologie - Gespräch mit Ulrich Bröckling