Dürfen Lehrer in sozialen Netzwerken wie Facebook, StudiVZ oder dampfer.net mit ihren Schülern in Kontakt treten? Wenn es nach Ronny Z. von der "Sächsischen Zeitung" geht, wohl eher nicht. So zumindest könnte man seinen Bericht in der Zeitung interpretieren, der am 3.9.2011 mit dem Titel: "Lehrer spähen Schüler im Internet aus" erschienen ist.
Kurz die Fakten: Der stellvertretende Schulleiter der Pestalozzi-Mittelschule in Pirna Jörg Kuleßa (die "SZ" schreibt: "Kulesza") ist in diversen sozialen Netzwerken aktiv, beispielsweise eben in dampfer.net (von der Zeitung als "regionaler Chat" bezeichnet - wohl kaum die richtige Bezeichnung). Er pflegt bei dampfer.net ein eigenes Profil mit dem Pseudonym "Kuli".
Die Zeitung schreibt: Er (im Zeitungstext steht: "Pädagogen aus der Pirnaer Pestalozzi-Mittelschule") sei in den Netzwerken "unter falschem Namen" unterwegs.
Okay, einverstanden, man kann als Journalist nicht alles wissen. Aber die Basics von sozialen Netzwerken, die sollte man schon kennen, bevor man darüber schreibt: Gerade bei dampfer.net ist die Verwendung von Pseudonymen normal. Abgesehen davon bekommt man als Netzbewohner im Grunde von allen Seiten permanent nahegelegt, in sozialen Netzwerken nicht den eigenen Namen zu verwenden, wie man mit einer kurzen Google-Suche der Begriffe "Pseudonym" und "Soziale Netzwerke" schnell herausfinden kann - zum Beispiel von der Stiftung Warentest (vgl. fr-online: "Besser unter Pseudonym surfen").
Aber Recherche... nein, das ist nicht die Stärke dieses "SZ"-Berichts. Vielmehr scheint es um die Bestätigung der Ausgangsthese zu gehen, die dann auf Biegen und Brechen belegt werden soll - nämlich der These, dass die Lehrer ihren Schülern hinterherspionieren.
Sonst wäre dem Autoren vielleicht auch aufgefallen, dass das Pseudonym "Kuli", mmh, naja, grübel, grübel - auf den Nachnamen Kuleßa schließen lassen könnte?! Also, wenn man noch ein paar Infos mehr hätte, versteht sich. Die finden sich aber durchaus in Kulis Profil (und so wie sich uns der Sachverhalt in unseren Augen darstellt, sind diese nicht erst nach der Berichterstattung der "SZ" da eingetragen worden): Da sieht man etwa Fotos von "Kuli", mit Bart und Mütze. Oder liest sein Sternzeichen, sein Alter, seinen Beziehungstatus ("verheiratet") und auch seine Figur ("völlig normal") - alles öffentlich einsehbar. Auch sein Beruf steht da: "Konrektor für Mittelschulen".
Man könnte also meinen, die Schüler erkennen ihren Lehrer, wenn er ihnen dort begegnet - unabhängig von der Verwendung eines Pseudonyms.
RäuberpistoleroJournalist Z. aber kommt zu sehr seltsamen Schlußfolgerungen:
"Doch ist dieses Vorgehen legal? Die Lehrer gehen unter einem Pseudonym ins Internet. Der Schüler weiß nicht, wer ihm da nachschnüffelt. Zudem dringen die Lehrer in die Online-Privatsphäre der Jugendlichen ein: Viele Schüler laden persönliche Fotos hoch, lästern über Lehrer und Klassenkameraden, verwenden sogar Schimpfwörter. Alles geschieht außerhalb der Unterrichtszeit."
Ähm, wie bitte? Was soll in einem sozialen Netzwerk wie dampfer.net denn bitte die "Online-Privatsphäre" sein? Steht irgendwo bei Angeboten wie Facebook und Co.: "Lehrer müssen draußen bleiben?" Und lassen die Aktivitäten eines Lehrers in so einem Netzwerk wirklich Schlüsse zu wie:
"In den sozialen Netzwerken beobachten die Lehrer anonym das Internet-Verhalten ihrer Schüler."
Wohl kaum. Völliger Unsinn, genaugenommen. Man drehe das mal weiter: Was wäre eigentlich los, würden sich Journalisten anonym mit Pseudonym in soziale Netzwerke einschleichen - und die Leser beobachten?! Ohgottohgottohgott!
Es stellen sich angesichts des Artikels aber auch noch ganz andere Fragen, etwa die: Was bitte hat den Pressesprecher des Sächsischen Datenschutzbeauftragten Andreas Schneider geritten, die Aktivität eines oder mehrerer Lehrer in einem sozialen Netzwerk mit der Sammlung von Daten gleichzusetzen - und von "Bespitzelung" zu sprechen? Kannte er den Sachverhalt vielleicht nur aus Schilderungen des "SZ"-Autors?
Zitat aus dem "SZ"-Bericht:
"'Über jede Datenerhebung muss die betroffene Person informiert sein', erklärt Schneider. Der Fall grenze an Bespitzelung. Nicht nur der Datenschutz werde missachtet. Auch Persönlichkeitsrechte und Meinungsfreiheit seien verletzt."
Man fragt sich: Wollen wir das Internet nicht besser gleich ganz abschalten?
Um mal wieder sachlich zu werden: Der Dresdner Blogger stefanolix, mit seinem Blogeintrag vom 9.9.2011 Inspirator dieser Zeilen, hat sich die Online-Aktivitäten von Lehrer Kuli näher angeschaut ("Eine Gegendarstellung und ihre Geschichte"). Er kommt zu dem Schluss:
"Nachdem ich diesen Hinweisen nachgegangen bin, steht für mich jedenfalls fest: Die Bewertung in der »Sächsischen Zeitung« lässt Ausgewogenheit vermissen. Wer dieses Profil und diese Crew betrachtet, kann nicht ernsthaft an Bespitzelung denken. "
Das ist wohl noch ziemlich charmant ausgedrückt. Wer die Webseite der Schule besucht, das Profil von Lehrer Kuli bei dampfer.net betrachtet oder auch die Kommentare im Prinaer Blog Rappelsnut liest, kommt zu der Erkenntnis: Die Geschichte hat bei Lehrer Kuleßa ziemlichen Schaden hinterlassen. Wobei der Strafantrag wegen Beleidigung wohl nicht das richtige Mittel der Reaktion ist.
Im Blog Rappelsnut hat Kuleßa selbst kommentiert - und sich nicht nur dort heftig gegen die Vorwürfe gewehrt. Dort schreibt er:
"Ich danke den hier Beteiligten für die Anteilnahme. Aber genau diese feige Ruhe des Autors und das Schweigen der im Artikel Angesprochenen bringt mich nervlich an meine Grenzen. Ich denke, dass ich nach allen Regeln des menschlichen Zusammenlebens und auch nach den Regeln eines s a u b e r e n Journalismus erwarten darf, dass der Autor sich auf die gleiche technische Art und Weise aus meinem Leben verabschiedet wie er sich dort eingemischt hat."
Bleibt noch die Frage der Verantwortung (die übrigens, Herr Kuleßa, bei der Chefredaktion und nicht der Geschäftsführung der "Sächsischen Zeitung" liegt):
Google verrät, dass es sich beim Autoren Ronny Z. um einen jungen Nachwuchsjournalisten handelt, der über die ehemalige Jugendseite der "SZ" zum freien Autoren geworden ist. Er hat sogar schon mal einen Preis gewonnen und "und ist Stipendiat eines journalistischen Nachwuchsförderprogramms" (Quelle - nachträglich entfernt, owy). Man könnte meinen: jung, unerfahren, gefördert und viel bestätigt und jetzt die große Geschichte gewittert - und nicht gebremst oder ordentlich betreut worden.
Denn: Dem Text nach zu urteilen ist der Lehrer offenbar nicht mit den Vorwürfen konfrontiert worden. Ein grober journalistischer Schnitzer, der den Eindruck erweckt, dass sich kein leitender Redakteur mit der Geschichte intensiv befasst hat. Wir ersparen uns an dieser Stelle das Lamento von "Qualitätsjournalismus kostet eben Geld". Hoffen wir mal, dass es allen Beteiligten eine Lehre ist. Peter Stawowy
Nachtrag 18.42 Uhr: Stichwort "Lehre": Der Autor des Stückes studiert selbst auf Lehramt, so zumindest stand es im Mai 2010 in der "Sächsischen Zeitung": "Jugendredakteur ausgezeichnet" (leider hinter der Bezahlschranke - Link nachträglich entfernt, owy).
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