"Hast du schon den Blumenkübel gesehen?", empfängt mich mein Mitbewohner feierlich. Was will er denn jetzt damit? Bald klärt sich seine Belustigung: wie jeden Tag hat er beim Neustadt-Geflüster gestöbert, was denn so in unserem Stadtteil los ist. Und manchmal sind es eben die kleinen Dinge wie ein fast abstürzender Kübel auf einem Dach in der Louisenstraße, die die Neustädter in Aufregung versetzen. Wer wissen will, was um die Ecke passiert, greift eher zum Blog statt zur Tageszeitung. Doch macht dieser Neustadtflüsterer mit seinen Tuscheleien der "alten Schule" Lokalpresse tatsächlich Konkurrenz?
Jan Frintert ist der Autor des Neustadt-Geflüsters, einem Blog zugeschnitten auf die Neustadt und die Bedürfnisse seiner Bewohner. "Am Anfang war das Interesse für mein Viertel, ich wollte meine Beobachtungen festhalten." Mittlerweile dreht sich alles um den Leser. "Die Freude über Kommentare und tolle Leserzahlen" sei für ihn "die größte Motivation".
Reine Selbstlosigkeit oder Ego-Gestreichel? Das weiß nur Frintert selbst. Unter dem Pseudonym Anton Launer schreibt er, seitdem das Neustadt-Geflüster als Kolumne in der "Sächsischen Zeitung" ins Leben gerufen wurde. "Damals war der Hintergedanke, dass damit auch mehrere Autoren die Kolumne schreiben könnten. Außerdem gibt das Pseudonym einen deutlichen Hinweis auf die Antonstadt und die Alaunstraße." Weil er den Namen so gern mochte, ziert er auch heute noch jeden Artikel des nur noch online verfügbaren Neustadt-Geflüsters. Denn Ende 2006 wurde ihm von der SZ-Redaktion bestätigt, "dass im Etat kein Geld mehr für das Neustadt-Geflüster vorgesehen sei."
Seither durchstöbert er sein Viertel nur noch für seinen Blog täglich nach Neuigkeiten. Als sogenannter Place-Blog besticht er ganz klar durch den lokalen Bezug. "Der Neustädter soll über sein Viertel gut informiert sein und sich gut unterhalten fühlen". Das gelingt ihm anscheinend ziemlich gut. Das Neustadt-Geflüster ist beliebt und eine feste Info-Instanz.
Blog = Journalismus?
In den Weiten des Internets wird man mittlerweile von einer Blogwelle überrollt und behält nur schwer den Überblick, was nun gut und lesenswert ist und was nicht. Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt bei der Qualität eines Blogs ist laut Jan Frintert Transparenz. Er kann anonym geführte Blogs nicht ernst nehmen: "Wenn ich Nachrichten verbreite oder Meinungen von mir gebe, sollte ich schon mit meinem Namen hinter dem Produkt stehen." Dass sich der Autor eines Blogs zu erkennen gibt, ist für ihn Grundvoraussetzung, um einen journalistischen Anspruch zu erheben. Dabei unterstützt ihn Prof. Wolfgang Donsbach von der TU Dresden: "Wir leben schließlich in einer Demokratie, da hat niemand etwas zu befürchten."
Bei der Auswahl der Nachrichten orientiert sich Frintert an ähnlichen Kriterien wie die klassischen Medien: Aktualität, Relevanz, vor allem aber geografische Nähe. Ebenso werden Unterhaltung und Publikumsgeschmack ganz groß geschrieben. Unwichtige Nachrichten erscheinen, wenn sie nur lustig genug sind. Anhand von Statistiken bemüht er sich darum, häufig gelesene Themen öfter ins Visier zu nehmen. Weiterhin müssen "die Nachrichten in einem Blog nachvollziehbar sein" und Nachricht und Meinung voneinander getrennt werden. Das heißt für Frintert, dass ein Mindestmaß an Recherche stattfinden sollte. Er selbst geht Hinweisen von seinen Lesern ebenso nach wie den Pressemitteilungen, die er erhält. Das meiste ergibt sich aber aus seinen täglichen Rundgängen durch die Neustadt. Parallel spielen auch Werbekunden eine Rolle.
Der Blog ist ein Produkt der Textwerkstatt Dresden, einer Kommunikationsagentur mehrerer Journalisten. Deswegen werden PR-Kampagnen von Textwerkstatt-Kunden veröffentlicht, sobald sie mit der Neustadt zu tun haben. Bei der Beschreibung seiner Kriterien gelangt man schnell zu den Knackpunkten des Blogger-Journalisten-Zwists: Anonymität, Recherche, Lobby-Arbeit und Subjektivität sind die großen Hürden, die die Blogger überwinden müssen, um von ihren "großen Brüdern", den klassischen Medien, ernst genommen zu werden.
Der Blog als Zukunft des Lokaljournalismus?
Seit dem Zeitalter des Web 2.0 tobt ein Kampf zwischen den etablierten, alteingesessenen Zeitungen und den aufstrebenden, rebellierenden Bloggern. Die Auflagenzahlen sinken, die Klicks auf Blogs schießen in die Höhe. Ein direkter Zusammenhang? Bis jetzt nicht. Viele Blogger sehen sich nur als Ergänzung zu den Tageszeitungen. Lediglich bei Nachrichten aus dem Viertel meint auch Jan Frintert, mit ihnen zu konkurrieren.
Laut Donsbach können Blogs einen Input bzw. das Rohmaterial für Journalisten liefern, ersetzen die traditionellen Tageszeitungen jedoch nicht. Dennoch zerreißen sich Journalisten das Maul über Blogger, die zu feige sind, frei unter ihrem Namen zu veröffentlichen und mehr ihre subjektive Weltsicht statt klarer Rechercheergebnisse darlegen. Anders herum sehen die "jungen Wilden" den alten Journalisten mit Scheuklappen an seinem Schreibtisch sitzen, der nur noch per Copy & Paste Agenturmeldungen weitergibt. Hierzu ein bekannter Blogger: "Journalisten sind generell zu wenig meinungsfreudig, innovativ und beweglich", außerdem "ziemlich faul und fett und lieben eingefahrene Denkstrukturen, die sie mit ihren Wortbausteinen füllen".
Die Qualitätsdebatte geht also über die Mediengrenzen hinaus. Sowohl Blogs als auch traditionelle Medien müssen sich den Herausforderungen einer immer komplexer werdenden Welt stellen. Beide brauchen gute Recherche. Wie auch Prof. Miriam Meckel im Januar bei einem Vortrag in Dresden sagte: guter Journalismus muss es sich leisten, Reporter in die Welt zu schicken, die für uns Informationen sehen, sammeln und verarbeiten. Ohne diese Mediatorfunktion ist öffentliche Kommunikation nicht möglich.
Ohne gemeinsame Themen kein Diskurs und auch keine Demokratie – die Rechnung ist eigentlich ganz simpel und funktioniert bei Jan Frintert in der kleinen Neustadt-Hemisphäre genauso wie bei ZDF-Berichten aus der Bundesrepublik. Es gibt wenige Kämpfe, die beide gewinnen können. Doch Blogger und Journalisten haben diese seltene Chance. Sie können voneinander profitieren und somit dem Journalismus zu einem Aufschwung verhelfen. Respekt und Achtung voreinander wären ein guter Anfang.
Was heißt das nun für uns als Leser? Am besten schöpfen wir aus hochwertigen Quellen, um unseren lokalen Wissensdurst zu löschen, egal ob online oder Print. Das Neustadtgeflüster unterhält nicht nur, es liefert auch wichtige Informationen zu städtebaulichen Umgestaltungen, Ladenschließungen/-eröffnungen, kulturellen Veranstaltungen und vielem mehr. Durch Kommentare und Hinweise kann der Leser mitbestimmen, was im Blog passiert. Interaktivität ist also ein weiteres Plus auf der Bilanz. Unterm Strich muss für den Leser ein positives Ergebnis heraus springen. Gut informiert soll er aus seiner Haustür treten und wissen, was in nächster Nähe passiert. Das Neustadt-Geflüster hilft zumindest einem Stadtteil dabei – Trend: steigend!
Antje Graebe und Anne Schmidt 09.2.2011
Diese Arbeit entstand vergangenes Wintersemester im Rahmen des Seminars "Journalismus" am Institut für Kommunikationswissenschaften der TU Dresden. Dozent ist Peter Stawowy, Betreiber von Flurfunk Dresden. Der Text ist Teil der Seminarnote.
August 3, 2011
"Das heißt für Frintert, dass ein Mindestmaß an Recherche stattfinden sollte"
Oh da muß ich ja etwas übersehen haben...ich glaube damit nimmt es der Herr Frintert nun mal leider nicht so genau.
Wohin ist denn beispielsweise der Artikel über eine vermeintliche Schließung des Abaddon hin? Das Geschäft hat nach wie vor geöffnet - so etwas nennt man "geschäftsschädigend".
In Zeitungen gibt es dafür eine gesetzlich vorgeschriebene Gegendarstellung. Bei Jan Frintert wird dieses nur mal eben so gelöscht.
August 3, 2011
Also wenn die Kolumne genauso belanglos war wie das "neustadt geflüster", kann ich verstehen, warum dafür plötzlich kein Geld mehr da war. Es wird einfach zuviel sinnfrei rumgeblubbert.
August 3, 2011
@Der Peter Also wer das Neustadtgeflüster als "belanglos" bezeichnet, hat die ganze Geschichte irgendwie noch nicht so richtig verstanden. Aber da gilt die Regel wie bei allen anderen Dingen auch: Man muss es ja nicht lesen, wenn es einem nicht gefällt.