Roland Wöller/VroniPlag: Medienmeute sitzt Verleumdung gegen Kultusminister auf

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Schlagzeilen der Dresdner Zeitungen vom 28.7.2011

Boah, da blieb uns gestern aber erstmal die Spucke weg*: "Sachsens Kultusminister mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert", war da bei der "Freien Presse" zu lesen - die Übernahme einer dapd-Agenturmeldung. Was für ein handfester Skandal, sollte da was dran sein - ausgerechnet der Bildungsminister!

Und weiter heißt es da: "Wöllers Doktorarbeit im Visier von 'VroniPlag'".

Leider stimmt an der Geschichte aber schon diese Zeile nicht mehr - wie die einfache Recherche im VroniPlag ergibt. Und doch ist eine regelrechte Medienwelle daraus geworden. Dafür wird wunderbar deutlich, wie "Recherche" heute in den Medienhäusern funktioniert: Eine Agentur hat es gemeldet? Es steht was im Internet? Ach, da steht der Name VroniPlag dabei! Und Wöller bestätigt, dass es schon mal den Vorwurf gab? Dann ist es eine Geschichte!

Ist es aber nicht. Wir haben uns gestern Abend einfach mal hingesetzt und das VroniPlag besucht (wer gar nicht weiß, was das ist, lese den Wikipedia-Eintrag zum VroniPlag). Diese Recherche hätte dem einen oder anderen Journalisten sicherlich auch ganz gut getan (eine Linkliste mit Schlagzeilen weiter unten).

Und weil wir da so gar nichts von der Doktorarbeit von Wöller gefunden haben (jaja, so ein Wiki ist durchaus kompliziert und hat eigene Regeln), haben wir uns schließlich in den VroniPlag-Chat begeben.

Nach einer gründlichen Recherche und vielen Fragen im Chat ist dann klar: Kultusminister Wöller ist überhaupt nicht im "Visier" der Plagiatsjäger - es hat nur jemand im VroniPlag einen - mit vermeintlichen Zitaten belegten (denn auch das ist nicht belegt: das die Zitate echt sind!) - Forumseintrag hinterlassen. Das ist in etwa so wie wenn jemand in Zittau auf dem Marktplatz behauptet, der Chefredakteur der sächsischen "Morgenpost" trage einen angeklebten Bart.

VroniPlag-Eintrag gleich wieder gelöscht

Die Recherche ergibt: Der Forums-Eintrag zu Wöllers Doktorarbeit ist wenig später nach seinem Erscheinen wieder gelöscht worden - siehe Screenshot (unten). Wie schreibt uns ein Chat-Teilnehmer: Ein Forumseintrag im VroniPlag sei in etwa vergleichbar mit einem Eintrag im Spiegel-Leserforum. Im Zweifel eine Verleumdung. Ein angeklebter Chefredakteurs-Bart also.

Screenshot von VroniPlag: der ursprüngliche Wöller-Eintrag wurde gelöscht (Stand: 28.7.2011, 1:31 Uhr)

Oder, wie es ein anderes Mitglied im Chat formuliert (sorry für die indirekten Zitate, die Herrschaften wollten nicht wörtlich zitiert werden): Im Forum tauchen immer mal Verdächtigungen gegen Politiker auf, die dann von den Administratoren wieder gelöscht werden - nur sehr selten seien die Verdachtsmomente stichhaltig und ihnen werde dann nachgegangen.

Da sollte den Journalisten vielleicht auch mal jemand sagen, dass es auch nicht als Beleg reicht, dass auch Plagiatsvorwürfe gegen den Kultusminister in Niedersachsen diskutiert werden - oder dass das VroniPlag erst kürzlich Vorwürfe gegen den Leipziger Jugendamtsleiter veröffentlicht (!) hat (wobei hier - nur mal am Rande - auch ein Blick auf den Barcode lohnt, welche Teile der Arbeit eigentlich beanstandet werden...).

Eine Einschätzung zur Seriösität von Forumseinträgen im VroniPlag steht - tatsächlich - auch so in der ursprünglichen dapd-Geschichte - und ist teilweise sogar von den Medien übernommen worden:

"Aus beiden wissenschaftlichen Arbeiten sind mehrere Auszüge im Forum von "VroniPlag" anonym veröffentlicht. Internetnutzer können das Forum frei nutzen. Dort veröffentlichte Texte sind von den "VroniPlag-Betreibern" ungeprüft."

Hindert sächsische wie überregionale Medien aber nicht, die Verleumdung munter aufzugreifen und zu verbreiten - zumal Wöller aus dem Urlaub mitteilen lässt, er könne sich nur vorstellen, dass damit Vorwürfe gemeint seien, die schon mal 2008 im Raum standen. Und die, nach einer Ermahnung durch die Promotionskommission, nicht bestätigt wurden.

Fehlende Internet-Kompetenz in den Redaktionen

Und einfach mal im VroniPlag selbst nachschauen? Hat offenbar keiner gemacht. Stutzig hätte da die Journalistenzunft - hätte sie denn die Geschichte gründlich durchrecherchiert - zum Beispiel auch diese VroniPlag-Regel machen können (die leicht zu finden ist):

Erst wenn es ausreichend Belege für Plagiat gibt (mindestens 10% der Arbeit), wird der Name bekannt gemacht.

Auszug vom VroniPlag aus den gelöschten Vorwürfen gegen Wöller

Lohnt in Falle Wöller aber tatsächlich nicht. Das wird am originalen Forumseintrag deutlich, der ist nämlich - wenn auch nur mit Ortskenntnis im VroniPlag - durchaus noch auffindbar. Denn eine Wiki-Grund-Regel ist, dass jede Änderung nachvollziehbar und notfalls rückgängig zu machen ist. Also, bitte hier, der Original-Eintrag zu dem Fall "rw": http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Forum:Verdacht_20110719.

Wer sich da reinliest, dem wird klar (falls die im Forum eingetragenen Stellen tatsächlich alle "echt" sind!): Wöller (rw) hat höchstens wortgleiche Zitate aus der studentischen Magisterarbeit (ba) übernommen, falls die Übereinstimmungen nicht sogar zufällig sind  - von einem wissenschaftlichen Plagiat, also ausreichend Hinweisen für einen Anfangsverdacht kann hier aus unserer Sicht nicht die Rede sein. Vor allem aber: Die Anzahl der dort verbreiteten Stellen ist sehr überschaubar (vielleicht hat ja mal jemand Lust, zu zählen?).

Wer also hat - mit welchem Interessen - der dapd gesteckt, dass es im VroniPlag einen Eintrag mit dem Kürzel "rw" gibt? Denn auch das verraten die Nachfrage im Chat: Wöllers Klarname war nie im VroniPlag genannt, bevor es die Presseberichte gab.

Nur der Versuch, Publicity für das VroniPlag zu generieren?

Auch hier hätte Recherche helfen können. In diversen Medien und Blogs ist nachzulesen, dass im VroniPlag gerade die Entmachtung des Gründers "Goalgetter" stattgefunden hat - weil dieser immer wieder VroniPlag für eigene, angeblich auch kommerzielle Interesse genutzt habe. Zwei Chat-Teilnehmer bestätigen dann auch im Gespräch: Nach ihrer (subjektiven) Meinung habe Goalgetter mal wieder einen "richtig prominenten Fall" haben wollen, um dem Wiki Öffentlichkeit zu verschaffen. Aber Vorsicht: das ist jetzt alles schon Spekulation.

Wie schrieb ein Chat-Teilnehmer (das eine Zitat nehme man mir bitte nicht übel):

"Wenn die Medien sich erblöden über ein Posting im Forum zu berichten, als würde es hier bereits geprüft sein, dann sollte der Minister mal bei dem entsprechenden Medium nachfragen."

Aber, ach, was regen wir uns auf: Den Medien kann man doch keinen Vorwurf machen. Sie haben ja nicht behauptet, Wöller hätte abgeschrieben. Sie haben nur geschrieben, dass Wöller das im Internet vorgeworfen wird. Oder das er auf Vorwürfe reagiert hat - das ist doch eine Geschichte, oder? Den Vogel schießt aus unserer Sicht übrigens RP-Online ab - aber lesen Sie ruhig selbst - hier ein paar Schlagzeilen und Links zur Berichterstattung:

RP-Online: "CDU-Kultusminister soll von Student abgeschrieben haben"

MDR-Online: "Hat auch Minister Wöller abgeschrieben?"

"Sächsische Zeitung": "Minister Wöller reagiert auf Plagiatsvorwürfe" (in der Print-Ausgabe heißt es: "Schummelvorwurf gegen den Kultusminister")

Bild.de/dresden: "Kultusminister tritt Plagiatsvorwürfen entgegen"

Focus-Online: "Plagiatsvorwürfe auch bei Sachsens Kultusminister"

Neues Deutschland: "Kopierverdacht trifft Schulminister"

*Hinweis: stawowy media als Betreiber von FLURFUNK DRESDEN ist auf Projektbasis
 auch Auftragnehmer des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus und Sport - 
 konkret bei der Erstellung der Zeitschrift "KLASSE".
4 Kommentare
  • Horst
    Juli 28, 2011

    Von Verleumdung würde ich nicht sprechen, RW ist ja auch von sich schnell in die Offensive gegangen und hat die Untersuchung der TU von 2008 öffentlich gemacht. dpa hat das auch ganz gut zusammengefasst - dapd möglicherweise zunächst erstmal nicht ganz.

    Wir haben durchaus gestern bei Vroniplag geguckt - von uns stammt auch der gelöschte Forumsbeitrag "Wöller?" - dort fragten wir nach eben jenem angeblichen Beitrag, den wir auf den ersten Blick nicht gefunden haben. Im Chat wurde uns dann auch der oben verlinkte Forumsbeitrag genannt und die Hintergründe für die Löschung erläutert.

    Aufgrund des Statments von RW ist eine Berichterstattung an sich nicht verwerflich, natürlich mit dem Hinweis, dass es sich um einen Vorgang aus dem Jahr 2008 handelt.

  • Klicken
    Juli 28, 2011

    Das war wohl weniger der Versuch, Publicity für VroniPlag zu generieren, als vielmehr der Versuch Einzelner, die bereits bestehende, hohe Reputation und Publicity des Wikis für einen Fall auszunutzen, der ihnen am Herzen lag.
    Wie Sie richtig erkannt haben, reicht einer Agentur wie dapd in diesem Fall ja schon die Nennung des Namens des Wikis und der Name desjenigen, der ihnen den Fall zur Kenntnis bringt, um es ohne anscheinend weitere journalistische Bemühungen direkt durchzureichen.

  • STK
    Juli 28, 2011

    Die bisherigen Reaktionen der freiwilligen Mitarbeiter von VP sehen so aus (zumindest was ich mitbekommen habe): verwundert über das, was die Presse veranstaltet.

    Man ist sich ziemlich einig, das mögliche Fälle im Forum, sofern sie begründet sind, dort verbleiben können (natürlich ohne Nennung des Namens). Bei Zeit und Interesse wird dann ein Beitrag näher untersucht, und falls genügend Fundstellen auftauchen, wird das Fragmentieren angefangen (Das Fragmentieren ist eine Arbeitstechnik, bei der eine, als Plagiat identifizierte, Fundstelle der Originalquelle gegenübergestellt und kategorisiert wird). Auch dies passiert noch nicht im Hauptnamensraum des Wiki sondern wird im Benutzerraum durchgeführt, weiterhin ohne Nennung des Namens. Erst ab einer bestimmten Häufigkeit der Plagiate (momentan 10% der Seitenzahl, ohne Inhalts- und Literaturverzeichnis) kommt der Fall auf die Hauptseite, diesmal aber mit Nennung des Namens. Vorher wird allerdings noch die Universität unterrichtet.

    Bei RW ist bisher nichts passiert, ausser dass ein Forumseintrag besteht. Vielleicht hat schon jemand angefangen, die Dissertation weiter zu untersuchen, aber bisher nichts gefunden. Möglicherweise gibt es noch mehr Stellen, wo RW abgeschrieben hat. Dokumentiert sind diese jedoch nicht, zumindest nicht im Forum. Auch findet sich dort kein Link, wo evtl. weitere Funde bearbeitet wurden.

    Und noch etwas (extra) zum obigen Foto. Wer "Schummelvorwurf" schreibt, ist sich nicht im Klaren, was das ist, eine Dissertation. Das ist keine kleine 3-seitige Arbeit, die man mal am Wochenende zusammenschreibt. Das sind (normalerweise) Werke, die über mehrere Jahre hinweg entstehen. Je nach Fachgebiet gehören dazu ein umfangreiches Literatur- und Quellenstudium, Thesenbildung und -verwerfung, in den Naturwissenschaften auch Experimente. Am Ende muss klar sein: Wo komm ich her, wo will ich hin?
    Dass viele Dissertationen dies vermissen lassen, liegt nicht nur an den Promovenden, sondern ist auch dem Hochschulbetrieb geschuldet, wo mehr Promotionen gleich mehr Geld bedeuten.

  • Eridanos
    Juli 28, 2011

    Die Sache hat einige verschiedene Ebenen, die schwer komplett aufzudröseln sind.

    Erstens kann jeder einen begründeten Anfangsverdacht bei VroniPlag (VP) posten. Dann können sich die Wikianer ansehen, ob das, was da gepostet wird, überhaupt stichhaltig ist und wenn ja, ob man vielleicht noch mehr Stellen findet. Nur dann findet eine weiter Untersuchung statt, der Fall bekommt ein eigenes Kürzel und wandert schließlich, wenn 10% der Seiten überschritten werden, auf die Hauptseite.

    Der Vorteil hiervon ist, dass jeder aus jeder Richtung stammende VP-Besucher Fälle vorstellen kann. Der Nachteil ist, dass - wie in diesem Fall - kalter Kaffe wieder aufgekocht werden kann, ohne dass Neues zu Tage tritt (Gegenbeispiel Mathiopoulos, weil hier viel neues Material aufgetan wurde, das über die alten Vorwürfe weit hinaus geht).

    Das zweite geht in den letzten Punkt hinein. Hier hat jemand ausschließlich Stellen angegeben, die zu der bereits 2008 angemahnten Magisterarbeit führen. Das mag sachlich richtig sein, bringt aber niemanden weiter, weil diese Dinge bereits abgehandelt wurden. Kommt nichts Neues hinzu, ist das ein toter Fisch.

    Das Dritte ist, siehe Althusmann, dass allein der Name eines Politikers und das Wort "Plagiat" genügt, um an VP zu denken. Umgekehrt denkt bei VP jeder sofort "Oha, da wird dann wohl was dran sein." Bei Althausmann hatte VP nicht die Finger drin, bei diesem Fall auch nicht, sondern nur der Seiten-Ersteller im Forum. Beide Mechanismen sorgen aber dafür, dass sofort ein Betrugsfall daraus gemacht wird, ohne dass irgend jemand weiter nachdenkt.

    Für mich als Mitglied von VroniPlag ist es derzeit etwas schwierig, mich in dieser Situation zurechtzufinden. Publicity ist nicht immer nur gut, sie sollte im Falle unseres Wikis immer auf Substanz gründen, nicht auf der Sensationsgier, möglichst der erste zu sein, der einen neuen Fall in den Tiefen unseres Forums auftut.

    Genauso sind Versuche schlecht, alte Fälle ohne neue Substanz wieder hochzupushen und auf einer Welle mitzuschwimmen, die wirklich nichts anderes zum Ziel hat, als jemanden für etwas ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren, das lange beendet ist.

    Denn wer sich ohne neue Fakten zu uns aufmacht, der mag vielleicht eine begründetet Meinung dazu haben, ob der Fall damals korrekt abgeschlossen wurde. Solange aber keine neuen Fakten vorliegen, ist er nun einmam abgeschlossen und gut ist. Das muss man an vielen Stellen im Leben akzeptieren, auch wenn es schwer fällt.

    Wenn man das nicht kann, sollte man sich gut überlegen, ob man nicht letztenendes allen einen Bärendienst erweist, die sich der Vermeidung zukünftigen Missbrauchs von Promotionsstellen widmen, wenn man mediale Aufmerksamkeit ohne Inhalt generiert und damit nur die Abstumpfung fördert - insbesondere dann, wenn öfter solche Luftblasen auftauchen.

    Sorry für das Wort "Luftblasen", falls einer derjenigen mitliest, die diesen VP-Beitrag verfasst haben. Aber es ist nun mal nichts Neues dran am vorgestellten. Sollte sich das ändern, bin ich gerne bereit meine Meinung zu ändern und mitzuarbeiten. So sicher nicht.

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