Ein Besuch bei der Online-Redaktion des 33. evangelischen Kirchentags.
Verdammt, sie haben mich! Sofort verbreitet sich ein unkritisches Gefühl in meinem Körper, als ich auf das Journalisten-Kryptonit in meinen Händen blicke: kostenlose Werbegeschenke. Ein Päckchen Sonnenblumen-Saat, ein Glückskeks, der mir freundliche Gäste in naher Zukunft verspricht und ein Bastelbogen für ein Papier-Zebra in quietschendem pink und grün. Halleluja! Als Studentin freue ich mich eben auch über Kleinigkeiten. Doch was bleibt außer dem süßen Glückskeksgeschmack von meinem Treffen mit der Onlineredaktion des 33. evangelischen Kirchentags?
Alexander Gajic, wohl einer der wenigen Menschen, denen ein dunkler 5-Tage-Backenbart überraschend freundlich zu Gesicht steht, holt mich aus dem etwas zu pinken Foyer und führt mich die Treppe hinauf zu seinem Arbeitsplatz. Er ist Leiter der Online-Redaktion. Genauer gesagt, er ist die Online-Redaktion. Der 28-jährige, der vorher als Medienjournalist beim Evangelischen Pressedienst beschäftigt war, ist seit Februar vergangenen Jahres der Mann für Internet und Social Media beim Kirchentag. Die Großveranstaltung zu der etwa 100.000 Menschen erwartet werden, zieht jedes zweite Jahr von Stadt zu Stadt. Gastgeber dieses Jahr ist vom 1. bis 5.6. 2011 Dresden. Auf die Beine gestellt wird der Kirchentag von ehrenamtlichen Gremien, das Programm und ein Großteil der Veranstaltungen werden ebenfalls durch die Beteiligung freiwilliger Helfer realisiert. Auf Samentüten stellt sich die Veranstaltung als Ort der Begegnung vor, an dem "drängende Fragen der Zeit diskutiert" werden und an dem "gesungen, getanzt und gebetet" wird.
"Intern und extern gibt es viel Lob für unsere Internetredaktion", versichert mir Hubertus Grass, der Pressereferent des Kirchentags, in dessen Büro wir uns niedergelassen haben. Gajics Arbeitsplatz ist mit einer Fülle an Schreibtischen, die man nicht mehr an einer Hand abzählen kann, dann doch etwas zu hektisch. Doch der will sich das Lob des Pressereferenten nicht allein auf die Fahnen schreiben. Natürlich profitiere die Webpräsenz des Kirchentags auch von der allgemeinen Entwicklung des Online-Markts. "Der Kirchentag war schon immer eine Mitmachgeschichte. Diese Struktur eignet sich hervorragend, um sie ins Social Media zu übertragen", erzählt Gajic nicht ohne einen aufkeimenden Enthusiasmus in der Stimme. Rund 40.000 Menschen, die den Kirchentag besuchen, sind gleichzeitig Mitwirkende, ob in der Organisation oder beim Programm. Gleichzeitig liegt die Beteiligung junger Leute bei knapp einem Drittel, was heiß, dass reichlich 30.000 Kirchentagsbesucher unter 30 Jahren sind. Also eigentlich perfekte Voraussetzungen für eine Internet-Redaktion, oder?
Die Online-Arbeit des Kirchentags lässt sich wohl am ehesten als solide beschreiben, denn der diesjährige Kirchentag unter dem Motto "Da wird auch dein Herz sein" ist im Netz so aktiv wie kein anderer zuvor. Account bei Twitter: check. Account bei Facebook: check. VZ-Netzwerke: check. Eigener Youtube-Kanal: check. Man ist in allen gängigen sozialen Netzwerken vertreten, publiziert und diskutiert, wenn Bedarf besteht. Außerdem versucht man die Zielgruppe direkt anzusprechen und fragt: Welche Web.2.0-Aktionen wünscht ihr euch? Die Antwort: Hmmm. Gewinnspiele? Oder: Hmmmmm. Was, wo man was gewinnen kann? Der Input liefert nicht das kreative Zündwerk, das man sich erhofft hat. Anstatt also vom durchschnittlichen Facebook-Nutzer Social Media-Weisheiten zu erwarten, muss man da schon selbst aktiv werden und darf sich eben nicht wundern, wenn die große Resonanz bei Videozusendungen ausbleibt, hat man Youtube bislang ja nur als reines Abspiel-Medium betrachtet. Das weiß Gajic auch selbst und versucht mit einem zweiten Kanal die User aus der Reserve zu locken. Bisher mit mäßigem Erfolg. Die Aufrufe für die Videos - meist Mitschnitte von Liveauftritten der Musikern, die auch beim diesjährigen Kirchentag vertreten sind - sind eher mager. Der "virale" Werbespot, der in Zusammenarbeit mit RTL entstand, ist gefloppt. Das ist zwar nicht die Schuld der jetzigen Online-Redaktion, sieht aber aus der Vogelperspektive nicht besonders rund aus. Ebenso wie die Präsenz bei den VZ-Netzwerken. Die Seite liegt wegen ausbleibender Nutzeraktivität brach und nur aller paar Wochen verirrt sich mal ein Kommentar auf die Pinnwand. Aber der Account ist ja kostenlos und so hält man erst einmal daran fest. Positiv fällt auf, dass sich vor allem die Facebook-Anhängerschaft besonders munter vermehrt, zumal die Großveranstaltung immer näher rückt. Gajics persönliches Ziel, die über 6.000 Facebook-Fans des 2. Ökumenischen Kirchentags zu übertreffen, wird von Woche zu Woche realistischer. Wahrscheinlich ist aber auch, dass dem wohl eher der generell rasante Facebook-Zuwachs in die Hände spielt, als die extravaganten Social Media-Aktionen, die von der Fanpage ausgehen. Das Synonymwörterbuch gibt als anderen Ausdruck für solide "brav" an. Ein Wort, dass den Internetauftritt des 33. deutschen evangelischen Kirchentags ganz gut beschreibt.
Ein eigenes Standbein ist Social Media laut Gajic neben der klassischen Öffentlichkeitsarbeit noch nicht. Es ist eher eine Ergänzung und soll helfen, bereits Interessierte bis zum nächsten Kirchentag in zwei Jahren "bei der Stange zu halten". Sozusagen eine Art Auffangnetz und Informationssammelbecken, um Besucher und Helfer nicht erst wieder zu verlieren. Man möchte seine Fische nicht unnötig lange auf dem Trockenen zappeln lassen. Ansonsten bleibt man aber am sicheren Beckenrand stehen: "Wir arbeiten ja nicht wie ein Unternehmen, dass eine Produktbotschaft vermitteln will." Aber um eine Botschaft geht es doch schon, oder etwa nicht? Auf Provokation, die Alexander Gajics Meinung nach virale Werbung erst erfolgreich macht, möchte man trotzdem nicht setzen. Dabei kann Provokation doch auch etwas Positives sein. Zumindest lese ich aus den Prospekten heraus, die Gajic mir später mitgeben wird, dass es beim Kirchentag gerade darum geht: Impulse geben. Doch da bleibt man lieber unter sich, zählt die Schäfchen, die ohnehin schon auf der Weide grasen und versucht Präsenz zu zeigen ohne omnipräsent zu sein.
An der Pinwand neben seinem Schreibtisch mahnt ein Motivations Post-It zur Besonnenheit: "Nichts Überstürzen". So hält es Gajic dann auch. Er ist sich der Grenzen des Social Media bewusst und weiß, dass sich wohl die wenigsten durch Facebook zum Glauben bekehren lassen. Und so trete ich durch das immer noch etwas zu pinke Foyer ins frühlingshafte Freie und werde sofort wieder von ganz irdischen Konflikten eingeholt: Eigentlich ist es zu kalt um ohne Jacke rumzustromern, aber wiederum viel zu warm um einen Fleece-Pullover anzuziehen. Als ich um die Ecke biege versöhnt mich die knisternde Glückskeksverpackung in heller Vorfreude jedoch schnell mit meinem Temperatur-Problem. Ich habe das Gefühl, dass ich den Social-Media-Innovationen heute nicht mehr begegnen werde, aber der süße Keksgeschmack hält immerhin noch bis zur nächsten Bahnhaltestelle an. Stephanie Teistler
März 30, 2011
Schöner Artikel!
Zwei Anmerkungen:
1. Innovationen gerade beim Kirchentag zu erwarten ist ziemlich gewagt - Ich finds absolut ok, wie sie es machen. Nicht zu streng protestantisch, nicht zu pathetisch hippieresk....sehr ökomenisch, ökologisch und eben auch ökonomisch (Aber etwas "definierter" könnte die Strategie des Kirchentags tatsächlich sein)
2. Stephanie, ich habe Dich leider nicht bei Twitter gefunden?
März 30, 2011
Vielen Dank für das ausführliche Porträt. Wir wollen natürlich nicht stillstehen, sondern uns verbessern. Also immer her mit der konkreten, konstruktiven Kritik!
März 30, 2011
@Sebastian: Ich bin auch gar nicht bei Twitter. Das ist ein Projekt, das ich evtl. mal angehen werde, wenn mein altes Nokia 6230 seinen Geist aufgibt und ich mit einem neuen, smarteren Gerät mobilen Interentzugang habe. Vielleicht will Peter ja was sponsern?;)
@Alex: Es freut mich, dass der Artikel trotz kritischer Stellen so gut aufgenommen wird! Die Sache über Facebook zu diskutieren finde ich übrigens eine charmante Lösung.
Von meiner Seite her kann ich nur sagen, dass ich mir das Social-Media-Engagement des Kirchentags ein bisschen mutiger gewünscht hätte - besonders passend finde ich dazu den Facebook-Kommentar von F. Hielscher:"Müsstet ihr euch nicht in diesem "modernen" Medium ... polarisierender darstellen?"
März 30, 2011
Müssen wir? Muss man, bloß weil im Internet vieles gerne in Hysterie versinkt und alle immer in Richtung höha-schnella-weita galopppieren, da immer mitmachen? Das Problem ist, dass viele der typischen Internet-Hypes/Memes/wasauchimmers genauso schnell wieder verbrennen wie sie entstehen. Uns geht es um fundierte ("solide") Dinge, die sich in unserem Organisationsrahmen (1-Mann-Internetredaktion, schwer zu erfassende Zielgruppe, hunderte ehrenamtlich agierende Organisatoren) eben auch verwirklichen lassen.
Nichtsdestotrotz: Ich glaube, dass Sebastian durchaus recht hat, wenn er "Definition" vermisst. Aber hey: Wir mussten uns auch erstmal finden und schauen, was funktioniert (siehe oben: Verwirklichbarkeit). Es gibt immer einen nächsten Kirchentag und es ist immer Raum nach oben.
März 30, 2011
Ich denke die Auftritte im Internet sind ok, ich würde mir nur wünschen das mehr infos über die Orte,wo die Veranstalltungen vor und wärend des Kirchentages statt finden.
Da ich mich wieder als Helfer angemeldet habe wäre dies für mich sehr angenehm.
Ich selbst komme aus Elsdorf , dies liegt an der Westlichen Grenze in Deutschland zwischen Köln und Aachen.
Viele Grüße
Michael Valtinat