Heute muss mein Glückstag sein: Ich surfe zum Frühstück durch meine Lieblings-Lokalzeitung, da springt mir obrige rotumrandete Ansage ins Gesicht:
"Sie sind unser 1.000.000 Besucher - diese ist kein Scherz! Jetzt online! Sie sind jetzt ausgewählt! Unser Zufallsgenerator hat Sie SOEBEN als möglichen Exklusiv-Gewinner ausgewählt: ..."
Jipijehh, denke ich mir, das ist eine gute Gelegenheit mal die Frage zu diskutieren, ob Anzeigen eigentlich die Glaubwürdigkeit von Medienangeboten beschädigen können. Klickt man auf "hier klicken" im roten Kasten, kommt man auf einer Gewinnspielseite (s. Bildausschnitt) raus (Achtung, das Bild ist mit der Seite verlinkt):
Da ergeben sich doch gleich viele Fragen: Wessen 1.000.000 Besucher bin ich eigentlich? Wer genau ist Absender dieser Verlosung? Wer hat etwas davon, angeblich "nur" unter jedem 1-Millionsten-Besucher ein Auto zu verlosen? Wer bezahlt eigentlich diese Gewinne?
Also mal Google angeschmissen, statt dumm den "Weiter"-Button zu drücken. Im Impressum ist eine "PLANET49 GmbH" aus Sulzbach angegeben - und ohne jetzt hier großartig unbewiesene Anschuldigungen zu übernehmen oder gar zu verlinken (auf den Stress habe ich keine Lust), empfehle ich einfach mal, selbst den Namen bei Google einzugeben und ein wenig zu lesen, welche Erfahrungen mit dem Unternehmen sich da in einschlägigen Foren so sammeln. Ob die stimmen - wie gesagt: Es liegt mir fern, hier ein Urteil abzugeben.
Ich will die Frage viel lieber in eine andere Richtung diskutieren: Beschädigt SZ-Online bzw. die "Sächsische Zeitung" ihre eigene Glaubwürdigkeit, wenn sie solchen Angeboten Werbeflächen einräumt (ganz unabhängig davon, dass in der Spalte, in der die Anzeige erscheint, auch redaktionelle Inhalte zu finden sind - die Kennzeichnung könnte also schärfer sein)? Überhaupt: Kann man ein werbungtreibendes Unternehmen für die Werbung, die bei ihm erscheint, moralisch in die Verantwortung nehmen?
Meinen kleinen Fragenkatalog zu diesem Thema möchte man bei SZ-Online nicht kommentieren. Peter Stawowy
Nachtrag vom 16.2.2011:
Es scheint mir unfassbar - heute habe ich schon wieder auf SZ-Online die Botschaft bekommen, dass ich der "1.000.000 Besucher" bin (Screenshot rechts)! Wie viel Glück muss ein Mensch haben!
Auf Lesernachfrage hier übrigens der kleine Fragenkatalog, den ich im Vorfeld an SZ-Online geschickt hatte und der leider unbeantwortet blieb:
- Haben Sie keine Sorge, dass der ungeübte Besucher die Aussagen im Kasten ("Sie sind unser 1.000.000 Besucher…") als inhaltliche Aussage von SZ-Online missverstehen könnte?
- Wenn man den Anbieter des dahinterliegenden Gewinnspiels bei Google eingibt und ein wenig liest, könnte man zu der Einschätzung kommen, es handelt sich um ein Angebot, dass auf "Dummenfang" geht und unbedarfte und gutgläubige Nutzer in SMS-Abo-Angebote lockt. Gehen Sie davon aus, dass das hinter der Anzeige liegende Gewinnspiel und der Anbieter seriös sind?
- Gibt es generell seitens der Anzeigenabteilung von SZ-Online eine inhaltliche Prüfung, ob die hinter Anzeigen liegenden Angebote seriös sind? Wenn ja: Wo sind die Grenzen?
- Haben Sie keine Sorge, dass solche Werbung auf Ihren Seiten die Glaubwürdigkeit und Seriösität von SZ-Online und damit der "Sächsischen Zeitung" beschädigt?
- Oder anders gefragt: Halten Sie solche Werbung auf SZ-Online für moralisch vertretbar?
Februar 15, 2011
Glaubwürdigkeitsverlust durch programmintegrierte Werbung?Eine Untersuchung zu den Kontexteffekten von Produktplatzierungen im Fernsehen
Werner Wirth, Jörg Matthes, Christian Schemer and Ilona Stämpfli
In: Publizistik Volume 54, Number 1, 64-81
Abstract
Die vorliegende Studie untersucht, ob sich Produktplatzierungen (Product Placements) in einer informierenden TV-Sendung auf die Glaubwürdigkeit und die globale Bewertung des redaktionellen Programms auswirken. Hierzu wurden zwei Experimente durchgeführt, in denen die Häufigkeit von Produktplatzierungen im TV-Beitrag variierte. Es wurde erhoben, inwiefern die Rezipienten die Placements als Persuasionsversuch erkannten und sich dadurch gestört fühlten. Daneben mussten die Rezipienten angeben, wie sie den Gesamtbeitrag bewerten, wie sie seine Glaubwürdigkeit einschätzen und wie sehr sie in den Beitrag involviert sind. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Rezipienten mit steigender Anzahl der Product Placements der persuasiven Absicht dieser Werbeform bewusst werden. Allerdings stören sie sich nicht am Beeinflussungsversuch, solange das Involvement in den Beitrag groß genug ist. Auf die Glaubwürdigkeit bzw. die Bewertung des Beitrags hat die zunehmende Placementhäufigkeit keinen Einfluss. Somit kann die aktuelle Diskussion um die Gefährdung des Programminhalts durch neue Werbeformen entschärft werden.
Februar 15, 2011
Hier gibts die Studie als PDF:
http://www.vsjournals.de/pdf/artikel_publizistik_01-2009_83402.pdf
@Peter: Das ist wirklich ein sehr interessantes Thema. Ich denke nicht, dass Deine Fragen durch diese eine Studie abschließend beantwortet sind. Aber immerhin zeigen die Egebnisse von Wirth et al., dass Werbung nicht zwangsläufig das redaktionelle Umfeld beschädigt. Ich glaube, dass das im Online Bereich noch weniger schlimm ist. Da poppt ja ständig irgendetwas hoch, wobei man gar nicht genau weiß, wer jetzt eigentlich dafür verantwortlich ist. Da gibt man dann vielleicht auch nicht gleich der jeweiligen Redaktion die Schuld. Das müsste man aber wirklich mal eingehender untersuchen...
Februar 15, 2011
Die Forderung nach der "eingehenden Untersuchung" bekräftige ich. Meine zugegebenermaßen "gefühlte" Wahrheit sagt mir (Hypothese), dass solcherart Werbung online dann umso image-schädigender wahrgenommen wird, je aufdringlicher das Werbemittel gestaltet ist (Farbe, Sound, Interaktivität zum Schließen usw.). Bei einem Informationsmedium (und als solches sehe ich die Online-Ausgabe einer Tageszeitung nach wie vor) stört mich diese Werbung sehr, weil sie ihre konträr entgegengesetzten Intentionen als auch Funktionen mit denen des Trägermediums vermischt. Das mag Konvergenz- und Hybridisierungsfetischisten nicht stören, mich schon.
Noch zwei andere Solo-Argumente:
1) RTL hatte und hat große Probleme, den (hohen) Marktanteil der Dschungelshow zu kapitalisieren, da viele Produkte und Dienstleistungen nicht in einem Ekel-Image wahrgenommen werden wollen - das wäre die Umkehrung.
2) Andere Online-Medien, vor allem Portale, setzen sowohl auf solcherart Werbung als auch auf solche, die nur mangels juristischer Grauzonen möglich ist - wenn beim Schließen des Mailaccounts von "web.de" gg. 13.14 Uhr eine Becks-Werbung "Das Bier vor vier" erscheint, kommen nicht nur Rezipienten damit in Berührung, die diese Werbung sicher nicht erreichen soll; nein, solcherart Werbung schlage ich eher, nun ja, nicht unbedingt glaubwürdigen, wahrhaftig-informativen Medien zu. Und das wäre für mich der - wie gesagt gefühlte - negative Imagetransfer.
Februar 16, 2011
Abgesehen von der Reichweite und Übertragbarkeit zitierter Mini-Studien: Meiner Meinung nach gibt es für die Bewertung des vorliegenden Falls wenig zu untersuchen: Tendenziell dürft der Effekt in etwa jener sein, den die Sächsische Zeitung im Print mit der Einführung eines "Seite-Drei-Girl" erreichen würde. Ja - natürlich wird derartige Werbung - zumindest längerfristig - die beim Rezipienten wahrgenommene Glaubwürdigkeit, das Qualitätsvertrauen, beschädigen. Die wirtschaftlich interessante Frage ist nun, wie viele Mehreinnahmen man im Gegenzug generieren kann. Über die Online-Strategie der SZ weiter zu diskutieren würde aber ausufern ..
@owy: Danke für den Hinweis!
Februar 16, 2011
@Maik Roßmann: Mal abgesehen davon dass ich Ihre Meinungsstärke (Zitat: "Natürlich wird derartige Werbung [...] die beim Rezipienten wahrgenommene Glaubwürdigkeit [...]beschädigen") vor dem Hintergrund der schwachen Datenbasis zu dem Thema bemerkenswert finde, würde ich doch empfehlen, Ihre ebenfalls getätigte Aussage, zur Beurteilung dieses Falls gäbe es "wenig zu untersuchen", nochmal zu überdenken. Wie ich in Ihrem Xing Profil sehe, sind Sie Student des IFK. Das Thema eignet sich m.E. hervorragend für eine Abschlussarbeit. Und da sich bei der Wirkungsfrage nicht alle so sicher sind wie Sie, würden die Ergebnisse einer solchen Arbeit sicher viele interessieren ;)
@Thomas Hartung: Angeblich hat RTL die Werbezeit beim Dschungelcamp deshalb nicht verkauft, weil die Preise durch die hohe Einschaltquote so hoch waren.
Ich übrigen bleibe ich bei der Hypothese, dass solche Werbebanner die Glaubwürdigkeit unter den angegebenen Umständen (hohes Involvment) nicht grundsätzlich beschädigen. Besonders junge Leser kennen das doch gar nicht mehr anders. Oder geht es hier darum, wie Zeitungspuristen solche Maßnahmen beurteilen? Darüber hinaus ist m.E, zu bedenken, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Quelle mittelfristig sowieso nur eine untergeordnete Rolle spielt. Zumindest im Hinblick auf die Wirkung der Kommunikationsinhalte und darum geht es ja bei der Glaubwürdigkeitsdebatte (Stichwort: Sleeper Effekt).
Februar 18, 2011
Entschuldigung, aber wie kann bitte ausgerechnet ein ("onlineweit bekannter") Werbebanner noch etwas am Onlineauftritt der SZ verschlechtern?
Die Diskrepanz zwischen regelmäßig kommunizierten Selbstanspruch und eigenem Auftritt liegt doch bei SZ/SZ-Online nur ein Klick entfernt. Der Auftritt in Facebook scheint entweder vollkommen selbständig im Verlagshaus zu operieren, oder es ist wirklich ein gehakter Account - so wie man es sich manchmal noch halbwegs positiv versucht zu erklären. Was dort stattfindet, ist in meinen Augen der absolute Selbstmord des Markenkerns "Sächsische Zeitung". Irrelevant ist da noch eine der positiveren Beschreibungen, die einem dazu einfällt.
Wenn man bei SZ-Facebook einmal reingeschaut hat und Dinge wie ...
> szonline Ist Dr. Guttenberg jetzt noch zu halten?
> szonline Was meint ihr, sollen Omi und Opi weiterhin mit dem Auto durch die Stadt zuckeln dürfen?
> szonline Wieder kein Superstar aus Sachsen...
> szonline Die Gema ist auch so ein Sympathieträger-Verein, oder?
... liest wird man vor der nächsten Zugfahrt (oder was auch immer) garantiert nicht zur SZ greifen. In heutigen Medienzeiten das eigene Anspruchsniveau so extrem herunterzufahren, mag kurzfristig Erfolg und Klicks versprechen. Mittelfristig wird es angesichts damit absolut austauschbarer Konkurrenz keine gedruckte Tageszeitung finanzieren.