Das Internet verändert die Berichterstattung: Zur Stunde ist das am Beispiel der Geiselnahme in der "H&M"-Filiale in Leipzig bestens zu beobachten. Die LVZ-Online-Redaktion beispielsweise twittert und aktualisiert ihren Bericht auf LVZ-Online immer wieder. Der Twitter-Nutzer Konstantin Winkler (@konni, laut seiner Twitter-Biografie u.a. Journalist bei 90elf) schreibt seine Tweets direkt von dem Tatort (s. Bild oben). Auch andere Twitter-Streams bieten aktuelle Informationen, etwa @heldenstadt und das Kabarett Sanftwut (@sanftwut).
Aber will man das alles so genau wissen? Und wo sind die Grenzen der Berichterstattung? Das Lokal-TV Leipzig Fernsehen geht noch einen Schritt weiter: Auf der Webseite des Senders ist ein Bewegtbild-Live-Stream direkt vom Rand der abgesperrten Zone in der Leipziger Innenstadt zu finden.
Spätestens hier wird deutlich, dass Live-Berichterstattung auch ihre Grenzen hat. Zwar ist (zumindest derzeit) zur Stunde außer wartenden Reportern, Schaulustigen und schaulustigen Reportern faktisch nichts zu sehen. Und der Kameramann stöhnt, er wolle die Kamera mal eine Weile absetzen, der Arm schmerze. Aber das könnte sich schlagartig ändern - dann etwa, wenn Geiseln den Laden verlassen oder sogar Schüsse fallen und Menschen sterben. Von neuer Qualität ist auch, dass die wartenden Reporter nicht mehr nur Beobachter, sondern damit Teil des Geschehens sind - ob sie sich dessen so bewusst sind?
An dem Beispiel wird deutlich: Mit den Möglichkeiten im Internet ist eine Grundsatzdebatte über die Ethik und das Selbstverständnis des journalistischen Berufstandes nötig geworden. Und wir brauchen eine veränderte Ausbildung für Journalisten und Medienmacher - gerade für Leute wie die, die zur Stunde vor Ort sind. Zu stellen ist etwa die Frage, ob die Kamera heutzutage auf alles draufhalten darf, was sich bewegt.
Die Frage stellt sich auch auf ganz andere, sehr böse Art und Weise: Die Webseite mit dem Live-Stream begrüßt den Besucher u.a. mit diesen Worten: "Möchten Sie auch Ihr Event von LEIPZIG FERNSEHEN LIVE ins Internet übertragen lassen, dann wenden Sie sich an unser Team" (siehe Ausschnitt).
Na dann: happy Geiselnahme! Peter Stawowy
Update, 17.21 Uhr: Auf der Seite des Leipziger Magazins "Weiter" findet sich ein Überblick über die Live-Berichterstattung. Titel: "Geiselnahme in Leipzig, die Quellenlage".
Juni 15, 2010
Im Grundsatz stimme ich zu, vielleicht hilft folgende Fragestellung bei der Berichterstattung: Gefährde ich durch meine öffentlichen Mitteilungen Personen, behindere ich die Einsatzkräfte?
Es ist ein Gratwanderung, da i. d. R. genau diese Fragen nicht abschließend einschätzt werden können. Die Recherchezeit ist zu kurz.
Für die journalistische Ausbildung sehe ich keine Handlungsbedarf, der Pressekodex bleibt weiter ein sehr geeignetes Instrument (vgl. Ziffer 2 Sorgfalt, Richtlinie 4.1 ff., Recherche), auch in Zeiten von Web 2.0 ...
Vor zehn Jahren hätte es wohl einen Nachrichtensperre gegeben, heute natürlich nicht umsetzbar. Ich denke auch - die Frage von Ethik, Moral und Verantwortung des einzelnen Berichterstatters ist ausschlaggebend, egal ob Profi oder Privatperson.
Juni 16, 2010
am beispiel leipzig fernsehen wird deutlich, dass eine kamera vor ort leider gar nichts mit lokaler berichterstattung oder gar lokaler kompetenz zu tun hat. ein vj-praktikant ersetzt nunmal keine redaktion. hätte man wenigstens einmal den kopf eingeschaltet, hätte man den peinlichen event-text entfernt. aber das alles kostet geld und geld kosten darf es nicht.