Polizei im Social Web: “Ist das die originäre Aufgabe einer Behörde?”

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Im neuen Flurfunk-Podcast haben wir die Arbeit der sächsischen Polizei im Social Web am Beispiel des Fundes einer Fliegerbombe in Dresden beleuchtet (hier geht es zu FLURFUNK-Podcast, Folge 10, u.a. mit "Was darf die Polizei bei Twitter?").

Andreas Szabó, Redaktionsleiter bei Radio Dresden, lobt darin einerseits die Arbeit des Social Media-Teams der sächsischen Polizei, regt aber gleichzeitig eine Diskussion um die Grenzen behördlicher Medienarbeit an. Wir haben Andreas Szabó gebeten, seine Einschätzung zur Social-Media-Arbeit der Polizei noch einmal aufzuschreiben.

Warum die @PolizeiSachsen im Social Web (zu) gute Arbeit macht

Ein Gast-Kommentar von Andreas Szabó



Knapp 73.000 Facebook-Fans, 63.000 bei Twitter – damit hat die Social Media-Abteilung der sächsischen Polizei einige sächsische Medien nicht nur ein-, sondern sogar schon überholt. Schon heute arbeiten vier Experten als hauptamtliche Social Media-Redakteure für die Polizei, für 2018 war zuletzt sogar eine Verdoppelung der Stellen auf acht angekündigt worden (vgl. Mitteilung auf Sachsen.de vom 4.12.2017).

Mit ihren Fans ist die Facebook-Seite der Polizei der "größte und reichenweitenstärkste behördliche Social-Media-Kanal im Freistaat Sachsen". (Stand Dezember 2017).

Schwerpunkte waren für die Polizei zuletzt bei einer großen Tagung "Einsatz von Social Media im Katastrophenfall, die Produktion von Bewegtbildinhalten sowie die Erstellung von Social-Media-Kampagnen." Damit ist klar wo die Reise hingeht: Neue Informationswege beschreiten zum Bevölkerungsschutz, aber auch ganz klar die Generierung größerer Reichweiten (Stichwort Bewegtbild und Kampagnen).

Und weiter schreibt das Innenministerium:

"Social-Media-Kommunikation ist inzwischen nicht nur ein fester Bestandteil einer zeitgemäßen Behördenkommunikation, sondern auch für die Polizeiarbeit unerlässlich. Sie ermöglicht eine schnelle und direkte Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern bei Fahndungsaufrufen, polizeilichen Einsatzlagen und der Kriminalprävention und lässt auch den direkten Draht zwischen Bürger und Polizei zu."

Das sollte uns als Bürger, Steuerzahler, Social Media Nutzer, Digital Natives freuen. Endlich! Zeitgemäße Kommunikation! Ungefilterte Information! Volle Transparenz! Schnell, nahbar, ansprechbar! Ja, das leistet die Polizei Sachsen derzeit im Social Web.

Als Medienmacher sollte es uns aber auch nachdenklich machen. Aus drei Gründen:

1. Privilegierter Zugang zu Informationen


Ein neuer "Player" im Kampf um Reichweite mit privilegiertem Informationszugang mischt im Social Web mit. Die Entschärfung der Fliegerbombe in Dresden wird zuerst vermeldet von: @PolizeiSachsen bei Twitter. Der entsprechende Tweet dazu erreicht die hundertfache Reichweite und Interaktion der etablierten regionalen Medien, die kurz darauf ihre Meldungen absetzen.

Das Problem dabei ist für mich nicht dieser eine exklusive Tweet, auf den tausende Dresdner gewartet haben. Sondern viel mehr, dass im Kampf um Schnelligkeit und Exklusivität klassische Medien einem Player mit privilegiertem Zugang zu Informationen in Zukunft immer hinterherhinken werden.

2. Kostenlose Fotos, Videos, O-Töne

Na klar, auch die Polizei weiß, dass sich mit Bewegtbild derzeit mehr Reichweite erzielen lässt, als mit Foto- oder gar nur Textpostings. Also werden solche Inhalte verstärkt produziert. Das können Bilder aus dem Hubschrauber sein, das Interview mit Protagonisten (Pressesprecher/Sprengmeister) oder Fotos vom Bombenfundort bzw. nach der Detonation.

Und auch klar: Wenn solches Material vorliegt und veröffentlicht wird, muss es auch den klassischen Medien zur Verfügung gestellt werden. Die bedienen sich dabei auch gerne immer stärker an solchen, teils exklusiven (Hubschrauber-Bilder z.B.) Materialien und integrieren diese, entweder eingebettet oder sogar direkt kopiert in ihre Berichterstattung. Für (freie) Fotografen, aber auch Bewegtbildproduzenten, Reporter vor Ort, die O-Töne sammeln, ist das ein stärker werdendes Problem.

Als Online-CVD gibt es doch nichts praktischeres, als Just-In-Time Fotos, direkt vom Schauplatz und dann auch noch kostenlos. Her damit! Der Freie vor Ort schaut in die Röhre.

Der Bayerische Journalistenverband hat dieses Thema bereits mehrfach angestoßen und Polizei und Rettungskräfte dafür stark kritisiert (hier bei Facebook nachzulesen):

"Seit längerer Zeit kritisieren die Vertreter des BJV den Umgang der Polizei (und anderer Hilfs- und Rettungseinheiten) mit der Produktion und der kostenfreien Weitergabe von Fotos an Redaktionen. Der Kern der Kritik besteht darin, dass Kolleginnen und Kollegen - vor allem Freiberuflern - ein Teil ihrer Existenzgrundlage genommen wird. Doch mit dieser Konkurrenzsituation hat sich die Polizei München offensichtlich nicht zufrieden gegeben. Denn heute erreichte die Redaktionen eine Mail, in der Tonmaterial mitgeliefert wurde. (…) Dank dieser Initiative braucht kein Sender mehr einen Kollegen/eine Kollegin senden, die sich selber um Antworten bemüht."

Klar, muss ja keiner verwenden, das Material. Aber sind wir doch mal ehrlich: Welcher Onlinedesk würde darauf verzichten?

3. Wo endet der Katastrophenschutz und wann beginnt der Journalismus

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Dass "die Medien" ihre Rolle als Gatekeeper inzwischen immer stärker einbüßen, ist nicht nur Sozialwissenschaftlern und Medienforschern hinlänglich bekannt. Die Rohinformationen sind auf dem Markt und sind im Web – und das ist gut so.

Unsere Aufgabe als Journalisten ist es, Hintergründe zu beleuchten, Zusammenhänge zu erklären, zu hinterfragen, persönliche Geschichten, Eindrücke, kritische Fragen, einfach ein ausgewogenes Bild zu transportieren. Das muss und soll die Behördenpressestelle eher nicht. Der geht es vermutlich im Fall der Fliegerbombe in erster Linie um den Bevölkerungsschutz, in zweiter Linie aber auch um Reichweitengenerierung und PR.

Aber ist das originäre Aufgabe einer Behörde?

Wenn es bei der Entschärfung einer Bombe in einem Dresdner Stadtteil sicherlich in Ordnung ist, dass die Polizei schnell und umfassend informiert, so müssen wir uns fragen, was in anderen, politisch wesentlich brisanteren Situationen passiert.

Es ist sicherlich nicht im Interesse der Allgemeinheit, wenn die Polizei als wichtiger Akteur etwa bei politischen Demonstrationen die Informationshoheit innehat - nicht ohne Grund haben Medien eine besondere Stellung innerhalb der Demokratie, wenn es um die Interpretation und Einordnung von Ereignissen geht.

Es ist zu begrüßen, dass die Polizei die neuen Kanäle und Kommunikationsmöglichkeiten nutzt. Aber wir brauchen eine Diskussion über die Grenzen – die Polizei darf im Social Web eben nicht alles dürfen.

2 Kommentare
  • Mario Thiel
    Juni 19, 2018

    Gerade bei dem Bombenfund vertraue ich lieber einer direkten Nachricht der Polizei als irgendeiner Nachricht aus zweiter Hand. Es geht in diesem Fall um den Schutz und Sicherheit aller Anwohner und da darf es gern der direkte Weg sein. Bei Unfällen oder Demos ist der Spielraum für Journalisten da schon größer und soll es gern auch sein.

  • Thomas Geithner
    Juni 25, 2018

    Warum die (zu) gute Arbeit der @PolizeiSachsen keine Bedrohung etablierter Medien ist - ein Gast-Kommentar von Thomas Geithner, Polizeisprecher der Polizeidirektion Dresden:


    „Wir wünschen uns eine aktuellere, kommunikativere, transparentere Polizei“ war jahrelange die Standardforderung vor allem von Medienvertretern. Seit unserem Engagement im Social Web sind wir in diesem Punkt ein ganzes Stück weiter. Doch schon regt sich erster Widerstand. Andreas Szabo ist es bereits zu viel des Guten. Aber wie ist es denn nun mit den Geistern, die (auch) er rief…

    Andreas Szabo hat seine Sorge an drei Punkten festgemacht:

    1. Privilegierter Zugang zu Informationen


    Ja, den haben wir – aber schon immer. Das liegt schlichtweg in der Natur der Sache. Wenn wir die Bombe entschärfen, wissen wir zwangsläufig auch zuerst wenn die Gefahr vorüber ist. Dies allen schnellstmöglich mitzuteilen, ist unsere Pflicht. Früher waren wir dabei auf die Medien als Boten der Nachricht angewiesen. Seitdem wir im Social Web aktiv sind, sind die Medien weiterhin wichtige Partner, schon um die Nachricht möglichst weit zu verbreiten. Die Expresslieferung können wir nun aber mit eigner Logistik stemmen. Und da alle Nutzer die Information gleichzeitig erhalten, ist auch eine Gleichbehandlung gewährleistet. In dem Fall nicht nur eine Gleichbehandlung der Medien, sondern aller Menschen. Daher die Frage zurück: Warum sollten die Menschen auf den (ansonsten) privilegierten Zugang der klassischen Medien zu Informationen angewiesen sein?

    2. Kostenlose Fotos, Videos, O-Töne

    Na klar wissen wir, dass sich mit Bewegtbild mehr Reichweite erzielen lässt. Und ja, wir setzen dieses Mittel auch verstärkt ein. Aber wir sind keine Konkurrenz für die Freiberufler. Vielmehr ergänzen wir das Angebot. Denn ein Freiberufler kann keine Hubschrauberbilder liefern, er darf auch nicht in den Sperrbereich. Er kann aber auch nicht mitfliegen oder in den Führungsstab, da wir auf Grund des Gleichbehandlungsgrundsatzes es allen Medienvertretern ermöglichen müssten. Das ist in einem laufenden Einsatz logistisch schlichtweg nicht möglich. Wir nehmen also niemanden etwas weg. Um den zweifellos bestehenden Informationsdurst dennoch zu stillen, stellen wir Material im Social Web zur Verfügung – und zwar gleichzeitig und kostenlos für alle Menschen. Was kann daran falsch sein?

    Im Übrigen waren die Rückmeldungen der zahlreichen Medienvertreter vor Ort eindeutig. Es herrschte einhellig Dankbarkeit für das angebotene Material. Schon allein der Druck aus den eigenen Reaktionen innerhalb ein, zwei Stunden Neuigkeiten zu präsentieren, konnte man damit erfolgreich begegnen. Und unter uns Herr Szabo: Was macht denn Radio Dresden vor Ort? Sie greifen nicht auf das (kostenpflichtige) Material der Freiberufler zurück, sondern lassen O-Töne und Bilder durch eigene Mitarbeiter fertigen…

    3. Wo endet der Katastrophenschutz und wann beginnt der Journalismus?

    Andreas Szabo beschreibt die Aufgaben der Medien so: „Unsere Aufgabe als Journalisten ist es, Hintergründe zu beleuchten, Zusammenhänge zu erklären, zu hinterfragen, persönliche Geschichten, Eindrücke, kritische Fragen, einfach ein ausgewogenes Bild zu transportieren.“ Die Aufgabenbeschreibung deckt sich mit meinen Erwartungen an den Journalistenberuf. Und doch gibt es ein Detail, was gern vergessen wird: Für diese Aufgaben haben Medien kein Exklusivrecht. Gerade in Zeiten, in denen Sicherheitsgefühl und tatsächliche Kriminalitätsbelastung sich völlig entgegengesetzt entwickeln, reicht der alleinige Ereignisbericht nicht mehr aus. Wir müssen (und wollen) Ereignisse erklären, einordnen und in einen Kontext setzen. Unsere Sicht der Dinge muss dann nicht übernommen werden, aber sie sollte bei der persönlichen Meinungsbildung berücksichtigt werden können – auch ungefragt.

    Zuletzt noch einige Worte zu einer weiteren Befürchtung von Andreas Szabo. „Es ist sicherlich nicht im Interesse der Allgemeinheit, wenn die Polizei als wichtiger Akteur etwa bei politischen Demonstrationen die Informationshoheit innehat…“ Welche Informationshoheit hat denn die Polizei bei Demonstrationen? Bei Demonstrationen gibt es keinen Sperrbereich, jeder kann sich frei bewegen und seine Informationen einholen wo und wann er will.

    Ohnehin sind wir an unsere Neutralitätspflicht gebunden. Gerade diese Neutralität machen polizeiliche Informationen für die Medien so wichtig, wie sie uns gegenüber immer argumentieren. Weil wir informieren, ohne Ereignisse zu instrumentalisieren und politisch zu verwerten. Wir beleuchten nur die reine Sicherheitslage, also unser Kerngeschäft, und vor allem erklären wir polizeiliche Maßnahmen. Damit wollen wir Missverständnissen vorbeugen, die schnell Emotionen hochkochen lassen und am Ende wieder an der Eskalationsschraube drehen. Öffentlichkeitsarbeit ist hier also nicht reiner Selbstzweck im Sinne von „Vermarktung“ der Polizei sondern vielmehr ein wichtiges taktisches Mittel zur Deeskalation. Die politische Deutungshoheit, um die es bei der Berichterstattung über Demonstrationen im Schwerpunkt geht, liegt hingegen bei vielen anderen Akteuren - nur nicht bei uns.

    Flurfunk, bitte übernehmen…

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