Auch 2016 Angriffe auf Journalisten in Sachsen

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen unter andi-szabo.de.

MDR-Reporterin, Angriff, #le1101

 

Das Jahr 2016 fängt ähnlich bescheiden an, wie das Jahr 2015 endete. In Leipzig werden am Rande des "Legida"-Jahrestages Journalisten verletzt. Ein rechtsextremer Mob marodiert durch einen linksalternativen Stadtteil, Hooligans zerstören wahllos Schaufensterscheiben, zünden Pyrotechnik.

Die Szenen erinnern an die Situation wenige Wochen zuvor in Dresden. Gewaltbereite Rechtsextreme nutzen den Fokus auf das Demonstrationsgeschehen in der Innenstadt (wie am 13. Oktober und dem 23. Dezember 2015 in Dresden), um relativ unbehelligt durch die Straßen zu jagen. Bewaffnet mit Steinen, Baseballschlägern, Pyrotechnik, möglicherweise auch illegalen Sprengmitteln werden nun also an diesem 11. Januar 2016 Geschäfte angegriffen, u.a. ein Musikladen, ein Buchhändler, ein Gardinenladen, eine Reinigung und ein Schnellimbiss. Und das im Herzen der linksalternativen Szene von Sachsen, in Leipzig-Connewitz.

Und auch diesmal werden Journalisten am Rande der Legida-Demonstration Ziel von Übergriffen. Der MDR berichtet noch am Demoabend auf seiner Website vom Übergriff auf eine Reporterin von MDRINFO:

"Eine Reporterin des MDR ist am Rande der Legida-Demonstration angegriffen worden. Eine Frau hat ihr zunächst das Handy aus der Hand geschlagen. Anschließend wurde ihr mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen."

Nur kurz zuvor hatte Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling auf der Legida-Bühne folgendes gesagt:

"Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würden sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern prügeln."

Auch ein Journalist der Morgenpost wird bei seiner Arbeit in Leipzig verletzt, offenbar geriet er zwischen die Fronten:

"Linksradikale greifen den Gefangenentransporter auf der Wolfgang-Heinze-Straße an. Sie bewerfen den Bus mit Steinen, Flaschen und Pyrotechnik. Es gelingt der Polizei den Transport durch die Menge zu bringen. Daraufhin werden die Beamten attackiert. Die Polizei setzt Pfefferspray ein. Ein MOPO24-Reporter wird verletzt."

Die Kollegen erläuterten dazu später bei Twitter:

Mop24-Reporter verletzt, Nachfrage Andi Szabo

Fakt ist: Übergriffe auf Journalisten gehen auch 2016 weiter. Die uneingeschränkte Arbeit ist für Kollegen nicht mehr überall möglich, ohne Gefahr zu laufen, Ziel von Anfeindungen und Tätlichkeiten zu werden oder gar verletzt zu werden. Die Dokumentation zu Übergriffen auf Journalisten in Sachsen, muss deshalb auch 2016 fortgesetzt werden. Hinweise jederzeit gerne hier in den Kommentaren.

25 Verdächtichtige nach Übergriffen auf Journalisten 2015

Unterdessen hat meine Recherche für den aktuellen Funkturm der Übergriffe auf Journalisten in Sachsen 2015 auch mehrere parlamentarische Anfragen und einige erhellende Antworten ins Rollen gebracht. Noch im November hatte das Innenministerium auf eine Anfrage zu Übergriffen auf Medienvertreter dem Grünen-Abgeordneten Valentin Lippmann mitgeteilt, dass Berufe von Opfern nicht erhoben werden. „Der Beruf eines Tatbetroffenen wird weder grundsätzlich noch regelmäßig erhoben und recherchierbar erfasst. Selbst eine Durchsicht aller einschlägigen Vorgänge würde deshalb eine vollständige Antwort nicht ermöglichen“, teilte Justizminister Gemkow in Vertretung für Innenminister Ulbig damals mit. [Hier die die vollständige Antwort des Ministeriums – PDF].

Die Liste mit über 25 dokumentieren Übergriffen auf Journalisten 2015 hat dann offenbar dem Innenministerium geholfen, doch konkreter zu werden, wie eine Antwort auf eine weitere Anfrage, diesmal von Kerstin Köditz von der Fraktion Die.Linke beim Innenministerium ergab: 26 Verdächtige konnten zu diversen Übergriffen auf Journalisten ermittelt werden. Allerdings waren nur 18 von 26 im Funkturm dokumentierten Fällen dem sächsischen Innenministerium bekannt. In zwei Fällen, wurden die Verfahren bereits eingestellt, wie die Auskunft des Ministeriums ergab. In zehn Fällen ist die „staatsanwaltschaftliche Erledigung“ noch „anhängig“. Es ist also in diesen Fällen noch nicht klar, ob Strafbefehle ergehen, Anklage erhoben wird oder auch diese Fälle eingestellt werden.

Ein dokumentierter Vorfall wird vor Gericht verhandelt

In einem Fall wurde dagegen tatsächlich Anklage erhoben: wegen der Ausschreitungen vor der ehemaligen Zeltstadt an der Bremer Straße in Dresden im Sommer 2015 müssen sich mehrere Verdächtige vor Amts- bzw. Jugendschöffengericht verantworten. Damals waren nach einer NPD-Demonstration Warnbaken, Flaschen und Feuerwerkskörper auf Polizisten, Pressevertreter und Gegendemonstranten geschleudert worden, ich war Augenzeuge der Ausschreitungen. Das war damals für mich eine neue Qualität der Gewalttätigkeit bei Demonstrationen. Solche Szenen hatte ich in dieser Intensität seit Jahren nicht mehr erlebt, in den folgenden Monaten häuften sich dann Gewaltausbrüche am Rande von Pegida- und Legida-Demonstrationen oder bei Demonstrationen vor Asylunterkünften, so zum Beispiel wenige Wochen später in Heidenau.

In acht Fällen konnte das Ministerium den Sachverhalten keine Anzeigen zuordnen. Einige Übergriffe wurden in der Tat nicht zur Anzeige gebracht. Deswegen ermuntere ich Kollegen in Gesprächen auch immer wieder Anzeige zu erstatten, auch wenn die Erfolgsaussichten der polizeilichen Ermittlungen gering sind. Werden diese Taten nicht registriert und in den entsprechenden Stellen in Statistiken festgehalten, wird wohl noch viel Wasser die Elbe hinabfließen müssen, bis sich ein wirkliches Problembewusstsein entwickelt.

[Hier die vollständige Antwort des Ministeriums mit der Statistik zur Aufklärungsarbeit nach Übergriffen auf Journalisten – PDF]

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